Wie viel Trump steckt im Boom?
Der US-Präsident sieht in tollen Wirtschaftsdaten eine Folge seines Wirkens. Ökonomen sind skeptisch. Wem die Amerikaner glauben, könnte die Midterm-Wahl entscheiden.
Ach, wie peinlich! Wieder einmal hat Donald Trump etwas falsch getwittert, und sein Chefökonom musste ihn öffentlich korrigieren. Nein, es ist nicht hundert Jahre her, dass die Arbeitslosenquote (3,9 Prozent) niedriger war als die Wachstumsrate (4,2 Prozent, rechnet man das zweite Quartal gleichmäßig auf ein Jahr hoch). Das Phänomen trat vor zwölf Jahren das letzte Mal auf, und davor immer wieder. Aber der Hohn klingt diesmal etwas hohl.
Denn die eigentliche Botschaft lässt sich nicht wegspotten: Die USWirtschaft erlebt einen veritablen Boom. Obwohl der Aufschwung schon lange dauert, legt er noch einen Zahn zu. Alle Kurven knicken nach oben: Investitionen, Löhne, Beschäftigung und Produktivität. Amerika hängt nicht nur Europa ab, sondern auch viele Schwellenländer. Selbst Schwarze und Industriearbeiter im Mittelwesten holen auf. Bisher konnten die Demokraten sagen: Das höhere Wachstumstempo hat schon vor Trumps Wahlsieg Ende 2016 eingesetzt, er ernte also nur die Früchte Obamas. Aber der jüngste Tick nach oben schwächt diese Argumentation.
„It’s the economy, stupid!“: Würden sich die Wähler nur an den alten Slogan von Bill Clinton halten, wären die Midterm-Wahlen am 6. November schon entschieden. Aber jüngste Umfragen zeigen, dass die US-Bürger differenzieren: Nur 37 Prozent sind mit Trump zufrieden, obwohl 70 Prozent die Wirtschaftslage als gut oder exzellent einschätzen. Umso emsiger ist das Weiße Haus bemüht, die Öffentlichkeit von einem Kausalkonnex zwischen dem segensreichen Wirken des Präsidenten und den tollen Daten zu überzeugen. Vor allem die große Steuerreform, die zu Jahresbeginn in Kraft trat, bietet sich als Erklärung an. „Die Steu- ersenkungen sind so beliebt, und sie haben unsere Wirtschaft so stark wie noch nie in der Geschichte unserer Nation gemacht“, schmettert Trump mit der ihm eigenen Bescheidenheit.
Aber hier zeigen sich Ökonomen außerhalb des Regierungsbezirks skeptisch. Einig ist man sich, wie der Effekt laufen müsste: Die Unternehmen, die von den Steuersenkungen stärker profitiert haben als private Haushalte, nutzen höhere Gewinne für mehr Investitionen. Das macht die Mitarbeiter produktiver, ihr Einsatz wird mehr wert. Die Löhne steigen, damit auch der Konsum – und ab geht die Post. Lange Zyklen. Aber, so die Skeptiker: Für Investitionen gibt es lange Zyklen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Firmen nur aus Freude über eine Steuerreform vorzeitig ihre Maschinen entsorgen und neue anschaffen. Umfragen zeigen: Das Gros der Unternehmen hat die Pläne (noch) nicht geändert. Dass die Investitionen im zweiten Quartal weiter zulegten, liegt vor allem am Energiesektor, der Mehreinnahmen durch steigende Ölpreise für neue Bohrlöcher nutzt. Sicher hat die Steuersenkung einen zumindest leicht belebenden Einfluss auf den Konsum. Und jedenfalls sorgte sie für stark steigende Unternehmensgewinne. Davon profitieren vorerst aber nur die Aktionäre und Manager. Die Ungleichheit bei den Einkommen, in den USA traditionell viel höher als in Europa, blieb 2017 unverändert und dürfte auch heuer zumindest nicht abnehmen.
Aber die Skepsis reicht noch weiter. Keinen Einfluss hat eine Steuerreform auf Rahmenbedingungen: Die Gesellschaft altert, der Zustrom von Frauen auf den Arbeitsmarkt schwächt sich zwangsläufig ab, große Innovationen fehlen. Solche Faktoren legen das Potenzialwachstum fest. Unabhängige Institutionen wie die Zentralbank Fed oder die parteiunabhängige Budgetbehörde des Kongresses (CBO) schätzen es unverändert auf rund zwei Prozent. Die drei Prozent, die heuer tatsächlich zu erwarten sind, sind also auf Dauer
Prozent
ist die aktuelle Arbeitslosenquote in den USA – so niedrig wie selten.
Billionen Dollar
ist die Deckungslücke, die sich nach unabhängigen Schätzungen aus der nicht gegenfinanzierten US-Steuerreform über zehn Jahre ergibt. nicht zu halten. Nach zwei Jahren, rechnet das CBO vor, verpufft der Effekt der Steuerreform. Was auch damit zu tun hat, dass sie – ebenso wie die massive Ausgabenerhöhung – auf Pump finanziert ist. Das Budgetdefizit schießt auf fünf Prozent empor. Die neuen Schulden senken die Kurse am Anleihenmarkt und treiben spiegelbildlich die Zinsen. Die Privaten können dann weniger investieren, ihre Nachfrage wird durch die staatliche „verdrängt“.
Und die Handelskonflikte? Nicht einmal Trumps Haus- und Hofökonomen schreiben den schon verhängten Strafzöllen gegen China eine wachstumsfördernde Wirkung zu. Aber einen positiven Vorzieheffekt gab es im zweiten Quartal: Vor Inkrafttreten der Vergeltungsschläge Pekings stopften die US-Sojabauern noch schnell die Lager ihrer chinesischen Kundschaft voll. Für das dritte Quartal sieht es schon weniger gut aus: Das aktuelle „Beige Book“der Fed berichtet von wachsender Sorge vieler Unternehmen, deren Importmaterialien sich verteuern. Auch Investitionen dürften deshalb zurückgestellt werden.
Obwohl der Aufschwung schon lange dauert, legt er noch einen Zahn zu. Wenn das Potenzialwachstum stagniert, erweist sich die Steuerreform als Strohfeuer.
Als Fazit bleibt also: Ein guter Teil des anziehenden Wachstums dürfte der guten (Welt)Konjunktur zu verdanken sein. Ein kleinerer Teil der Steuerreform – aber dieser Vorteil ist kurzlebig und mit hohen Risken erkauft.
Dennoch bleibt der Ausgang der Midterm-Wahlen völlig offen. Umfragen täuschen oft. Wie Trump selbst sind auch seine Wähler immer für Überraschungen gut. Dabei geht es um weit mehr als um die Nachhaltigkeit der US-Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Im Falle eines republikanischen Sieges in beiden Häusern dürften bei Trump letzte Skrupel fallen – und er könnte einen Weg einschlagen, der Amerika in Richtung Autokratie führt.