Im Lager der unerwünschten IS-Frauen
Im Roj-Camp leben 500 Islamistinnen, auch aus Österreich. Von Schuld wollen sie nichts wissen.
Evelyn ist noch immer von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, so wie man das von Frauen des Islamischen Staats (IS) kennt. Nur der sonst vorgeschriebene Gesichtsschleier fehlt. Wie eine fanatische Überzeugungstäterin sieht die 19-jährige Österreicherin allerdings nicht aus. Mit ihren großen Augen, der Gesichtshaut einer Pubertierenden und einem fast spitzbübischen Lächeln wirkt sie wie ein lebenslustiges, junges Mädchen. Aber natürlich kann sie nicht von der Disco oder ihrer Lieblingsfernsehserie erzäh- len. Denn Evelyn ist 2015 nach Syrien zum IS gegangen. „Ich wollte einfach zu meinem Ehemann“, sagte sie, als wäre es das normalste der Welt, sich aus Liebe der Terrormiliz anzuschließen. „Er hat mich zwar gewarnt, dass es sehr gefähr- lich sei, aber ich konnte nicht anders. Ich mag ihn eben sehr.“
Die gebürtige Wienerin hat dafür einen hohen Preis bezahlt. Evelyn gehörte mit ihrem verwundeten Mann, der Großmutter und dem erst sechs Monate alten Sohn zu den Letzten, die im Oktober 2017 aus der umzingelten IS-Hochburg Raqqa geflohen sind. Im Kugelhagel mussten sie stundenlang im Wasser des Euphrats waten und schwimmen, bis sie endlich am Pfeiler einer zerstörten Brücke hochklettern und verschwinden konnten. „Nachts kann ich nicht schlafen“, sagt Evelyn mit starrem Blick, „jedes Geräusch weckt die Erinnerung an Flugzeuge, Bomben und Schüsse.“
Heute sitzt ihr afghanischer Mann im Gefängnis, und sie lebt mit ihrem eineinhalb Jahre alten Sohn und der Großmutter in einem Zelt des Roj-Camps in Nordsyrien. Es ist ein Lager, in dem rund 500 IS-Frauen mit 1200 Kindern gefangen gehalten werden. Über 100 der Frauen stammen aus europäischen Ländern. „Die meisten davon wollen zurück in ihre Heimat, aber bisher will sie niemand“, berichtet Evelyn, die selbst noch unschlüssig ist, wohin sie gehen will. „Ungeheurer Aufwand“. Die IS-Frauen werden von ihren europäischen Heimatstaaten als Sicherheitsrisiko eingestuft. Nicht anders ist es mit mehreren Hundert IS-Kämpfern aus westlichen Ländern, die in Gefängnissen Nordsyriens inhaftiert sind. In einigen Fällen sollen Geheimdienste zwar versprochen haben, dass sie zurückgeholt werden. Aber passiert ist bisher nichts.
Nur der Sudan, Marokko und Russland waren bereit, ihre Staatsangehörigen bedingungslos wieder hineinzulassen. „Wir wollen die Familien loswerden“, versichert die Leiterin des RojCamps; sie würden einen „ungeheuren Aufwand“bedeuten. „Irgendwann müssen wir eine Lösung finden“, sagt auch Khalid Ibrahim von der Menschenrechtskommission Nordsyriens. Wenn es nach ihm ginge, müssten die Familien sofort zurückgenommen und die Kämpfer vor ein internationales Gericht gestellt werden. Aber das ist derzeit noch eine Utopie. Viele Möglichkeiten bleiben der kurdischen Selbstverwaltung nicht. Staatsrechtlich gesehen wäre das syrische Regime zuständig, da es die offiziell anerkannte Regierung des Landes ist.
Frankreich hat indessen ein Angebot gemacht, nur die Kinder der französischen Frauen aufzunehmen. „Aber welche Mutter wird ihr Kind einfach weggeben?“, fragt die Leiterin des Camps. Auf ihre Regierungen sind einige IS-Frauen aus Deutschland und Belgien, die im Hof der Verwaltung stehen, nicht gut zu sprechen. „Die wollen sich zivilisiert nennen“, schimpft eine Deutsche. „Die Regierungen sollen sich um uns wie Staatsbürger kümmern und nicht wie Menschen zweiter Klasse!“„Ist das zynisch!“, ruft eine andere. „Die Franzosen wollen die Kinder nehmen, und ihre Mütter lassen sie versauern.“
Von Schuld wollen die Frauen nichts wissen, obwohl sie noch 2015 zum IS gegangen sind. Damals waren die brutalen Verbrechen der Terrormiliz längst bekannt. In Sindjar lief seit einem Jahr der Genozid gegen die Jesiden. Der IS erschoss Tausende Männer, und die Frauen wurden als Sklaven verkauft. „Ihr da draußen macht uns zu den Bösen, aber das ist nicht so einfach“, behauptet eine Deutsche. „Nicht alles ist Schwarz und Weiß.“Jeder habe sein individuelles Schicksal. „Und sagt jetzt nicht, wir haben dieses miese Leben im Lager verdient! Sind wir keine Menschen?“
Evelyn wirkt weit gelassener als die anderen. „Das Essen ist nicht überragend, aber so ist das eben einmal.“Sie erzählt, dass die anderen Frauen ihre Kinder nicht in die Schule lassen, weil dort Musik unterrichtet wird – ein Fach, das beim IS verboten war. Die totalitäre Ideologie ist nicht leicht aus den Köpfen zu verdrängen. Während der IS-Herrschaft hatte sie ständig Angst, für eine Spionin gehalten zu werden, sagt Evelyn. „Jeder konnte das plötzlich sein.“Sie weiß heute: Der IS war eine einzige inhumane Verfehlung, die mit dem Islam nichts zu tun habe. Sie hätte nicht nach Syrien kommen dürfen, sagt sie. Der Glaube scheint ihr aber geblieben zu sein. „Je schrecklicher alles um einen wird, desto mehr und tiefer gibt er Halt.“