»Ich habe ein Jahrhundertwende-Gesicht«
Die Schauspielerin Alina Fritsch gehört zum Ensemble des Wiener Burgtheaters. Unter dem neuen Burgtheater-Direktor, Martin Kuˇsej, kann sie nicht am Haus bleiben. »Man muss flexibel sein«, sagt sie und versteht mittlerweile, weshalb sie ihre Mutter, Schau
Ihre Mutter ist Schauspielerin
Welche Rolle hat sie für Ihre Berufswahl gespielt? Alina Fritsch: Meiner Mutter war immer sehr wichtig, dass wir Kinder ein möglichst normales Leben führen. Als meine kleine Schwester im Kindergarten gefragt wurde, was ihre Mutter machen würde, sagte sie: „Sie ist Hausfrau.“ Das heißt, sie war auch viel zu Hause. Ja, ich weiß bis heute nicht, wie sie das alles geschafft hat. Aber sie hat das Unmögliche möglich gemacht und vier Leben auf einmal gelebt. Dafür bewundere ich sie. Dass sie Schauspielerin ist, war demnach für Sie gar nicht so präsent. Nein, gar nicht, wir waren das Zentrum. Aber dennoch wollte ich immer Schauspielerin werden. Meine Mutter war komplett dagegen und bat mich, irgendetwas anderes zu machen. Warum? Sie kennt sich aus und weiß, dass der Beruf toll sein kann, man aber damit auch sehr verletzbar wird. Man muss sich sehr öffnen. Deshalb muss man sich auch besonders gut schützen und einen Filter haben, damit man nicht jeden Mist in sich hineinlässt. Das ist eine richtige Zen-Aufgabe. Sie haben sich von Ihrer Mutter nicht abbringen lassen. Nein. Bis zu meinem 18. Geburtstag durfte ich keine Castings machen, da war sie ganz streng. Erst musste ich die Schule fertig machen. Aber kaum war ich 18, habe ich mich bei einer Agentur beworben und bald darauf zu drehen begonnen. Was war und ist denn so reizvoll an der Schauspielerei? Ich bin über meine große Liebe zur Literatur dazu gekommen. Und die Figuren, die mich haben spüren lassen, was Wahrhaftigkeit ist. Was ist das Besondere am Menschsein? Was sind seine Abgründe? Diese Fragen haben mich immer interessiert. Auch beim Schreiben – meiner zweiten großen Leidenschaft. Ich habe in England den Bachelor in englischer Literatur und Schriftstellerei gemacht. Parallel nahm ich Schauspielunterricht. Wollten Sie unbedingt nach Österreich zurückkommen? Ich wollte in die USA ziehen, aber dann habe ich ein Engagement bei den Festspielen in Reichenau bekommen. Dort hat mich Karin Bergmann gesehen und ans Burgtheater engagiert. So bin ich hier geblieben. Die Tatsache, dass Sie dort mit Ihrer Mutter verglichen werden könnten, hat Sie nie gestört? Es ist lustig, mir wird oft gesagt: „Du erinnerst mich so an deine Mutter, deine Stimme ist so ähnlich, aber das willst du sicher nicht hören.“Ich frage mich nur: Wieso soll ich das nicht gern hören? Ich höre es gern, weil ich sie sehr schätze. Ich habe keine Angst, nicht wahrgenommen zu werden, nur weil wir uns ähnlich sind. Denn wir sind auch sehr verschieden. Mich hat es nie belastet, dass meine Mutter Schauspielerin ist. Für mich ist es wertvoll, jemanden zu haben, der einen versteht und Ähnliches erlebt hat. Und wie emanzipiert man sich, wenn man am selben Haus spielt? Die Frage ist mir selbst noch nie gekommen. Ich hatte nie das Gefühl, dass
Alina Fritsch
wurde 1990 in Wien geboren. Nach dem Abschluss der Schule studierte sie an der University of Warwick englische Literatur und Schriftstellerei. Nebenbei nahm sie privaten Schauspielunterricht.
2013
feierte sie bei den Festspielen in Reichenau in „Der einsame Weg“von Arthur Schnitzler als Johanne ihr Debüt. Seit 2014/15 ist sie
Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters.
Neben dem Theater war sie auch in zahlreichen Film- und Fernsehrollen zu sehen, etwa in „Schnell ermittelt“, „Soko Kitzbühel“und „Eine Liebe für den Frieden – Bertha Suttner und Alfred Nobel“.
