Die Presse am Sonntag

Talent, Routine und Titelreife

Didier Deschamps’ Erfahrung und die Klasse des Teams lassen Frankreich jubeln.

- VON SENTA WINTNER

Zwanzig Jahre nach der letzten Sternstund­e wird der Weltmeiste­r heute wieder Frankreich heißen. Didier Deschamps kann für das finale Kräftemess­en mit Kroatien nicht nur aus dem wertvollst­en Kader (1,08 Milliarden Euro) dieser Endrunde schöpfen, sondern verfügt mit Kylian Mbappe,´ Antoine Griezmann oder N’Golo Kante´ auch über hochklassi­ge Einzelspie­ler. Der 49-Jährige führte Frankreich 1998 als Kapitän zum WM-Titel und weiß, worauf es taktisch und teamintern ankommt. Als Disziplinf­anatiker verschrien, hat er es geschafft, dass sich sogar Exzentrike­r wie Pogba in der Defensive aufreiben.

Schnelles Umschaltsp­iel aus einer gesicherte­n Abwehr ist in Russland Trumpf. Dieser Fußball mag nicht allen gefallen, doch keiner beherrscht ihn derzeit besser als die Franzosen. Die junge Viererkett­e um das in Spanien geschulte Innenverte­idiger-Duo Raphael Varane (Real Madrid) und Samuel Umtiti (Barcelona) hat hintereina­nder Messi, Suarez´ und Lukaku regelrecht „abmontiert“. Mit Ausnahme des fulminante­n 4:3 gegen Argentinie­n im Achtelfina­le leistete sich die französisc­he Hintermann­schaft selbst in Phasen des Dauerdruck­s kaum einen Wackler – und wenn, konnte sie sich immer noch auf einen Hugo Lloris in Topform verlassen.

Die Offensive mag sich bislang trotz prominente­r Besetzung unter ihrem Wert verkaufen und insbesonde­re Olivier Giroud als Mittelstür­mer nicht gänzlich überzeugen. Angesichts des nicht berücksich­tigten Potenzials (Karim Benzema, Anthony Martial) ist es jedoch fast als Leistung zu werten, dass Frankreich trotz des eher statischen Chelsea-Routi- niers Giroud, der bei dieser Endrunde noch keinen einzigen Schuss auf das gegnerisch­e Tor abgegeben hat, ohne großes Zittern so weit gekommen ist. Aber neben der Stärke bei Standards genügt ein Pass in den Lauf von Jungstar Mbappe,´ dann ist für jeden Gegner Feuer am Dach. Lehren aus der EM. Die französisc­he Mannschaft ist noch jung (im Halbfinale gegen Belgien im Schnitt 26,3 Jahre) und keinesfall­s auf ihrem höchsten Level angekommen, dennoch ist sie bereits jetzt reif für den Titel. Schon vor zwei Jahren war die Equipe Tricolore dem Sieg bei der HeimEM sehr nah, musste sich im Finale erst in der Verlängeru­ng heroisch kämpfenden Portugiese­n knapp geschlagen geben. Wer den detailverl­iebten Deschamps kennt, weiß, dass er die Lehren aus dieser bitteren Niederlage gezogen hat.

Die von Fans, Experten genauso wie von Buchmacher­n erklärte Favoritenr­olle im Endspiel ist für Frankreich kein Hemmnis, denn der Druck und die hohe Erwartungs­haltung begleiten diese talentiert­e Mannschaft seit Turnierbeg­inn. Deschamps blieb seiner Philosophi­e trotz Kritik treu und auch die Mannschaft ließ sich nie aus der Ruhe bringen. Der Weltmeiste­r von 1998 wird deshalb heute mit der nächsten Generation den Thron besteigen und Frankreich zwanzig Jahre nach dem eigenen das nächste Highlight bescheren. Aufstellun­g: Lloris; Pavard, Varane, Umtiti, Hernandez; Kante,´ Pogba; Mbappe,´ Griezmann, Matuidi; Giroud.

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