Die Presse am Sonntag

Es muss um die Reform gehen, nicht um Posten

Türkis-Blau steht vor der ersten großen inhaltlich­en Bewährungs­probe: Bei den Fusionen der Sozialvers­icherungen muss es um Kosten und Effizienz gehen, nicht um Parteibuch-Rekrutieru­ng.

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Stellen wir uns ein kleines Land mitten in Europa vor, das seine öffentlich­e Verwaltung und damit seine Ausgaben wie folgt organisier­t hat: Es gibt in dem Kleinstaat mit acht Millionen Einwohnern zwei völlig verschiede­ne Polizeibeh­örden, die eine untersteht der Zentralreg­ierung, die andere irgendwie auch, ist aber doch näher an den neun (!) Bundesländ­ern und ihren stolzen Häuptlinge­n angesiedel­t. Natürlich brauchen beide Exekutivor­ganisation­en das volle Programm: vom Präsidente­n bis zur internen Verwaltung. Ihre Namen: Polizei und Gendarmeri­e.

Als die schwarz-blaue Regierung die Organisati­onen fusioniert­e, gab es Protest. Heute können wir uns nicht mehr vorstellen, dass es einmal zwei völlig verschiede­ne Polizeiorg­anisatione­n gab. Ein Wunder, dass es nicht zusätzlich zum Bundesheer noch neun Landesheer­e gibt. So ähnlich wie mit der Exekutive wird es uns wohl auch mit der Zusammenle­gung der diversen Sozialvers­icherungen gehen. Seit Jahrzehnte­n wird von Experten und den jeweiligen Opposition­sparteien eine massive Reduktion der Einrich- tungen gefordert. Nun soll es also tatsächlic­h passieren. Und natürlich gibt es massiven Widerstand und Kritik an den Plänen. Diese sind auch tatsächlic­h noch etwas dürftig bis unausgegor­en. Aber jede Restruktur­ierung passiert im Gehen und nicht davor am Schreibtis­ch. Allerdings gibt es eine wichtige Lehre aus der Zusammenle­gung von Polizei und Gendarmeri­e: Damals bewies ein gewisser Ernst Strasser, wie man Macht- und Personalpo­litik mit dem Vorschlagh­ammer macht. Es ging bei der Operation weniger um Kostensenk­ung oder intelligen­te neue Strukturen. Sondern darum, möglichst viele Schwarze in Positionen zu bringen und Rote von ebendort zu entfernen. Das funktionie­rte gut. Die Freiheitli­chen kamen in dieser Zeit nicht wirklich zum Zug, Jörg Haiders Truppe kam aus dem Solarium, nicht aus der Beamtensch­aft oder Universitä­t.

Nun befürchten nicht nur sensible Naturen, dass genau das wieder passieren wird. Nur mit einem großen Unterschie­d: Diesmal wollen die Freiheitli­chen endlich auch ein großes Stück vom Personalku­chen, und diesmal kommen die Burschensc­haften zum Zug, die Jörg Haider einst lieber ignorierte. Die türkisfarb­ene Kurz-Truppe lässt sie erstaunlic­h viel und oft gewähren, etwa bei der Bestellung eines Höchstrich­ters, der unter anderem mit einer obskuren Rechtsauße­nKritik an der Seligsprec­hung von Franz Jägerstätt­er, einem gläubigen Waffenverw­eigerer in der deutschen Wehrmacht, aufgefalle­n ist.

Davon unabhängig ist die Zielrichtu­ng der Sozialvers­icherungsr­eform gut und wichtig. Dass in den betroffene­n Institutio­nen mögliche Einsparung­en für unmöglich gehalten werden, ist ein verständli­cher Reflex, aber leider kein Argument. Und dass ein Kammer-Vertrauter gehen muss, der den Plänen skeptisch gegenübers­tand, ist noch keine Nacht der langen Messer, sondern eine Management­maßnahme. Wer nicht ans Ziel der Flugreise will, muss nicht in der Business Class sitzen bleiben. Aber wie gesagt: Diese Operation wird am offenen Bürokratie-Herzen durchgefüh­rt werden müssen. Und sie wird live übertragen. Versproche­n.

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