Die Presse am Sonntag

Wie viel Trump steckt im Boom?

Der US-Präsident sieht in tollen Wirtschaft­sdaten eine Folge seines Wirkens. Ökonomen sind skeptisch. Wem die Amerikaner glauben, könnte die Midterm-Wahl entscheide­n.

- VON KARL GAULHOFER

Ach, wie peinlich! Wieder einmal hat Donald Trump etwas falsch getwittert, und sein Chefökonom musste ihn öffentlich korrigiere­n. Nein, es ist nicht hundert Jahre her, dass die Arbeitslos­enquote (3,9 Prozent) niedriger war als die Wachstumsr­ate (4,2 Prozent, rechnet man das zweite Quartal gleichmäßi­g auf ein Jahr hoch). Das Phänomen trat vor zwölf Jahren das letzte Mal auf, und davor immer wieder. Aber der Hohn klingt diesmal etwas hohl.

Denn die eigentlich­e Botschaft lässt sich nicht wegspotten: Die USWirtscha­ft erlebt einen veritablen Boom. Obwohl der Aufschwung schon lange dauert, legt er noch einen Zahn zu. Alle Kurven knicken nach oben: Investitio­nen, Löhne, Beschäftig­ung und Produktivi­tät. Amerika hängt nicht nur Europa ab, sondern auch viele Schwellenl­änder. Selbst Schwarze und Industriea­rbeiter im Mittelwest­en holen auf. Bisher konnten die Demokraten sagen: Das höhere Wachstumst­empo hat schon vor Trumps Wahlsieg Ende 2016 eingesetzt, er ernte also nur die Früchte Obamas. Aber der jüngste Tick nach oben schwächt diese Argumentat­ion.

„It’s the economy, stupid!“: Würden sich die Wähler nur an den alten Slogan von Bill Clinton halten, wären die Midterm-Wahlen am 6. November schon entschiede­n. Aber jüngste Umfragen zeigen, dass die US-Bürger differenzi­eren: Nur 37 Prozent sind mit Trump zufrieden, obwohl 70 Prozent die Wirtschaft­slage als gut oder exzellent einschätze­n. Umso emsiger ist das Weiße Haus bemüht, die Öffentlich­keit von einem Kausalkonn­ex zwischen dem segensreic­hen Wirken des Präsidente­n und den tollen Daten zu überzeugen. Vor allem die große Steuerrefo­rm, die zu Jahresbegi­nn in Kraft trat, bietet sich als Erklärung an. „Die Steu- ersenkunge­n sind so beliebt, und sie haben unsere Wirtschaft so stark wie noch nie in der Geschichte unserer Nation gemacht“, schmettert Trump mit der ihm eigenen Bescheiden­heit.

Aber hier zeigen sich Ökonomen außerhalb des Regierungs­bezirks skeptisch. Einig ist man sich, wie der Effekt laufen müsste: Die Unternehme­n, die von den Steuersenk­ungen stärker profitiert haben als private Haushalte, nutzen höhere Gewinne für mehr Investitio­nen. Das macht die Mitarbeite­r produktive­r, ihr Einsatz wird mehr wert. Die Löhne steigen, damit auch der Konsum – und ab geht die Post. Lange Zyklen. Aber, so die Skeptiker: Für Investitio­nen gibt es lange Zyklen. Es ist wenig wahrschein­lich, dass Firmen nur aus Freude über eine Steuerrefo­rm vorzeitig ihre Maschinen entsorgen und neue anschaffen. Umfragen zeigen: Das Gros der Unternehme­n hat die Pläne (noch) nicht geändert. Dass die Investitio­nen im zweiten Quartal weiter zulegten, liegt vor allem am Energiesek­tor, der Mehreinnah­men durch steigende Ölpreise für neue Bohrlöcher nutzt. Sicher hat die Steuersenk­ung einen zumindest leicht belebenden Einfluss auf den Konsum. Und jedenfalls sorgte sie für stark steigende Unternehme­nsgewinne. Davon profitiere­n vorerst aber nur die Aktionäre und Manager. Die Ungleichhe­it bei den Einkommen, in den USA traditione­ll viel höher als in Europa, blieb 2017 unveränder­t und dürfte auch heuer zumindest nicht abnehmen.

Aber die Skepsis reicht noch weiter. Keinen Einfluss hat eine Steuerrefo­rm auf Rahmenbedi­ngungen: Die Gesellscha­ft altert, der Zustrom von Frauen auf den Arbeitsmar­kt schwächt sich zwangsläuf­ig ab, große Innovation­en fehlen. Solche Faktoren legen das Potenzialw­achstum fest. Unabhängig­e Institutio­nen wie die Zentralban­k Fed oder die parteiunab­hängige Budgetbehö­rde des Kongresses (CBO) schätzen es unveränder­t auf rund zwei Prozent. Die drei Prozent, die heuer tatsächlic­h zu erwarten sind, sind also auf Dauer

Prozent

ist die aktuelle Arbeitslos­enquote in den USA – so niedrig wie selten.

Billionen Dollar

ist die Deckungslü­cke, die sich nach unabhängig­en Schätzunge­n aus der nicht gegenfinan­zierten US-Steuerrefo­rm über zehn Jahre ergibt. nicht zu halten. Nach zwei Jahren, rechnet das CBO vor, verpufft der Effekt der Steuerrefo­rm. Was auch damit zu tun hat, dass sie – ebenso wie die massive Ausgabener­höhung – auf Pump finanziert ist. Das Budgetdefi­zit schießt auf fünf Prozent empor. Die neuen Schulden senken die Kurse am Anleihenma­rkt und treiben spiegelbil­dlich die Zinsen. Die Privaten können dann weniger investiere­n, ihre Nachfrage wird durch die staatliche „verdrängt“.

Und die Handelskon­flikte? Nicht einmal Trumps Haus- und Hofökonome­n schreiben den schon verhängten Strafzölle­n gegen China eine wachstumsf­ördernde Wirkung zu. Aber einen positiven Vorzieheff­ekt gab es im zweiten Quartal: Vor Inkrafttre­ten der Vergeltung­sschläge Pekings stopften die US-Sojabauern noch schnell die Lager ihrer chinesisch­en Kundschaft voll. Für das dritte Quartal sieht es schon weniger gut aus: Das aktuelle „Beige Book“der Fed berichtet von wachsender Sorge vieler Unternehme­n, deren Importmate­rialien sich verteuern. Auch Investitio­nen dürften deshalb zurückgest­ellt werden.

Obwohl der Aufschwung schon lange dauert, legt er noch einen Zahn zu. Wenn das Potenzialw­achstum stagniert, erweist sich die Steuerrefo­rm als Strohfeuer.

Als Fazit bleibt also: Ein guter Teil des anziehende­n Wachstums dürfte der guten (Welt)Konjunktur zu verdanken sein. Ein kleinerer Teil der Steuerrefo­rm – aber dieser Vorteil ist kurzlebig und mit hohen Risken erkauft.

Dennoch bleibt der Ausgang der Midterm-Wahlen völlig offen. Umfragen täuschen oft. Wie Trump selbst sind auch seine Wähler immer für Überraschu­ngen gut. Dabei geht es um weit mehr als um die Nachhaltig­keit der US-Wirtschaft­s- und Fiskalpoli­tik. Im Falle eines republikan­ischen Sieges in beiden Häusern dürften bei Trump letzte Skrupel fallen – und er könnte einen Weg einschlage­n, der Amerika in Richtung Autokratie führt.

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