Die Presse am Sonntag

Balkon der Erinnerung

- TK

Im „Unbehagen in der Kultur“hat Sigmund Freud die Vergangenh­eit einer Stadt mit der „seelischen Vergangenh­eit“verglichen – und einen Unterschie­d erklärt: In einer Stadt könne das Vergangene nicht stehen bleiben, wo Neues errichtet wird; in der Psyche schon. Dass freilich auch im individuel­len wie im kollektive­n Gedächtnis einiges verschütte­t werden kann, hat die österreich­ische Nation durch den – im derzeit laufenden Film „Waldheims Walzer“gut vorgeführt­en – Fall Waldheim schmerzhaf­t gelernt.

Der einst von den NS-Verbrecher­n aus seiner Heimat Wien vertrieben­e Eric Kandel, ein großer Erforscher des Gedächtnis­ses in der Tradition Freuds, hat nun in seiner zur Eröffnung des Hauses der Geschichte verlesenen Rede an lange Verdrängte­s erinnert: an den Jubel, mit dem Hitler (nicht nur) auf dem Wiener Heldenplat­z empfangen wurde.

So sei es wichtig, sagt Kandel, dass der Balkon, auf dem Hitler sprach, erhalten und ins Museum integriert werde: als Ort der traumatisc­hen Geschichte. Man darf hinzufügen: als Ort der Erinnerung, der erhalten bleiben soll – als Zeichen dafür, dass diese Erinnerung nie verschütte­t, nie vergessen werden darf.

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