DANIELA ZUPAN
Die Österreicherin forscht derzeit im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts über das städtebauliche Leitbild Moskaus. höfen laden Riesenschaukeln zum Schwingen ein, und dazwischen, als Pfad der Zivilisation in der Ära Sobjanins, führen Wege mit grauen Granitsteinen, die als „Sobjanin-Fliesen“bekannt sind, akkurat eingefasst von gleichfarbigen Randsteinen. Außerhalb der alten Moskauer Zivilisationsgrenze des Gartenrings werden neue Metrostationen eröffnet, Wohnparks im Grünen gebaut, und bald brausen auch Elektrobusse auf den Straßen. Milliardenschweres Budget. Blagoustrojstwo bedeutet so viel wie Verbesserung der Wohnkultur. Dafür gab Moskau im Vorjahr Medienberichten zufolge 243 Milliarden Rubel aus. Das sind umgerechnet drei Milliarden Euro. Moskau kostet die Stadtverschönerung mehr als der Gesundheitssektor und das Bildungswesen. Das Beauty-Budget allein entspricht dem Jahresbudget des Gebiets Swerdlowsk, das immerhin mehr als vier Millionen Einwohner hat. Innerhalb Russlands missfällt die enorme Dotierung der Metropole durchaus.
Doch viele Moskauer sind stolz auf ihre verschönerte Stadt. Menschen wie Jana, 18, blondiertes Haar, pinkfarbener Pulli. Sie wird am heutigen Sonntag erstmals wählen gehen. Die Hauptstadt sei das Aushängeschild des Landes, sagt sie, auf Moskau könne man heute stolz sein. Parks, Fahrradwege, weniger Werbung im öffentlichen Raum – all das sei positiv. Beobachtungen, gegen die sich kaum etwas einwenden lässt. Aber das Kreml’sche Machtmonopol, das auch Sobjanins Wiederwahl sichert? „Klar wird er gewinnen, aber ich werde ihn dennoch unterstützen“, sagt die junge Frau. Und das viele Geld? „Geld ist da, um ausgegeben zu werden“, findet Jana.
Die gebürtige Grazerin Daniela Zupan forscht zur Moskauer Stadtentwicklung. Begriff sich Luschkow noch als autoritärer Hausherr Moskaus mit einem Faible für postmoderne Glaspaläste und Einkaufszentren, so nehme Sobjanin viele Konzepte aus dem Westen auf, erklärt sie. Nicht die Masse, sondern das Individuum stehe im Mittelpunkt der Maßnahmen. Mitbestim- mung ist zu einem Schlagwort geworden. „Partizipation bleibt aber meist ein Versprechen“, sagt die 33-Jährige, die an der Universität Stuttgart im Bereich Städtebau und Planungstheorie promoviert hat. Für die Hinwendung zur „Beautification“sieht Zupan zweierlei Gründe. Einerseits bekommt die Stadt seit der Krise 2008 die Grenzen des Wachstums zu spüren. Moskau musste sich im globalen Wettbewerb neu positionieren. Zugleich wurde der Unmut der Mittelklasse über planerische und politische Versagen größer. Sobjanin und sein Verschönerungsprogramm gelten als Antwort auf die Protestwelle der frühen Zehnerjahre. Auch wenn sich der Stadtchef und seine Planer betont apolitisch geben, hätten die Maßnahmen doch politische Hintergedanken. Primärer Adressat der Stadtplanung seien gebildete Städter, sagt Zupan. „Die oppositionelle Mittelschicht soll beruhigt werden. Im öffentlichen Raum kann man relativ schnell zeigen, dass sich etwas ändert.“
Das scheint aufzugehen. Zumindest kurzfristig. Proteste werden nicht mehr bewilligt, öffentliche Plätze werden mit einem ganzjährigen Unterhaltungsprogramm bespielt. Zupan gibt zu bedenken: „Verschönerungsmaßnahmen lösen gesellschaftliche Probleme nicht, sondern verlagern sie höchstens.“Nämlich in die Peripherie. In den Neubaubezirken kommt es immer wieder zu Kundgebungen wegen fehlender Kindergärten und Schulen. Im Frühling erschütterten Proteste gegen die Ausfuhr des Moskauer Mülls wochenlang das Umland der Metropole.
Von diesen sozialen Problemen ist rund um Sobjanins Wiederwahl nichts zu vernehmen. Als Restrisikofaktor gilt die Wahlbeteiligung, denn eine zu niedrige Teilnahme könnte Zweifel an der Legitimität des Resultats wecken. Von acht bis 22 Uhr sind die Lokale da- her geöffnet. Wahlcontainer im Umland warten auf die Datschenbewohner. Doch selbst regierungsnahe Umfragen prognostizieren nur eine Beteiligung von rund 30 Prozent. Korruption im Baubusiness. Einer der wenigen energischen Oppositionsstimmen in der Stadt ist Ilja Jaschin. Der 35-Jährige ist seit dem Vorjahr Chef des Bezirks Krasnoselskij nordöstlich des Zentrums. 40.000 Einwohner zählt sein Bezirk, doch richtig vertreten kann er die Bürger nicht. Die Lokalbehörden haben kaum Vollmachten. Jaschin, schwarzes Jackett, schwarze Hose, sitzt im zweiten Stock eines unscheinbaren Hauses und ist vor allem eines: lästig für Sobjanin in den sozialen Medien.
Seine Wahl im Vorjahr war ein seltener Erfolg für die Opposition. Doch bei der Bürgermeisterwahl gestatteten die Behörden kein Experiment. Der Schrecken von 2013 säße ihnen wohl in den Knochen, sagt Jaschin. Damals trat der Oppositionelle Alexej Nawalny gegen Sobjanin an – und erhielt knapp 30 Prozent. Sobjanin fuhr einen schwachen Sieg ein. 2018 verweigerte man Oppositionskandidaten mittels bürokratischer Hürde die Registrierung.
Jaschin kritisiert die Stadtverschönerung als „Fassadenpolitik“. Doch der smarte Jungpolitiker erhebt noch schwerwiegendere Vorwürfe gegen die Stadtregierung. Er zeichnet das Bild einer selbstherrlichen Elite, deren Zentrum Pjotr Birjukow sei, Sobjanins Vize und Wohnbauverantwortlicher.
1815 Kilometer Randsteine habe man seit 2015 verlegt, zählt Jaschin auf. „In Europa liegen diese zehn Jahre. Bei uns werden sie jedes Jahr ausgetauscht.“Die Teile würden zu völlig überhöhten Preisen von einer Firma eingekauft, die zu Birjukow führe. „Das ist ein primitiver Mechanismus“, sagt er. Doch die Stadtregierung wehre alle Anfragen ab. Auch Jaschins Bezirk wird von Sobjanins Arbeitertrupps verschönert. „Ich kann nichts dagegen tun“, sagt er. Wird er heute seine Stimme abgeben? Jaschin schüttelt den Kopf. „Das ist keine Wahl.“
Im Zentrum der Metropole ist es ruhig. Doch Müllproteste erschüttern das Umland.