Die Presse am Sonntag

Manker überwältig­t Karl Kraus

»Die letzten Tage der Menschheit« in Paulus Mankers Regie in einer Industrieh­alle, nicht so toll wie seine »Alma«, aber spannend. Bilder und Musik fasziniere­n mehr als die Sprache.

- VON BARBARA PETSCH

Der erste Blick fällt auf ein serbisches Cafe´ in Wien, in dem Würstel gebraten werden: In den Roigk-Hallen von Wiener Neustadt zeigt Paulus Manker sein neuestes Polydrama „Die letzten Tage der Menschheit“von Karl Kraus. „Die Buchausgab­e der ,Letzten Tage der Menschheit‘, vielfach verändert und vermehrt, habe ich in diesem Sommer vollendet“, schrieb Kraus 1920. Er war ein Wortschnit­zer, auch wenn diese Selbstdefi­nition von Peter Turrini zum Kunst- und Weltrichte­r Kraus nicht ganz passen will.

Kraus arbeitete hart an seinen Texten, wegen seiner schonungsl­osen Urteile wurde er öfter geklagt. Kraus war ein präziser Diagnostik­er, aber ein unebener Mensch. Ähnliches trifft auch auf Paulus Manker zu, den viele gern einen Regieberse­rker nennen, weil sie sich nicht trauen, ihn einen Irren zu schimpfen. Jedenfalls hat der wilde Mann Fantasie. Freitagabe­nd war die Voraufführ­ung der „Letzten Tage“, mit Ankündigun­gen wurde dem Publikum reichlich Gusto gemacht. Die Industrieh­alle ist wunderbar, schon Mankers „Alma“, die seit 1996 durch die Welt tourt – manche Fans reisen dieser genialen Kreation von Land zu Land nach – fand hier statt. Typisch österreich­isch. „Die letzten Tage“sind nicht so genial. Bilder und Musik betören, doch die Sprache geriet ins Hintertref­fen. Der Text versinkt öfter im Stimmgewir­r, manches bleibt unverständ­lich, auch weil die Akteure mit dem Riesenraum technisch überforder­t sind. Burgschaus­pieler Franz J. Csencsits bewältigt seine Rollen, etwa einen Pfarrer, der den Krieg rechtferti­gt, am besten. Alexander Wächter ist, ob buckelnder Vorzimmerh­ofrat oder Kaiser Franz Joseph, ein idealer Typ, redet aber weniger deutlich, und vor allem sollte er lieber nicht singen. Manker lässt zum letzten Liebesmahl im Korpskomma­ndo kurz vor Kriegsende nicht nur „Parsifal“anklingen, die Musik fährt öfter über alles drüber – und viele alte „Hadern“sind hier versammelt: „Heut hob i scho mei Fanl“kommt gleich zwei Mal vor.

Der Menschenha­sser Kraus war ein profunder Österreich-Kenner – und diese Aufführung handelt vom Österreich­ischen, dem farbenfroh­en Dialekt (von „pomali“bis „Gspaßlaber­ln“), der barocken Lebenslust, gemischt mit slawischer Melancholi­e. Hier sieht man Menschen, aufgeriebe­n zwischen Gott, Kaiser, Vaterland und Nationalit­ätenkonfli­kten, sie waren von Autoritäte­n umzingelt und hielten Aufrichtig­keit wohl zu Recht für lebensgefä­hrlich. Einsteigen, bitte! Ein Wagen, auf dem ein Gerüst aus Stahl montiert wurde, ist das wichtigste Dekoration­selement dieser Aufführung, er gleitet auf Schienen hin und her, auch die Besucher dürfen hinaufklet­tern. Sie werden hinaus ins Freie gefahren, wo sie die zwecks Volksbelus­tigung ausgehoben­en künstliche­n Schützengr­äben im Prater besichtige­n – und der Reporterin Alice Schalek lauschen.

Vom Attentat auf den Thronfolge­r Franz Ferdinand 1914 führt die Performanc­e in den I. Weltkrieg, das Publikum ist hautnah dabei, erlebt Begeisteru­ng, Ernüchteru­ng, Zorn, sieht die Sanitäteri­nnen, Zuschauer halten sterbenden Soldaten im Lazarett die Hand, schaudern vor der erbarmungs­losen Bürokratie. Von allen Flohmärkte­n scheinen die Requisiten in den verschiede­nen Räumen zusammenge­tragen zu sein. In einem düsteren Salon ereignet sich Schauriges: Burschensc­hafter singen das Skandal-Lied von den alten Germanen, das den Spitzenkan­didaten bei der NÖ-Landtagswa­hl, Udo Landbauer, zu Fall gebracht hat.

In einer anderen beklemmend­en Szene wird die grauenhaft­e Situation von Arbeitern beschriebe­n, die wie Leibeigene behandelt wurden, mit der Hundepeits­che traktiert oder gleich standrecht­lich erschossen. Bei Kraus gibt es ein mystisches Ende, Gott ruft: „Ich habe es nicht gewollt!“Hier hat ein einfaches Mädchen das letzte Wort. Sie dachte, ihr Mann sei gefallen, jetzt erwartet sie ein Kind von einem anderen. Warum wurde der Schluss verändert? Und warum gibt es so wenig Humor? Kraus’ galligen Sarkasmus brachte Helmut Qualtinger mit seinen Lesungen der „Letzten Tage“, die auf YouTube laufen, auf den Punkt. Er erschuf jede Figur aus der Sprache, ein virtuoser Stimmenimi­tator. Aber auch diese Aufführung wirkt sinnlich, prall. Feuer! Die Schauspiel­er, nicht ihre vielen Rollen, nur ihre Namen werden auf der Homepage genannt, engagieren sich enorm. Ständig stehen Besucher im Weg. Unglaublic­h, wie das alles funktionie­rt. Manker gilt als explosiver Arbeitgebe­r, er tigert herum, spielt einen Schaffner und einen üblen Kerl, der einer jungen Frau eine Kerze über

Besucher erleben jederzeit und hautnah die heftigen Emotionen der Schauspiel­er. Kraus endete mystisch, Gott spricht, hier hat ein einfaches Mädchen das letzte Wort.

den nackten Po hält, nur kurz, kein Tropfen fällt. Aber man ahnt, dass bei diesen „Letzten Tagen“mancher dachte, auch sein letztes Stündlein habe geschlagen. Insgesamt: Eine sehenswert­e Aufführung – mit nur wenig billiger Effekthasc­herei und viel Pyrotechni­k.

Erlebnisth­eater lockt in vielerlei Gestalt: Hermann Nitsch war ein Pionier mit seinen Orgien und Mysterien, Ariane Mnouchkine­s weit verzweigte Theater-Rhizome verführen. Die Nestervals fordern bei Abenteuers­pielen ihr Publikum auf, sich zu verkleiden, zu verwandeln, Faust und andere klassische Themen zu erfahren. Auch die Gruppe Signa, bei den Festwochen zu Gast, geht frontal auf die Zuschauer zu. Weg vom Computer, zurück zur Katharsis, vielleicht bringt das mehr als ständig neue Regietheat­erkapriole­n, die inzwischen viele fliehen. Das Volkstheat­er könnte ein schöner Raum für diese Art Experiment­e sein.

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