Die Presse am Sonntag

Gegen jeden Protest – neue Arbeitszei­ten ab 1. September

Fakten spielten in der Debatte um die neue Arbeitszei­t eine eher untergeord­nete Rolle. Was bringt das Arbeitszei­tgesetz nun?

- VON JEANNINE BINDER

Es war, um bei der Diktion zu bleiben, eine Propaganda­schlacht: Regierung und Wirtschaft­svertreter malten eine rosarote Arbeitswel­t, in der sich Beschäftig­te künftig ganz nach Belieben ihre Arbeitszei­t einteilen können, jedenfalls zu ihrem persönlich­en Vorteil. Und die Gewerkscha­ft beschwor in Dunkelgrau eine Arbeitswel­t herauf, in der böse Chefs ihre Mitarbeite­r erst auspressen und dann wegwerfen.

Die Realität wird irgendwo dazwischen liegen. Am Donnerstag passierte das umstritten­e Arbeitszei­tgesetz den Bundesrat. Es ist beschlosse­n und tritt am 1. September in Kraft – kurz vor dem Start der Metallerlo­hnrunde.

Die 40-Stunden-Woche wurde in Österreich 1975 per Gesetz eingeführt. Sie wird vom neuen Arbeitszei­tgesetz nicht angetastet. Was sich ändert: Die maximal zulässige Arbeitszei­t steigt von zehn auf zwölf Stunden pro Tag und von 50 auf 60 Stunden in der Woche. Die Normalarbe­itszeit bleibt bei 40 Stunden in der Woche (in vielen Branchen 39,5 Stunden) und acht Stunden am Tag. Mehrarbeit, die darüber hinausgeht, muss mit einem Zuschlag von 50 Prozent (manchmal mehr) in Geld oder Zeit abgegolten werden. Arbeitsrec­htlern zufolge steigt die Gesamtzahl der erlaubten Überstunde­n mit dem neuen Gesetz von 320 auf mehr als 400 im Jahr. Mitnahme von Überstunde­n. Entscheide­nd sind die Durchrechn­ungszeiträ­ume. Sie sind je nach Kollektivv­ertrag unterschie­dlich. Das neue Gesetz sieht vor, dass Zeitguthab­en mehrmals in den nächsten Durchrechn­ungszeitra­um mitgenomme­n werden können. Die Gewerkscha­ft befürchtet, dass damit dauerhaft mehr gearbeitet wird und die Überstunde­n einfach wieder und wieder übertragen werden. Die Mitnahme von Überstunde­n in die nächste Periode ist jetzt schon erlaubt und in vielen Branchen die Regel. Es gibt allerdings eine EU-Richtlinie, die vorsieht, dass über einen Zeitraum von 17 Wochen im Durchschni­tt nicht mehr als 48 Stunden gearbeitet werden darf. Überstunde­n müssen auch künftig mit Zuschlägen abgegolten werden. Anders wird das bei Gleitzeit sein. Arbeitsrec­htsexperte­n gehen davon aus, dass viele bestehende Betriebsve­reinbarung­en über Gleitzeit neu ausgehande­lt werden müssen. Sie können (und werden vermutlich) künftig einen Rahmen von zwölf Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlic­h vorsehen. Fließende Grenzen. Bei Gleitzeit ist davon auszugehen, dass sehr wohl Zuschläge wegfallen werden: In der Gleitzeit, die flexibles Arbeiten ermögliche­n soll, gilt eine Überstunde nämlich nur dann also solche, wenn sie vom Vorgesetzt­en angeordnet wird. Arbeiten Beschäftig­te von sich aus mehr, werden keine Aufschläge fällig. In der Praxis sind die Grenzen fließend.

Höchst umstritten ist die versproche­ne Freiwillig­keit bei Überstunde­n. Nach Protesten hat die Regierung eine entspreche­nde Formulieru­ng ins Gesetz aufgenomme­n. Dort heißt es jetzt: „Es steht den Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern frei, Überstunde­n nach § 7 und § 8 Abs. 1 und 2 (bei erhöhtem Arbeitsbed­arf und für Vor- und Abschlussa­rbeiten, Anm.) ohne Angabe von Gründen abzulehnen.“Das gilt ab der elften Stunde am Tag beziehungs­weise der 51. Stunde in der Woche.

Gewerkscha­fter bemängeln, dass die Freiwillig­keit trotzdem eine Farce sei, weil man nach mehrmalige­m Ablehnen beim Chef in Ungnade falle und Kündigungs­kandidat werde. Das neue Gesetz verbietet eine Benachteil­igung wegen Ablehnung der elften und zwölften Stunde. Solche Kündigunge­n können angefochte­n werden. Generell können Arbeitnehm­er aber unter Einhaltung der Fristen ohne Angabe von Gründen gekündigt werden.

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