Europa und die guten Gene
Amerika lässt erste gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne Prüfung und Siegel in den Handel. Wird die neue Gentechnik auch in Europa salonfähig? Das Urteil fällt der EuGH.
Champignons, die nach dem Schneiden weiß bleiben oder doch lieber Sojabohnen, deren Öl gesündere Pommes frites garantiert? In den USA sind das zwei der heißesten Kandidaten für den Titel des ersten Lebensmittels, das – obwohl gentechnisch verändert – ohne weitere Prüfung und Kennzeichnung im Supermarkt landet. Nach Einschätzung der US-Behörden ist das nicht notwendig, weil die Pflanzen nicht im klassischen Sinne genmanipuliert wurden, sondern ihre DNA mittels Genome Editing nur so umgeschrieben wurde, wie es auch die Natur hätte tun können. Ist das schon Gentechnik oder nur eine schnellere Art der Züchtung? In Europa wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Frage am kommenden Mittwoch beantworten müssen – und damit über die Zukunft der Ernährung, Agrarindustrie und Wissenschaft am Kontinent entscheiden.
Seit sechs Jahren feiern Biotechnologen Methoden wie Crispr/Cas9 als ihr neues Wundermittel. Die Genscheren können bestimmte Stellen im Erbgut gezielt verändern, um die Eigenschaften einer Pflanze so zu verbessern, ohne dafür fremde DNA einschleusen zu müssen. In der Landwirtschaft sollen sie nicht nur Paradeiser süßer, den Reis duftender und Erdnüsse allergenfrei machen, sondern auch gleich die Hungerkrisen der Welt beenden, versprechen die Befürworter. Abschied vom Frankenstein-Image? In Europa sind die Reihen der Skeptiker kurz vor dem Urteil allerdings dicht geschlossen. Umweltschützer fordern die Klassifizierung der Methode als Gentechnik, um strengste Regulierung zu sichern. „Geht es nach den Saatgutkonzernen, sollen genmanipulierte Pflanzen so schnell wie möglich in Europa angebaut und vermarktet werden. Das ist verantwortungslos“, sagt Tina Rametsteiner vom Saatgut-Verein Ar- che Noah. Die Verfahren seien nicht so sicher, wie oft propagiert. In Österreich und Deutschland warnen große Handelsketten und Agrarproduzenten davor, dass genmanipulierte Nahrungsmittel „durch die Hintertüre“auf den Tellern der Europäer landen könnten und verlangen strikte Kennzeichnungspflichten. Die Argumente fallen im traditionell gentechnikscheuen Österreich auf fruchtbaren Boden. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht.
Eva Stöger, Professorin für Molekulare Pflanzenphysiologie an der Wiener Universität für Bodenkultur, sieht etwa wenig Grund, warum genomeditierte Pflanzen, die sich weder äußerlich noch in ihrer DNA von „natürlich“gezüchteten unterscheiden, als Gentechnik gebrandmarkt werden sollten. Selbst Robert Habeck, Bundesvorsitzender der deutschen Grünen, argumentiert gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass Genome Editing nur „einen natürlichen Prozess im Schnellverfahren simuliert“. Er drängt auch seine Parteifreunde zu einem differenzierteren Umgang mit dem Thema: Natürlich handle es sich um Gentechnik, aber um eine, „die sich von der alten transgenen Gentechnik unterscheidet.“Die Grünen hätten gelernt, dass sie „nicht unreflektiert die alten Antworten darüberstülpen wollen, wenn Dinge neu sind.“
Das sind neue Töne in einer alten, verfahrenen Debatte. Hat die Gentechnik in Europa heute tatsächlich die Chance, ihr Frankenstein-Image abzustreifen? Die Vorzeichen stehen nicht schlecht. Denn Genome Editing könnte mehr Herzensanliegen vieler Kritiker erfüllen als neue Probleme schaffen.
Bisher hatten das strikte Regelwerk und die ewig langen Zulassungsverfahren für Gentechnik in der Landwirtschaft nämlich einen entscheidenden Nachteil: Sie machten die Forschung an ertragreicheren und widerstandsfähigeren Nahrungsmitteln für kleine Unternehmen und unabhängige Wissenschaftler nahezu unbezahlbar. Nur Agrochemie-Riesen wie Bayer und Dupont konnten es sich leisten, mittels Gentechnik herbizidresistentes Saatgut zu entwickeln. Die Landwirte wurden schrittweise in die Abhängigkeit der Saatgutkonzerne gedrängt. Lässt Europa bei der modernen Gentechnik die Zügel schleifen, könnten viele bisher ausgebremste Spieler zurück aufs Feld. Start-ups vs. Konzerne. Was dann auf dem Kontinent passieren könnte, zeigt ein Rundblick in den Rest der Welt: Universitäten und kleine Start-ups wetteifern auf Augenhöhe mit Bayer/ Monsanto und Co. um die besten genomeditierten Pflanzen. So finanziert Mars etwa die Entwicklung einer Kakaopflanze, die gegen Pilze und Viren immun ist. Die Chinese Academy of Science bastelt gut duftenden Reis. Universitäten in den USA machen Zuckerrohr süßer, Tomaten gesünder und Schwammerl weißer. Kleine Firmen wie Yield10 Bioscience verkaufen ertragreichere Leindotter-Sorten, Miracle-Gro bringt Gräser auf den Markt, die langsamer wachsen und seltener geschnitten werden müssen.
Der Handel warnt davor, dass Gentechnik »durch die Hintertür« in Regalen landet. »Nicht unreflektiert alte Antworten darüberstülpen, wenn Dinge neu sind.«
Auch Europa könnte ab kommender Woche stärker mitmischen. Der Illusion, genomeditierte Nahrungsmittel in der EU komplett verhindern zu können, gibt sich ohnedies kaum noch jemand hin. Da die Pflanzen nicht von natürlich gewachsenen unterscheidbar sind, wird wohl kaum eine Behörde ernsthaft überprüfen oder gar garantieren können, dass wirklich nur „gentechnikfreie“Produkte im Binnenraum verkauft werden. Der Generalanwalt hat sich in seinem – meist richtungsweisenden – Schlussantrag daher auch dafür ausgesprochen, dass genomeditierte Pflanzen nicht unter die strengen Gentechnik-Vorschriften fallen sollen, wenn sie auch unter natürlichen Bedingungen hätten entstehen können. Seine Empfehlung holpert dennoch gewaltig: So soll es nationalen Regierungen weiter erlaubt sein, ihre eigenen Vorschriften zu schaffen. Das einzige Resultat: Das lähmende, innereuropäische Chaos in der Gentechnik-Frage wäre bis auf Weiteres einzementiert.