Der Goldene Engel: Das Abenteuer des ersten wm-pokals
Nicht nur Sieger erzählen spannende Geschichten, auch ihre Pokale. Im Fall der Coupe Jules Rimet lieferte die Trophäe sogar den Stoff für Besteller. 1938 im Schuhkarton vor den Nazis versteckt, 1966 von einem Dockarbeiter entführt und einem Hund gefunden,
Er misst 37 Zentimeter, ist über sechs Kilogramm schwer und besteht großteils aus 18-karätigem Gold. Seinen Sockel schmücken Malachitedelsteine, sein Glanz fesselt regelrecht. Das von Bildhauer Silvio Gazzaniga geschaffene Kunstwerk zweier triumphierender Fußballer, die eine Weltkugel halten, ist sozusagen der Heilige Gral der Fußballwelt. Diese Fifa-WM-Trophäe schmückt seit 1974 jeden Weltmeister, am heutigen Sonntag wird sie im Endspiel im Luschniki-Stadion zum zwölften Mal überreicht.
Es ist ein Privileg, diesen Pokal zu berühren. Staatsoberhäupter, Weltmeister und sicherlich auch einige prominente (Fifa-)Fans durften ihn halten, umarmen, küssen, in die Luft heben. Normalsterblichen bleibt, wenn die Trophäe einmal am Austragungsort aus einem geheimen Hotelzimmer geholt und aus ihrem Louis-Vuitton-Reisekoffer gehoben wird, nur der Anblick durch ein kugelsicheres Behältnis.
Aber, auch der frischgebackene Weltmeister sieht dieses Original nur kurz. Schon nach den ersten Feierlichkeiten im Stadion nimmt die Fifa ihren wertvollsten Pokal (Wert: kolportierte zehn Millionen Dollar) wieder in Besitz und schickt ihn umgehend mit einem Privatjet zurück ins Fifa-Museum von Zürich. Stattdessen erhält der Champion bloß eine Kopie. Beim Weltverband hat man aus kapitalen Fehlern der Vergangenheit gelernt. Denn der Jules Rimet, der legendäre Pokal, mit dem man noch Legenden wie Pele´ ausgezeichnet hat, wurde 1983 in Brasilien gestohlen – und ist seit damals spurlos verschwunden. Diebstahl des Jahrhunderts. Just dem Rekordweltmeister ist der „Diebstahl des Jahrhunderts“passiert, der Stoff für Bestseller, Filme und endlose Reportagen geliefert hat. Die Suche nach dem Jules Rimet machte die Coupe aber erst so populär und seinen Namensgeber bis in die Gegenwart, alle vier Jahre zumindest, unvergessen.
Rückblick: Die von Bildhauer Abel Lafleur entworfene 35 Zentimeter hohe Statue diente von 1930 bis 1970 als WM-Pokal. 3,8 Kilogramm schwer, aus vergoldetem Silber – sie zeigte die griechische Siegesgöttin Nike. Die Selec¸ao˜ hatte 1970 nach dem in Mexiko gewonnenen dritten Titel das Recht erworben, den nach dem früheren Fifa-Präsidenten Jules Rimet († 16. Oktober 1956) benannten Pokal zu behalten.
Der Fußballverband CBF stellte ihn umgehend in seinem Büro des Joao-˜ Havelange-Gebäudes in der Rua da Alfandegaˆ 70 in einer Vitrine aus. Sicherheitsleute wachten tagsüber vor dem Pokal, der hinter kugelsicherem Glas ruhte. Täglich kamen Tausende Besucher, sie pilgerten regelrecht nach Rio, um die Errungenschaft der Fußballer zu besichtigen. Kameras, Alarmanlage – alles da. Es gab sogar eine Kopie. Nur,
1930–1970
wurden Fußballweltmeister mit dem nach Fifa-Präsident Jules Rimet (1921–1954) benannten Pokal ausgezeichnet.
