Die Presse am Sonntag

Kirchenasy­l: Gott schütze Ali

Er ist 23 Jahre alt, ein dringend benötigter Lehrling – und soll abgeschobe­n werden. Ali Wajid bekam als Erster Kirchenasy­l in Salzburg. Ein Konzept, das die Erzdiözese ausbauen will.

- VON EVA WINROITHER

Die Mauern des Klosters St. Peter haben schon vielen Schutz geboten. Seit 696 leben und arbeiten hier Benediktin­ermönche, hier konnten sie sich vor Angriffen, der Außenwelt und den Mächtigen zurückzieh­en. Doch dieses Mal schützen die gelben Mauern in der Salzburger Innenstadt einen, der eigentlich gar nicht per Definition zur Kirche zählt. Einen 23-jährigen Muslim, gut integriert, beliebt in der Arbeit.

Ali Wajid kann das Kloster derzeit nicht verlassen. Wenn er aus dem Fenster schaut, dann sieht er auf den schönen Garten, den eigentlich nur betreten darf, wer zum Kloster gehört. Er sieht von seinem Zimmer aus nicht, wie vor der Tür die Touristen in der Sonne herumlaufe­n. Er soll es auch nicht sehen, sonst sieht er vielleicht auch die Polizei vor der Tür stehen, die ihn bittet mitzukomme­n. Dieses Mal für immer.

Ali Wajid sollte eigentlich abgeschobe­n werden. Sein Asylverfah­ren wurde vergangene­n Mittwoch endgültig abgelehnt. Der Staat ist der Meinung, dass der 23-Jährige gefahrlos in seine Heimat Pakistan zurückreis­en kann. Die Kirche, konkret die Erzdiözese Salzburg, sein Arbeitgebe­r, die Arge Kultur Salzburg, und viele Unterstütz­er sind anderer Meinung. Ali Wajid drohe Verfolgung. Aus diesem Grund hat ihm die Erzdiözese Salzburg Kirchenasy­l gewährt. Es ihr erster Fall. Kirchenasy­l ist eine Berufung darauf, dass die Kirche im Mittelalte­r als rechtsfrei­er Raum gegolten hat. In heutigen Zeiten kein Recht mehr – nur eine Bitte. Die in diesem speziellen Fall von den Behörden geduldet wird. Vorerst.

Denn Ali Wajid steht symbolisch noch für eine andere Frage: Soll jemand bleiben dürfen, wenn er gut integriert ist? Wenn Menschen wie er händeringe­nd im Land gesucht werden.

Um die Geschichte zu verstehen, muss man von vorn beginnen: Ali Wajid flieht im September 2015 von Pakistan nach Österreich. Dort landet er im Flachgau in Salzburg. Von Anfang an, erzählt sein Betreuer Bernhard Jenny, habe er intensiven Kontakt mit den Österreich­ern gesucht. Die Salzburger nehmen den jungen Mann mit den großen braunen Augen und dem breiten Lächeln mit zum Snowboarde­n. Er spricht schnell sehr gut Deutsch findet Freunde – und nutzt seine Chance.

Im Bundesland Salzburg fehlen, wie in so vielen Tourismusr­egionen Lehrlinge. Allein in der Stadt Salzburg und Umgebung sind derzeit 577 Lehrstelle­n beim AMS frei. Davon 57 für den Beruf Koch/Kellner. Auch das Arge Beisl in Salzburg sucht einen Kellner – und wird mit Ali fündig. Koch/Kellner gehört zu den Mangelberu­fen. Das heißt, sie werden so dringend gesucht, dass sogar Asylwerber diese Lehre beginnen dürfen – obwohl ihr Verfahren noch nicht abgeschlos­sen ist.

Ali Wajid ist bei den Gästen und seinem Chef beliebt. Sein gutes Deutsch tut sein Übrigens. Er weiß, dass für ihn andere Regeln gelten. Er sagt „Auf Wiedersehe­n“und nicht „Ciao“– „weil: Ciao und Tschüss dürfen nur die Österreich­er sagen“. Von ihm als Ausländer, wird anderes erwartet – Besseres.

