Die Erben der Romanows
Matthew Weiner ist nach »Mad Men« ein neuer Streich gelungen: Die von Amazon produzierte Serie »The Romanoffs« enttäuscht unsere Erwartungshaltung aufs Raffinierteste.
Zunächst einmal: Nein, es handelt sich um keine Serie rund um die berühmte Zarenfamilie, die anno 1918 von den Bolschewiki erschossen wurde, auf dass keiner überlebe, der den Anspruch auf den russischen Thorn geltend machen könnte. Die Romanows kommen in der lang erwarteten, ab Freitag zu sehenden Serie „The Romanoffs“gar nicht vor, auch wenn sogar das Intro uns das noch glauben machen will: Pittoresk brechen sie dort zusammen, die adeligen Damen und Herren, über blütenweiße Kleider und adrette Uniformen fließt und tröpfelt das Blut. Die Serie, von Matthew Weiner geschrieben und inszeniert, spielt aber durchgehend in der Gegenwart. Acht Episoden. Was zur nächsten Erwartung führt, die hier bei manchem wohl enttäuscht wird. „The Romanoffs“ist eine sogenannte Anthologieserie. Und zwar eine, in der nicht nur die einzelnen Staffeln jeweils mit neuen Hauptpersonen und neuem Plot aufwarten, wie das bei „True Detective“, „Fargo“oder „American Crime“der Fall ist. Bei „The Romanoffs“wechselt in jeder Folge das Personal. Die acht Episoden sind eigentlich nur durch eine Idee miteinander verbunden: Die Protagonisten glauben allesamt, sie seien Nachfahren der Romanows oder tun zumindest so. Angeblich geht eine Folge auf die wahre Geschichte eines Michael Romanoff zurück, der in Kalifornien ein erfolgreiches Restaurant führte und gern damit prahlte, dass Zarenblut in seinen Adern fließe.
Wahren Suchtcharakter kann so eine Serie natürlich nicht entwickeln.
Das bedeutet für Weiner ein Risiko: Er kann sein Publikum nicht wie in „Mad Men“oder den „Sopranos“ durch Cliffhanger bei der Stange halten oder sich darauf verlassen, dass es auch nach einer schwächeren Folge wieder einschalten wird, man will schließlich wissen, wie es weitergeht. Bei jeder der acht Episoden beginnt Weiner bei null. Anthologieserien sind ein wenig wie Kurzgeschichten: Oftmals ambitioniert und künstlerisch aufregend wie etwa „Hotel 104“von den Brüdern Duplass oder „High Maintenance“von Katja Blichfeld und Ben Sinclair. Doch selten sehr erfolgreich. Vielleicht weil die Folgen schon zu Ende sind, wenn man mit den Figuren erst so richtig warm geworden ist? Und man sich so rasch nicht auf neue einstellen mag?
„The Romanoffs“machen diesen Fehler jedenfalls nicht. Jede Episode dauert eineinhalb Stunden, fast Spielfilmlänge. Zeit genug, die Geschichten auszubreiten. Etwa die der reichen Pariser Misanthropin Anushka, die ihren Hund Alexei nach dem ermordeten Zarensohn nennt und ihn vom Tisch essen lässt, er hat sein eigenes Tellerchen aus feinst verziertem Porzellan. Wenn der Neffe mit seiner Frau auf Urlaub fahren will, unterbindet Anushka das gern, indem sie sich ins Krankenhaus einliefern lässt: „Fahren Sie langsam, ich möchte ein allerletztes Mal den Arc de Triomphe sehen!“, ruft sie dem Sanitäter zu. Der Blutdruck sei nur ein bisschen hoch, befindet der Arzt. Der muslimischen Pflegerin (Ines` Melab) zählt sie gern auf, in welchen Schlachten das Christentum den Islam besiegt habe. Doch dann erweicht die junge Frau ihr Herz. Klingt ein bisschen wie eine weiblich besetzte Version von „Ziemlich beste Freunde“– wird dann aber überraschend präzise und böse. Verrückt oder genial? Wie auch die Folge mit Christina Hendricks (bekannt aus „Mad Men“als rothaarige Chefsekretärin): Die junge Schauspielerin Olivia reist nach Österreich, um einen Film zu drehen. Schon während der Fahrt vom Flughafen wird ihr mulmig, der Chauffeur will sie nicht wie vereinbart ins Hotel bringen, er habe
Matthew Weiner
(*1965 in Baltimore), studierte Film und arbeitete als Autor und Produzent von TV-Serien – u. a. für die Sitcom „Becker“.
2000
entwickelte er ein Drehbuch für die Pilotfolge von „Mad Men“. Als es David Chase in die Hände fiel, engagierte er Weiner als Autor für seine Serie „The Sopranos“. Zweimal erhielt Weiner dafür einen Emmy.
Weiners „Mad Men“
war noch erfolgreicher als die „Sopranos“und wurde mit mehreren Golden Globes und Emmys ausgezeichnet.
2013
erschien Weiners erster Film („Are You Here“); 2017 sein erster Roman („Alles über Heather“; Rowohlt). andere Anweisungen. Das erste Treffen mit der Regisseurin gibt dann endgültig den Ton vor: Die Spannung ist spür-, aber nicht benennbar. Diese Folge ist besonders raffiniert, gedreht wird nämlich ein Film über die Romanows, Olivia soll die Zarin Alexandra spielen und ist mit einer Regisseurin konfrontiert, die alles anders macht als gewohnt. So wie Isabelle Huppert diese Regisseurin spielt, weiß man nicht recht: Ist sie genial? Verrückt? Oder einfach nur überfordert? Dazwischen fällt der Strom aus, und der Geist eines kleinen Mädchens im Rüschenkleid verschwindet im Spiegelschrank. Heiter und unheimlich. Matthew Weiner spielt eben gern mit Versatzstücken verschiedener Genres. Jede einzelne Folge hat eine eigene Atmosphäre, heiter die eine, unheimlich die andere, eine dritte gleicht einem psychologischen Kammerspiel a` la Schnitzler. Und er enttäuscht auch, was den Plot betrifft, gern unsere Erwartungen. Nicht selten lässt uns der
Eine Folge spielt in Österreich – mit Isabelle Huppert als exzentrischer Regisseurin. Bei den »Romanoffs« ist es so: Glaube nie, du wüsstest, was jetzt kommt.
Schluss noch einmal einen ganz neuen Blick auf das Geschehen werfen. Was schon in der letzten Staffel von „Mad Men“hervorragend funktioniert hat. Wir sahen Don Draper leiden, wir sahen ihn zweifeln, an sich und an der Welt und an seinem eigenen Spruch, wonach Liebe nur erfunden worden sei, um Seidenstrümpfe zu verkaufen. Und am Ende? Alles nur ein kurzer Umweg auf dem Weg zum nächsten Triumph. Der Kerl ist imstande, die eigene Seele kommerziell auszubeuten. So ist das auch bei „The Romanoffs“.
Glaube nie, du wüsstest, was jetzt kommt. Amazon zeigt „The Romanoffs“ab 12. Oktober. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge, erst in englischer Originalfassung, ab Anfang 2019 auf Deutsch.