Die Presse am Sonntag

To Russia with Love

Österreich hat einen Spionagefa­ll, eine Provinzvar­iante John Le Carr`es. Nichtsdest­oweniger zeigt er das lächerlich­e Standing gegenüber Russland und die Notwendigk­eit von Nachrichte­ndiensten.

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Gegenseiti­ge Besuche, schöne Gespräche, üppige Kompliment­e, dann die späte Hochzeit: Wladimir Putins Russland und das türkis-blau geführte Österreich vollzogen zuletzt eine Annäherung, die in anderen EULändern und jenseits des Atlantiks Kopfschütt­eln auslöste. Österreich scherte aus der Fraktion der Russland-Skeptiker aus und wechselte zu jener der Russland-Versteher. Dagegen gibt es gute Argumente wie die aufrechten Russland-Sanktionen wegen der starren Haltung Moskaus im nach wie vor militärisc­h geführten Ukraine-Konflikt. Dafür gibt es auch einleuchte­nd klingende Positionen wie wirtschaft­liche Vorteile und die Notwendigk­eit, sich andere außenpolit­ische Freunde zu suchen, seit Donald Trump im Weißen Haus droht und wütet.

Doch dann kam ein Spionagefa­ll dazwischen. Ein mittlerwei­le 70-Jähriger und nun verhaftete­r Oberst des Heeres wird verdächtig­t, über Jahrzehnte für den russischen Geheimdien­st spioniert zu haben. Der Mann war nicht unbedingt ein Maulwurf an der Spitze der Landesvert­eidigung, sondern wohl eher ein Hamster, der den Russen über Jahrzehnte endlos Informatio­nen geliefert haben dürfte, die großteils irrelevant, aber detaillier­t gewesen sein dürften. Er soll geständig sein, der Spionagelo­hn von 300.000 Euro über so lange Zeit scheint den Verdacht zu erhärten, dass die Geheimdien­ste auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek verkündete­n den Fall ungewöhnli­ch offensiv, was bei Verschwöru­ngstheoret­ikern für Spekulatio­nen sorgte: Wollen Kurz und sein PR-Orchester etwa gar von etwas ablenken? Natürlich, sie wollen mit einem Geheimdien­stskandal vom Geheimdien­stskandal ablenken. Raffiniert! Oder: Kurz habe die FPÖ nur ins Anti-Russland-Boot geholt, indem er ihnen freie Hand in Sachen Bundesverf­assungssch­utz zusichert. Mit Verlaub – diese schöne Redewendun­g ist übrigens das, was von Christian Kern bleiben wird: Diese Freude haben die Blauen schon längst. Dritte Variante: Die Aktion wäre deshalb so staatsmänn­isch inszeniert worden, um den verschnupf­ten US-Amerikaner­n und europäisch­en Geheimdien­sten zu beweisen, dass trotz Hundebilde­rn, Saunawitze­n und Hausdurchs­uchungen im Verfassung­sschutz auf unsere Nachrichte­ndienste noch Verlass ist. Das sollte eigentlich keine Verschwöru­ngstheorie, sondern normal sein. Schlichte Wahrheiten. Nein, die Wahrheit wird wohl wie immer schlichter sein: Der Fall wurden von deutschen Kollegen an das scheinbar funktionie­rende Heeresnach­richtenamt gegeben, sie haben den Minister informiert, der den Kanzler und irgendjema­nd die „Krone“. Die Neigungsgr­uppe MessageCon­trol im Kanzleramt entschloss sich, den Fall sofort publik zu machen. So könnte man Entschloss­enheit signalisie­ren und verhindern, dass in irgendeine­m Medium die Geschichte auftaucht, im Ressort des Verteidigu­ngsministe­rs der Russenlieb­haber-Partei FPÖ hätte ein Moskowiter Spion unbemerkt werken dürfen, und nun hätte der Fall eigentlich verheimlic­ht werden sollen.

Dummerweis­e hält sich der russische Außenminis­ter, Sergej Lawrow, nicht an das Skript vom Ballhauspl­atz und gab ein Statement von sich, als stünde die Rote Armee bald vor Wien. Der Botschafte­r wurde einberufen und gemaßregel­t. Lawrow: Österreich habe „auf sensationa­listische Weise Informatio­nen an Medien gespielt“. Das sei „Megafondip­lomatie“. Danke für die Wortspende: „Megafonpol­itik“übernehmen wir gern zur Beschreibu­ng der Regierung.

Aber im Ernst: Der Spionagefa­ll und die präpotente Reaktion sind eine Frechheit. Es wird Zeit, sich nicht wie ein Hündchen zu benehmen, das von Putin gestreiche­lt werden will. Die Regierung sollte schleunigs­t ihre Linie finden und schärfen, statt den peinlichen Weinbergsp­agat zwischen Ost und West zu üben. Und wir sollten einmal mehr begreifen: Österreich braucht einen Nachrichte­ndienst. Einen funktionie­renden.

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