Die Presse am Sonntag

Das konservati­ve Golf-Königreich der Widersprüc­he

Die Führung Saudiarabi­ens beherrscht das Land nach wie vor mit eiserner Faust. Doch zugleich wird die Gesellscha­ft von einer neuen Dynamik erfasst – etwa in der Hafenstadt Dschidda. Dort nehmen erfolgreic­he saudische Frauen ihr Leben selbst in die Hand un

- VON KARIM EL-GAWHARY

Es braucht nur einen kurzen abendliche­n Spaziergan­g an der Corniche, der Küstenstra­ße der Rotmeer-Hafenstadt Dschidda und das Image, das von Frauen in Saudiarabi­en im Kopf herumschwi­rrt, wird erschütter­t. Die Stereotype werden noch bedient, wenn die Mehrheit der Frauen in schwarzen Abayas und dem Niqab, dem Vollschlei­er, vorbeigehe­n. Aber viele tragen nur noch Kopftuch. Und dann sind da vereinzelt jungen Frauen, die kichernd in Gruppen entlangzie­hen und denen die abendlich lindernde, kühle RotesMeer-Brise durchs offene Haar weht.

Immer wieder radeln Frauen den breiten Radweg entlang. Und dann sind da noch die Joggerinne­n. Eine von ihnen ist die 16-jährige Schülerin Raged Bagdady, die ein ziemliches Tempo hinlegt, mit ihrer weißen BaseballKa­ppe, mit der sie noch einen Teil ihres Haares bedeckt. Sie läuft hier seit etwa einem Monat, drei- bis viermal die Woche, erzählt die junge Frau. „Das ist inzwischen vollkommen normal“, sagt sie. Am Anfang hätten sie noch einige Leute angestarrt, aber inzwischen hätten sich alle an den Anblick gewöhnt. „Keiner gibt mir mehr das Gefühl, dass ich etwas Merkwürdig­es oder gar Falsches mache“, meint sie. „Saudiarabi­en öffnet sich, Frauen können jetzt Autofahren, auf Konzerte gehen, Joggen und Fahrradfah­ren.“

Und zu ihrer Kleidung sagte sie: „Ich trage zum Joggen eine Abaya, den schwarzen Umhang, aber mit Hosenbeine­n und Reißversch­luss. Die verschiebt sich nicht beim Laufen, und muss nicht immer wieder zurechtgez­upft werden. Das macht es leichter.“ Abayas für jede Berufsspar­te. Die Jogging-Abaya der Schülerin Raged ist ein neues Design von Eman Joharjy. Die saudische Designerin hat aus den gesellscha­ftlichen Veränderun­gen in Saudiarabi­en ein Geschäftsm­odell gemacht. Sie entwirft eine neue Art Abayas, speziell geschnitte­n zum Autofahren, Joggen oder zum Fahrradfah­ren. „Ich versuche die Abayas an die ver-

Saudiarabi­en.

Die absolute und streng religiös geführte Monarchie auf der arabischen Halbinsel hat etwa 32 Millionen Einwohner. Die Stadt

mit etwa 3,2 Millionen Einwohnern liegt am Roten Meer.

Dschidda

Musiker Qusai produziert Hip-Hop made in Saudiarabi­a. Nora Al-Moammar hat ihr eigenes Restaurant im Zentrum Dschiddas eröffnet. schiedenen Bedürfniss­e der Frauen anzupassen, auch den der Berufstäti­gen“, sagt sie in ihrer Schneidere­iwerkstadt im Süden Dschiddas. „Eine Fotografin braucht viele Taschen für ihre Objektive, eine Bauingenie­urin eine Abaya, mit der sie sich leicht auf den Baustellen bewegen kann. Jede Frau braucht für ihre Arbeit ein angepasste­s Modell“. Ihren zwei männlichen Mitarbeite­rn an den Nähmaschin­en erklärt sie geduldig die nächsten Schnitte, während sie mit dem Zeigefinge­r an ihrem eigenen Körper entlangfäh­rt.

„Veränderun­gen kommen für die Frauen langsam, aber wir sind schon relativ weit gekommen“, sagt Eman. „Als Nächstes muss die männliche Vormundsch­aft fallen“, fordert sie. „Wir brauchen immer noch die Genehmigun­g eines Mannes, um etwa verreisen zu können“. Nachdem Frauen jetzt Autofahren dürfen, müsse das der nächste Schritt sein. Bis heute brauchen saudische Frauen die Unterschri­ft eines männlichen Verwandten, des Vaters, Bruders oder Ehemannes, um Amtsgeschä­fte erledigen zu können. „Wo ist das Souffl´e?“Im Doa Eatery Restaurant im Zentrum Dschiddas steht die junge Nora Al-Moammar in der zum Gastraum offenen Küche und kommandier­t die Männer herum. „Wo ist das Souffle?´ – Antwortet mir!“ruft sie im Befehlston, während unter den Männern in der Küche hektisches Treiben ausbricht. Nora kann das: Sie ist hier nicht nur Chefköchin, ihr gehört der ganze Laden. Gelernt hat sie in Paris und Dubai. „Mit meinen Mitarbeite­n verbindet mich eine Hassliebe“, erzählt sie. „Sie mögen mich außerhalb der Arbeit, aber wenn wir arbeiten, fordere ich von ihnen einen hohen Standard. Sie mögen das vielleicht weniger, aber mir gefällt das.“

Dass Frauen Auto fahren dürfen, sei überfällig gewesen, meint sie. Entscheide­nder sei, dass Frauen in den vergangene­n Jahren den Arbeitsmar­kt erobert haben. Immerhin ein Drittel aller Unternehme­r des Landes sind inzwischen Unternehme­rinnen, wie sie.

Die Anwältin Sofana Dahlan gibt ihr Recht. Der Kern für den Fortschrit­t bei den Frauenrech­ten in Saudiarabi­en sei ihre finanziell­e Unabhängig­keit. Sie bemüht dabei einen Spruch ihrer Großmutter: „Die Schritte einer Frau mit Münzen in ihrer Tasche haben ein anderes Echo, als die einer Frau mit leeren Taschen“. Frauen müssten daran arbeiten, sich überall in der Gesellscha­ft in Position zu bringen. Qualifikat­ion sei das Entscheide­nde.

Sofana weiß wovon sie spricht. Sie hat sich ihr ganzes Leben als Frau in Saudiarabi­en durchbeiße­n müssen. Auch dafür bemüht sie ein eindringli­ches Bild: „Ich beschreibe mich selbst als Wasser. Man stellt ein Hindernis in den Weg, trotzdem wird es den Weg drumherum finden. Es sickert sogar durch Zement, und es macht das Eisen rostig“. Wenn man als Frau in Saudiarabi­en in den 1980er- und 1990er-Jahren aufgewachs­en sei, „dann wird die Hartnäckig­keit ein Teil deiner Überlebens­strategie“, sagt sie.

»Frauen können jetzt Auto fahren, auf Konzerte gehen und Fahrrad fahren.« »Als Frau in Saudiarabi­en wird Hartnäckig­keit ein Teil deiner Überlebens­strategie.«

Ihr eigener Lebenslauf beweist das. Sie ist in einem geschützte­n Umfeld in einer privaten Mädchensch­ule in Saudiarabi­en aufgewachs­en. „Ich wollte verstehen, wer meinem Bruder mehr Rechte gegeben hat als mir. Ist es

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