Sebastian Kurz – Konzernkanzler oder Überzeugungstäter?
Die unternehmerfreundliche Politik der Regierung treibt die Gegenseite auf die Barrikaden. Arbeitnehmervertreter behaupten, die Wirtschaft könne sich Gesetze beim Kanzler bestellen. Was ist dran an den Vorwürfen?
Ein Wort geht um im Gewerkschaftsbund und in der SPÖ – ein Wort, das nicht eben dazu gedacht ist, Sebastian Kurz zu schmeicheln: Konzernkanzler nennen sie den 31-Jährigen, weil seine Regierung eine Politik für die (großen) Unternehmen mache und damit gegen die Arbeitnehmer. Als jüngster Beleg dient der roten Phalanx das neue Arbeitszeitgesetz samt Zwölf-StundenTag und 60-Stunden-Woche, das ohne parlamentarische Begutachtung nun schon im September in Kraft treten soll.
Das Wort – Konzernkanzler – soll sich in den Köpfen der Wähler festsetzen und den Sozialdemokraten in Partei und Gewerkschaften dabei helfen, sich auf Kosten der türkis-blauen Politik zu profilieren. Aber steckt dahinter auch eine tiefere Wahrheit?
Die Regierung Kurz hat seit ihrem Amtsantritt im Dezember jedenfalls auffallend viele unternehmerfreundliche Maßnahmen gesetzt oder angekündigt: Als eine der ersten Amtshandlungen wurde Ende Februar die erst im Mai 2016 von zehn auf 13 Prozent angehobene Umsatzsteuer auf HotelÜbernachtungen wieder zurückgenommen. Wenig später wollten ÖVP
Bettina GlatzKremsner,
CasinosChefin und stellvertretende ÖVPChefin, ist eine wichtige Ansprechpartnerin des Kanzlers in wirtschaftspolitischen Fragen. In den Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ gehörte sie der Steuerungsgruppe um Sebastian Kurz an.
Margarete Schramböck
kann im Wirtschaftsministerium auf Managementerfahrungen in der Privatwirtschaft (unter anderem bei A1) zurückgreifen. und FPÖ das Staatsziel Wirtschaftswachstum in der Verfassung verankern, fanden aber keinen Partner für die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat.
Im Juni luden Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache rund 100 CEOs aus 14 Staaten in die Orangerie von Schloss Schönbrunn, um sie für den Standort Österreich zu begeistern. Anfang Juli ging das umstrittene StandortEntwicklungsgesetz in Begutachtung. Damit sollen Großprojekte „im besonderen Interesse der Republik“schneller genehmigt werden – auch wenn das vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Vergangene Woche wurden dann unter Mithilfe der Neos die neuen Arbeitszeiten beschlossen.
Dazwischen nahmen sich ÖVP und FPÖ auf unterschiedlichen Ebenen die Sozialpartner vor. Mit dem unausgesprochenen Ziel, ihren nicht unbeträchtlichen Einfluss in wirtschaftsund sozialpolitischen Fragen zurückzudrängen. Die Kammern wurden angehalten, vor der eigenen Türe zu kehren und Reformen einzuleiten, die zur „finanziellen Entlastung ihrer Mitglieder“führen. Auch die angekündigte Sozialversicherungsreform dient nicht zuletzt dazu, die Macht der Interessensvertretungen zu beschneiden.
Für das Jahr 2020 hat die Regierung bereits eine große Steuerreform angekündigt, die eine Senkung der Körperschaftsteuer und der Lohnnebenkosten bringen soll. Darüber hinaus sollen Un-
Die Regierung hat auffallend viele unternehmerfreundliche Maßnahmen gesetzt.
ternehmen auch von einer „Entbürokratisierung“profitieren. Spenden gegen Gesetze? In der roten Reichshälfte schrillen die Alarmglocken. Wer dieser Tage mit SPÖ-Politikern spricht, bekommt die Geschichte vom Pendel zu hören, das seit dem Amtsantritt der ÖVP-FPÖ-Regierung in eine Richtung ausschlage, nämlich hin zu den Arbeitgebern. Sozialdemokrati- sche Gewerkschafter behaupteten diese Woche sogar, dass sich Wirtschaft und Industrie über Wahlkampfspenden Gesetze beim Kanzler bestellt hätten. So sei unter anderem der Zwölf-StundenTag zustande gekommen.
Als namhaftes Beispiel wird hier gerne Stefan Pierer angeführt, Chef von KTM und Vizepräsident der Industriellenvereinigung in Oberöster-