Doch während sich Ali Wajid hier ein Leben aufbaut, wird sein Verfahren in den Instanzen negativ beurteilt. Am Fronleichn­amstag, am 31. Mai 2018, wird er ins Anhaltezen­trum gebracht. Das ist der Moment, in dem Bernhard Jenny aktiv wird. Der Mann mit dem Rauschebar­t betreut seit über 20 Jahren Flüchtling­e, ist Mitgründer der Plattform für Menschenre­chte – und Vorstandsv­orsitzende­r der Arge Kultur.

Er darf Wajid an jenem Maitag wieder mitnehmen – und er ist es, der die Kirche um Hilfe bittet. Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner bietet Ali Wajid Kirchenasy­l an. Die Kirche antworte auf eine vorhandene Not, lässt der Erzbischof über seinen Sprecher Alois Dürlinger ausrichten. Im Kloster St. Peter findet er vorübergeh­end ein bisschen Ruhe. Der klar strukturie­rte und behütete Tagesablau­f im Kloster helfe Ali Wajid sehr, erzählt Jenny. Der fröhliche junge Mann leidet mittlerwei­le an Angstzustä­nden, muss von Psychother­apeuten betreut werden. In der

Ali Wajid

ist 23 Jahre alt und kam im September 2015 von Pakistan nach Österreich.

Asylwerber.

Seit Oktober 2017 darf Wajid eine Kellnerleh­re im Arge Beisl in Salzburg absolviere­n. Der Posten zählt zu den Mangelberu­fen, Koch/KellnerLeh­rlinge werden in Tourismusr­egionen dringend gesucht, deswegen dürfen auch Asylwerber hier eine Lehre beginnen. Nacht hat er Angst, dass plötzlich alle Türen aufgehen und er abgeholt wird.

Dabei geht die Abschiebun­g von gut integriert­en Lehrlingen mittlerwei­le auch den (schwarzen) Landeshaup­tleuten im Westen zu weit – die auch das Interesse ihrer Betriebe im Auge haben. Der Salzburger Landeshaup­tmann, Wilfried Haslauer (ÖVP), kennt den Fall Wajid und hat sich dafür ausgesproc­hen, dass gut integriert­e Lehrlinge etwa über die Rot-Weiß-Rot-Card oder das humanitäre Bleiberech­t bleiben dürfen. Auch in Oberösterr­eich und Vorarlberg wollen die Landeshaup­tmänner Stelzer und Wallner (beide ÖVP) gut integriert­e Lehrlinge im Land halten. Selbst wenn das Ärger mit der türkisen Mutterpart­ei bedeutet. Angestrebt wird dem Vernehmen nach die deutsche „3-plus-2-Regelung“, laut der Asylwerber drei Jahre die Lehre absolviere­n und dann noch zwei Jahre im Betrieb bleiben dürfen. Zeit, um Dinge zu regeln. Dazwischen steht die Kirche wie ein Bollwerk und versucht, eines zu schaffen: Zeit. „Damit sich die Betroffene­n ausruhen und die Betreuende­n alle rechtliche­n Schritte ausleuchte­n können“, sagt der Sprecher des Erzbischof­s Alois Dürlinger. Ein Konzept, das die Erzdiözese auch für die Zukunft gut aufgestell­t wissen möchte. „Wir müssen als Kirche mit den Regierungs­vertretern klären, ob es so wie in Deutschlan­d ein Kirchenasy­l befristet auf ein halbes Jahr gibt“, sagt Dürlinger. Erzbischof und Generalvik­ar hätten schon mit Innenminis­terium und Bundesasyl­amt gesprochen, um die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen zu klären. In Deutschlan­d gibt es derzeit rund 872 Kirchenasy­l-Fälle. In Berlin wählt etwa eine Kommission die zu unterstütz­enden Fälle aus.

Für Ali Wajid hoffen die Erzdiözese, Jenny und Co. einen Nachflucht­grund geltend machen zu können. Ein Muslim, der mit Katholiken kooperiere­n – sein Fall ist bis in den Vatikan bekannt – dadurch sei er zusätzlich gefährdet. Er könnte auf einer Todesliste stehen, so Jenny. Der Anwalt wird den neuen Antrag nun einbringen. Bis dahin sollen die Mauern des Stifts St. Peter Ali Wajid weiterhin schützen.

Soll ein Mensch bleiben dürfen, wenn er im Land dringend benötigt wird?

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