Derzeit
ist Alina Fritsch bei den Festspielen in Reichenau als Agnes in
„Das Vermächtnis“Arthur Schnitzler
sehen. von zu es zwischen uns ein Thema ist. Manchmal fühlt es sich so an, als hätten es die Leute lieber, wenn es Probleme gäbe. Wissen Sie, ob Sie unter dem neuen Burgtheater-Direktor, Martin Kuˇsej, am Haus bleiben können? Ich werde nicht bleiben. Ich strebe ab September 2019 eine Veränderung an. Wie ist das für Sie, die Burg verlassen zu müssen? Ich werde fünf Jahre lang Ensemblemitglied am Burgtheater gewesen sein. Diesen Geschenkkorb nehme ich mit auf meine weitere Reise. Ich freue mich auf neue Begegnungen! Es gibt bereits Gespräche . . . Dieser Beruf ist geprägt von Unsicherheit. Man muss sehr flexibel sein. Ich kann meine Mutter nun auch besser als früher verstehen. Sie wollte nicht, dass ich Schauspielerin werde, weil sie mich schützen wollte. Man will nicht, dass das eigene Kind so an der Front steht, nämlich als Person. Wenn ein Schriftsteller ein Buch schreibt, muss er damit rechnen, dass es dem Kritiker nicht gefällt. Bei einem Schauspieler heißt es aber: „Du gefällst mir nicht. Deine Haare sind zu blond, du bist zu jung, du bist zu alt.“All das ist subjektiv, es gibt kein Richtig und Falsch. Darum braucht man in dem Beruf auch immer ein wenig Glück. Man muss zu den Menschen finden, die dasselbe wollen, dieselben Visionen haben und dieselben Themen beschäftigen. Dann kann man fliegen. Haben Sie solche Menschen schon gefunden? Ja, aber es ist selten. In solchen Momenten spürt man, was man erreichen kann. Wie findet man diese Gleichgesinnten? Welche Wege sich kreuzen und welche sich verpassen, ist irgendwie mystisch. Man kann das nur bis zu einem gewissen Grad steuern. Aber ich versuche auch immer loszulassen und zu denken, dass mich das Richtige finden wird. Ich kann nur versuchen, bei mir selbst zu bleiben, und herausfinden, wer ich bin. Ich will auch in schwierigen Situationen authentisch und ehrlich bleiben. Wenn man infrage gestellt wird, ist das keine leichte Übung. Sicher nicht. Aber wenn man es schafft, sich völlig zu vertrauen, ist das die größte Errungenschaft. Wie verträgt sich dieses Vertrauen mit Selbstzweifeln, die immer wieder an einem nagen können? Tja, das ist das lustige Spiel des Lebens. Aber Vertrauen und Selbstzweifel schließen sich nicht aus. Denn wer keine Selbstzweifel hat, ist gruselig. Es geht eher darum, sanfter und liebevoller mit sich zu sein. Leichter ist es dennoch, sanft mit sich zu sein, wenn einem applaudiert wird. Und wenn es keine Bravorufe gibt, darf man sich davon nicht fertigmachen lassen. Manchmal spreche ich vor und bekomme die Rolle, obwohl ich das Gefühl habe, dass ich noch besser hätte sein können. Ein anderes Mal ist es umgekehrt. Es kommt immer darauf an, ob einem die Menschen, die einen beurteilen, in die Seele schauen und sehen können, wer man wirklich ist. Aber zurück zum Applaus: Natürlich höre ich ihn gern. Wenn ich mit mir nicht zufrieden bin, hilft er dennoch nicht viel. Letztlich unterliege ich meinem eigenen Maßstab. Können Sie sich vorstellen, im Ausland zu arbeiten? Ich habe schon in England in einer freien Theatergruppe gespielt. Wir sind . . . ob Sie auch einmal ein Buch schreiben wollen? Ich schreibe die ganze Zeit. Ich habe in England mit meinem ersten Roman und meinem ersten Gedichtband begonnen. Nur war in der letzten Zeit so viel zu tun, dass ich beides auf Eis gelegt habe. Aber jetzt im Sommer will ich meinen Roman zu Ende bringen. . . . wie es ist auf Zu- oder Absagen zu warten? Ich habe gelernt, mich nicht fertig machen zulassen. Ich versuche das Beste zu geben und versuche alles andere dann aus dem Kopf zu bekommen. Denn ich kann nach einem Vorsprechen ohnehin nichts mehr ändern. Aber natürlich ist es jedes Mal traurig, wenn man nicht genommen wird und die Freude riesig, wenn man die Rolle bekommt. ... ob sich Schauspieler oft coachen lassen? Ich hatte noch nie einen Coach. In Amerika habe ich manchmal gesehen, dass sich Schauspieler an ihren Coach oder Lebensberater wenden. durch London und die Midlands getourt, das mochte ich sehr. Ich vermisse es, in Englisch zu arbeiten. Sie sprechen gut Englisch? Englisch ist meine zweite Muttersprache für mich, ich bin in die American International School gegangen. Ich könnte nicht sagen, welche Sprache mir näher ist. Ich glaube, in jeder Sprache denkt und fühlt man anders. Beim Schreiben ist Englisch für mich wie ein schwerer, wallender Samtvorhang und Deutsch ein ganz fein geschliffener, klarer Kristall. Ihre Zweisprachigkeit bietet Ihnen beruflich viel mehr Möglichkeiten – auch im Film. Ja, im Theater wie im Film. Ich möchte unbedingt beides machen. Es gibt so großartige Serien in England. Sehr gern würde ich auch Historisches drehen. Wieso? Mir wird immer wieder gesagt, ich hätte so ein altmodisches Gesicht. Was soll denn das heißen? Viele meinen, ich habe so ein Jahrhundertwende-Gesicht. Tatsächlich zieht es mich von meinem Gefühl her sehr zu der Zeit hin. Ich mag die Schriftsteller dieser Epoche und die Ideen, die damals aufgekommen sind. In solchen Filmen und Serien wäre ich sicher sehr gut aufgehoben. Wie viel Zeit geben Sie Ihrem Privatleben? Ich habe noch keine Kinder, so lässt sich Beruf und Privates noch gut miteinander vereinbaren. Auch wenn mir meine Mutter vorgelebt hat, dass Beruf und Kinder parallel funktionieren – ich stelle es mir doch wahnsinnig schwierig vor. Aber ich verbringe meine Zeit mit Menschen, die wissen, dass es in meiner Arbeit sehr intensive Phasen gibt, aber auch dann wieder ruhigere kommen.