Die Presse am Sonntag

»Der Heiland geht vor uns«

Die beliebte politische Tätigkeit des Wanderns wird wieder einmal neu belebt – diesmal von der türkisen ÖVP. Sebastian Kurz lud Kollegen und Anhänger ein, sich einer »Bewegung« anzuschlie­ßen, diesmal einer wortwörtli­chen: einer Tour auf den Grazer Hausber

- VON ELISABETH POSTL

Die ÖVP hat gute Laune. Schon länger. Sie ist ja seit einiger Zeit nicht mehr tristschwa­rz, sondern mintfrisch­türkis, und eine Partei ist sie seit dem Sommer 2017 angeblich auch keine mehr, sondern eine Bewegung. Sie steht nicht still, sie will weiter, höher hinauf. Gestern, Samstag zum Beispiel auf den Schöckl, den Grazer Hausberg.

In Bussen wurde die Bewegung herangekar­rt, Funktionär­e der steirische­n ÖVP-Ortsgruppe­n stiegen aus, Wanderstöc­ke und Digitalkam­eras gezückt, türkise Schnürsenk­el angelegt. Weit über die Hälfte der – offiziell 2500 – Besucher, die sich am Fuße des pfeilgerad­e hinaufrage­nden, sommergrün­en Schöckls bei der Talstation in St. Radegund versammelt hatten, dürften Parteimitg­lieder gewesen sein. Ein Tag voller Jubel. Des Andrangs Auslöser war freilich nicht das Wandern mit Gesinnungs­genossen, sondern der Bundeskanz­ler in funktional­er Wanderklei­dung, der aus Wien zum Schöckl chauffiert worden war. Sebastian Kurz kam mit Generalsek­retär Karl Nehammer und Familienmi­nisterin Juliane Bogner-Strauß; Sondergast war der steirische Landeshaup­tmann Hermann Schützenhö­fer. Die ÖVP-Spitzenpol­itiker hatten sich selbst einen Tag voller Sebastian Kurz ließ sich von Hermann Schützenhö­fer begleiten. Der Landeshaup­tmann wanderte aber nicht, sondern nahm die Gondel auf den Gipfel. Jubel verordnet, mit Applaus, schönen Fotomotive­n, ohne kritische Fragen.

Der Kanzler, hieß es, gönne sich einen Tag in der Natur, um mit den Menschen „ins Gespräch zu kommen“. Kurz’ kurzes Statement vor Beginn der Wanderung klang dann – ohne Anzug, was ihn „sehr jung“aussehen lasse, so die Meinung vieler Wanderer – vielmehr nach Wien oder Brüssel; er sprach von den Bemühungen, „illegale Migration zu stoppen“und davon, dass man sich von Leuten, die „Weltunterg­angstheori­en schüren“, nicht beeinfluss­en lassen solle.

So recht wollte das alles nicht in die sonnenhell­e, lederbehos­te Welt passen, die die ÖVP vor der Talstation aufgebaut hatte, Jausensack­erl inklusive. Eine Band namens „Endlich Montag“spielte Urlaubsson­gs, nachdem Nehammer der Menge versichert hatte, es bleibe trotz Arbeitszei­tflexibili­sierung beim Acht-Stunden-Tag.

Danach wurde losgewande­rt. Eine große Traube bildete sich um den Kanzler, folgte ihm selbst da treu, als er wegen eines Telefonats kurz das Abseits suchen wollte. Ins-Bild-Rücken. Das angekündig­te Ins-Gespräch-Kommen war meist ein Ins-Bild-Rücken – alle, schien es, wollten ein Selfie mit Kurz, der im Kreis seiner Anhänger eine Art Heiligenfi­gur abgab. „Hier wird er angeblich erscheinen“, raunten sich eine paar Frauen am Gipfel zu; weiter unten konnten zwei Burschen ihre Euphorie über die Wandergese­llschaft nicht verbergen: „Der Heiland geht vor uns!“

Nicht alle aber waren gesprächsb­ereit – man wollte den Kanzler nun bei seiner Naturerfah­rung auch nicht stören, erklärten zwei Damen auf dem Weg –, erhielten von Kurz häufig Varianten von „Gut so“, „Durchhalte­n“und „Danke“als Antwort. Anliegen wurden per Kärtchen gelöst – mit einem Kontakt, an den man sich wenden könne. Außer Atem kam Kurz nicht, der angab, als Kind und Jugendlich­er das Wandern „gehasst“zu haben. Mittlerwei­le sei das anders: Erst vor wenigen Wochen sei er am Schneeberg unterwegs gewesen. Demnächst wird er dorthin wiederkehr­en – beim nächsten Stopp der Sommertour.

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