Goldener Engel
Die 35 cm hohe Statue aus vergoldetem Sterlingsilber wog 3,8 kg. Auf dem Sockel thronte Siegesgöttin Nike.
1983
wurde die Trophäe in Rio gestohlen – und vermutlich eingeschmolzen.
2012
erschien eine Onlineliste der Top Ten der bedeutendsten verschollenen Kunstschätze. Faberg´e-Eier, Bernsteinzimmer – an dritter Stelle rangierte die Coupe Jules Rimet. die sperrte man in den Tresor . . .
So gelang Chico Barbudo und Luiz Bigode ihr Coup. Drahtzieher und Auftraggeber soll der Bankangestellte Ser-´ gio Peralta gewesen sein. Am Abend des 19. Dezember 1983 drangen sie unbehelligt in das Gebäude ein. Im neunten Stockwerk thronte der Pokal, ein Wachmann war kein Problem. Die Alarmanlage ebenso. Mit einem Nageleisen war die Vitrine geknackt. Nur 20 Minuten soll der ganze Raubzug gedauert haben.
CBF-Präsident Giulite Coutinho appellierte damals verzweifelt in LiveTV-Ansprachen an den Patriotismus der Diebe. Eine Versicherungsgesellschaft bot 20.000 Euro Finderlohn an. Vergebens. Seit 1983 gibt es keine Spur mehr, alle Ermittlungen verliefen letztendlich im Sand. Einzig ein Verdachtsmoment lag vor: Der argentinische Goldhändler Juan Carlos Hernandes soll ihn eingeschmolzen haben. Auf den Hund gekommen. Die 1930 in Uruguay erstmals verliehene Coupe hatte eine bewegte Geschichte. 1938 versteckte ihn Fifa-Vizepräsident Ottorino Barassi 1938 – in einer Schuhschachtel unter seinem Bett – vor den Nazis. Das gelang; danach verschwand der Pokal bis Kriegsende im Untergrund.
In London 1966 wurde er kurz vor dem WM-Auftakt entwendet. Das Schmuckstück wurde in der Londoner Westminster Central Hall ausgestellt. Am 20. März 1966 war die Ausstellung für eine Stunde geschlossen, alle Wächter gingen zum Lunch. Als sie zurückkamen, war der Goldene Engel (damals geschätzter Wert: 6000 Pfund) verschwunden. Das Vorhängeschloss als einzige Sicherheitsvorkehrung war geknackt worden. Nebstbei liegende Briefmarken im Wert von drei Millionen Pfund hatte der Amateurdieb jedoch liegen gelassen. Dafür verlangte er satte 15.000 Pfund Lösegeld.
Der Erpresser, ein alter Dockarbeiter, wurde später festgenommen. Er gab den Fundort des Pokals allerdings nicht preis. Als bereits eine Nachbildung angefertigt wurde, fand Pickles, der Hund eines Hafenarbeiters, die Coupe schließlich beim Gassigehen unter einer Parkbank. Für die Familie war es der Jackpot: VIP-Karten, 3000 Pfund Finderlohn (vierfaches Jahresgehalt) und Kistenweise Dosenfutter. Der Goldene Engel. Ein Teil des WMPokals wurde vor ein paar Jahren im Keller des Fifa-Hauptquartiers in Zürich wiedergefunden. Es ist ein Sockel, der 1954 ausgetauscht worden ist. Brasilien nützte er nichts mehr, die Südamerikaner konnten diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen und ließen 1984 eine originalgetreue Kopie in Hanau, Deutschland, anfertigen. Am 10. Juni 1984 wurde sie im Maracana˜ feierlich präsentiert, das Spiel gegen England mit 0:2 verloren. Egal, Hauptsache die „Coppa“, der Goldene Engel, war wieder zu Hause.
Dann wusste jeder, wo Brasiliens Verband residiert: Rio, Rua da Alfˆandega 70. Very British! 15.000 Pfund Lösegeld, aber zig Millionen für Briefmarken ignoriert.