Muskelkater
Fibromyalgie ist eine Krankheit aus dem rheumatischen Formenkreis, ihre Ursache kaum geklärt. Bis zu fünf Prozent der Österreicher leiden daran.
Ich bin so am Boden zerstört, dass ich nicht weiß, wie ich es in Worte fassen soll“, schrieb die Musikerin Lady Gaga vergangenen Februar auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Wegen heftiger Schmerzen musste sie ins Krankenhaus und sogar etliche Konzerte und ihre Europa-Tournee absagen. Dabei hatte die 32-Jährige Glück, bei ihr wurde die Erkrankung relativ rasch diagnostiziert: Sie leidet an der bisher nicht heilbaren Fibromyalgie, die Schmerzen in Fasern und Muskeln auslöst, wie der lateinische Name besagt. In der Netflix-Doku „Five Foot Two“berichtet sie erstaunlich offen über ihr Leiden und die muskelkaterartigen Schmerzen im ganzen Körper, die sie plagen.
Sonst dauert es oft Jahre bis diese Krankheit aus dem rheumatischen Formenkreis erkannt wird. Seit den 1990er-Jahren kennt man diese Krankheit, die Ursache ist nach wie vor weitgehend ungeklärt. Es könnte sich um eine Störung des schmerzverarbeitenden Systems im zentralen Nervensystem handeln. Die Symptome sind meist ähnlich: Der ganze Körper tut weh, einmal mehr, einmal weniger, einmal da, einmal dort. Die Muskeln, Sehnen, Gelenke, die Wirbelsäule, das Brustbein – der Schmerz wandert gewissermaßen durch den Körper. Eine Woche tut die Schulter weh, die nächste das Knie, einmal sind die Schmerzen leichter, dann wieder so stark, dass man sie kaum aushält. Schlafstörung bis Hautjucken. Zum Wanderschmerz kommen sehr unterschiedliche Verlaufsformen: Manche Patienten kommen ganz gut zurecht, andere können sich vor Schmerzen kaum mehr bewegen und keinem geregelten Lebensablauf mehr folgen. Zusätzlich erschweren die verschiedensten Begleiterscheinungen eine Diagnose. Viele klagen über ständige Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Schlafstörungen. Andere berichten von Schweißausbrüchen oder Hautjucken, Herzrhythmusstörungen und Zittern. Kein Wunder, dass viele da zusätzlich von depressiver Verstimmung und Angstgefühlen geplagt werden.
So wie die 50-jährige Niederösterreicherin Andrea Lagler, die jahrelang schmerzgeplagt von Arzt zu Arzt gepilgert ist. Als ihr der 15. Spezialist wieder sagte, sie habe nichts, das werde wohl die Psyche sein, begann sie an sich selbst zu zweifeln und ihren Körper zu hassen. Erst nach jahrelangem Martyrium wurde endlich die richtige Diagnose gestellt und eine Behandlung eingeleitet. Die Diagnose ist auch deshalb so schwierig, weil Röntgen- und Blutbild nichts ergeben. „Selbst bei sehr ausgeprägten Beschwerden sind weder Entzündungsparameter noch Rheumafaktoren im Blut zu finden“, betont Rheumatologe Thomas Schwingenschlögl. Ursache unbekannt. Dennoch gibt es Typisches: unter anderem die sogenannten Tenderpoints, über den Körper verteilte Punkte, die besonders schmerzhaft sind. Drückt man bei einem Gesunden darauf, wird er nicht einmal den Mund verziehen, bei einem Fibromyalgie-Patienten löst das jedoch einen extremen Schmerz aus.
Wie und warum Fibromyalgie entsteht, ist noch nicht klar. Familiäre Häufung, Dauerstress und belastende Lebensereignisse wie Tod, Scheidung oder Jobverlust gelten auch als Mitauslöser. „Sicher ist, dass Fibromyalgie eine häufige Krankheit ist. Drei bis fünf Prozent der Österreicher sind betroffen“, erklärt Klaus Machold, Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie an der Medizinischen Universität Wien. Frauen seien häufiger betroffen. Manche Quellen würden von einem Verhältnis Frau zu Mann von 1,5 zu eins sprechen, andere von fünf zu eins. „Ich kenne Quellen, denen zufolge auf neun Frauen ein Mann kommt“, sagt Rheumatologe Peter Peichl, stellvertretender ärztlicher Direktor im Evangelischen Krankenhaus Wien. Allerdings ist die Dunkelziffer hoch, weil sehr viele Betroffene gar nicht diagnostiziert sind.
Steht die Diagnose einmal – und dafür braucht es Wissen, Geduld, Zeit und Empathie seitens des Arztes, kommt der nächste schwierige Schritt: die richtige Therapie. „Die muss für jeden Patienten individuell maßgeschneidert sein, jeder Patient ist und reagiert anders“, sagt Schwingenschlögl. Es gebe dazu wenig konkrete Leitlinien. „Die Therapie muss auf alle Fälle multimodal sein“, ergänzt Peichl.
Neben Schmerzmitteln kommen auch Antidepressiva, Infiltrationen, Infusionen und die Einnahme von hoch dosierten Vitaminen in Frage. Peichl:
Fibromyalgie löst Schmerzen in Fasern und Muskeln aus, wie der lateinische Name sagt.
„Auch ein Cannabis-Medikament kann unter Umständen gut helfen.“Er plädiert zudem für Kuraufenthalte. Denn die nicht pharmakologische Therapie ist mindestens genauso wichtig. Regelmäßige Bewegung, Heil- und Unterwassergymnastik, Schwimmen, Physiotherapie, leichte Massagen lindern erwiesenermaßen den Schmerz. Auch alternative Therapien wie Akupunktur, Magnetfeld oder homöopathische Präparate sowie Psychotherapie tragen zum Erfolg eines umfassenden Gesamtkonzepts bei. Und der Patient selbst muss mitarbeiten.
Das hat Andrea Lagler stets getan. Auch als sie wegen ihrer Krankheit ihren Job verloren hatte, auch als die Schmerzen kaum mehr erträglich waren, sie hat nie den Mut verloren und immer nach vorne geschaut. Ganz verschwunden ist ihr Leiden nicht, aber sie kann heute gut leben damit. Und einen neuen Job hat die dunkelhaarige Frau auch wieder. „Ich bin jetzt Trainerin in einem Frauensportclub und es geht mir sehr gut.“