Eine Stimme, ätherisch zart, aber volltönend
Zum Tod der Operndiva Montserrat Caball´e, die in der Nacht auf Samstag 85-jährig in ihrer Heimatstadt Barcelona starb. Durch die harte Schule des deutschen Repertoiretheaters gegangen, wurde die Katalanin zum Inbegriff der Primadonna.
Gewiss, es sind große Interpretinnen im Sopranfach nachgerückt, es gibt sie, die Diven, die Primadonnen des angehenden 21. Jahrhunderts. Und doch wird man dieser Tage allenthalben lesen, dass „die letzte Primadonna“, Montserrat Caballe,´ 85-jährig in ihrer Heimatstadt Barcelona nach langer Krankheit gestorben ist.
Denn das ist wahr: Die Caballe´ war die letzte jener Bühnengestalten, die ihre Position als Weltstar noch in ihre Gestaltung der jeweils gerade zu verkörpernden Rollen hereinnehmen konnten. Sie verkörperten die Violetta, die Tosca, die Lucrezia Borgia ganz und gar, blieben dabei aber immer auch noch ganz und gar sie selber!
Die Caballe´ konnte in Ausnahmefällen sogar für Augenblicke ihre Rolle ausblenden und für Momente voll und ganz Montserrat Caballe´ sein, in dem sie etwa inmitten einer Aufführung von Bellinis „Norma“ihren Gesang unterbrach, um die Bühnenarbeiter, die gerade nicht ganz so mucksmäuschenstill waren wie das Publikum, zurechtzuweisen. Grenzfälle. Es sind solche Grenzfälle, in denen die armen Intendanten sich dann nicht ganz klar darüber sind, ob und wie sie diese Künstlerin, die sie unter Vertrag genommen haben, disziplinieren sollen und können. Stars dieses Kalibers dürfen sich notorisch viel bis alles erlauben, solange das Publikum am Ende begeistert ist. Oftmals ist das Ereignis, dass ein Sänger überhaupt in Erscheinung tritt; egal, was er tut.
Insofern war die Caballe´ eine „letzte Große“. Ihr Ruhm ruhte auf zwei Säulen, deren eine allerdings in Würdi- gungen gern vergessen wird. Die allgemein anerkannte Grundlage des Weltruhms der katalanischen Sopranistin war ihr sicheres Stilgefühl und ihr Vermögen, musikalische Phrasen makellos in allen dynamischen Stärkegraden und in allen Registern ihrer Stimme zu formen.
Die andere: Diese Stimme war von einer Robustheit und Belastungsfähigkeit, die lange Zeit jeglichen Raubbau zu ermöglichen schien und erst vergleichsweise spät die unausbleiblichen Verschleißerscheinungen hörbar werden ließ. Die Robustheit ermöglichte der Sängerin in den späten 1950er-Jahren einen Karrierestart auf Provinzbühnen, wo man im damals noch allseits gepflegten Repertoiretheater Ensemblemitgliedern unmenschliche Leistungen abverlangte. Ein junges Mitglied des Hauses mit den nötigen stimmlichen Reserven hatte sich durch den ganzen Spielplan zu singen, im leichten wie im schweren Fach seinen Obolus zu leisten.
Das überlebten zarter besaitete Sänger nicht. Die enorme Dichte des Repertoires führte freilich aus späterer Perspektive zu echten Kuriosa. So staunten Melomanen der 1970er-Jahre auf der Suche nach illegalen Livemitschnitten zur Befriedigung ihrer Stimmsucht nicht schlecht, wenn sie in den Regalen einschlägiger Plattenläden Aufnahmen von Werken fanden, deren Titel sie nie und nimmer mit dem Namen des Belcantostars assoziiert hätten. Besonders sorgte etwa eine Aufnahme von Anton´ın Dvoˇraks´ Spätwerk „Armida“für Aufsehen, der in Bremen entstand, 1961, in jener Zeit, die man in freier Assoziation zu Giuseppe Verdis Lebenslauf die „Galeerenjahre“der Sängerin nennen darf. Start als Mimi. Im Anschluss an ihre Vokalstudien im heimatlichen Barcelona und in der Opern-Hochburg Mailand war die junge Sopranistin aus Katalonien nämlich zuerst in Basel engagiert, wo sie 1956 als Mimi in Puccinis „La Boh`eme“ihr Debüt absolvierte. Danach ging es nach Saarbrücken und nach Bremen. Und nur der Weitsicht des dortigen Generalmusikdirektors, Gerd Albrecht, ist es dem Vernehmen nach zu verdanken, dass man der Künstlerin nebst kleinen, mittleren und großen Rollen buchstäblich aller Couleurs nicht auch noch die Elektra abverlangte . . .
Die erstaunlichsten und für den Test der Elastizität ihrer Stimmbänder teils brutalsten Aufgaben hatte die Caballe´ jedenfalls bereits absolviert, als sie 1965 die Chance bekam, über Nacht für die erkrankte Marilyn Horne in einer konzertanten Aufführung von Donizettis „Lucrezia Borgia“einzuspringen. Die anfängliche Enttäuschung des Publikums in der New Yorker Carnegie Hall schlug nach den ersten Phrasen der Caballe´ in helle, zuletzt hysterische Begeisterung um. Ein Star war geboren. Ätherische Pianissimi. Da waren die oft ätherisch zart, aber bis in höchste Höhen volltönend strömenden Höhen, die ausdauernd gebundenen und modellierten Phrasen. Maria Callas, die den Startschuss zu jener damals gerade einem Höhepunkt zusteuernden Wiederbesinnung auf den klassischen Belcanto gegeben hatte, erkannte bald die eminente Qualität der jüngeren Kollegin und sollte später erklären, die Caballe´ sei die Einzige, die sie als „Nachfolgerin“akzeptieren könne.
Auch die Bühnenarbeiter hatten mucksmäuschenstill zu sein, Zuschauer sowieso