»Man ist ein Getriebener«
Bildungsminister Heinz Faßmann spricht offen darüber, warum er sich noch immer nicht als Politiker sieht, weniger Aktionismus besser wäre – und er zusammenzuckte, als Innenminister Kickl sagte, Österreich sei kein Einwanderungsland.
Sie waren lang Universitätsprofessor und betonen auch in der Bundesregierung gern Ihre Expertenrolle. Wie schwer war der Wandel zum Politiker? Heinz Faßmann: Ich sehe mich noch immer nicht als Politiker – zumindest nicht als einen, der Politik verinnerlicht hat. Man bleibt, was man ist. Meine Art und Weise des Denkens ist immer noch eine wissenschaftliche. Glauben Sie, dass Sie in dieser Legislaturperiode noch zum Politiker werden? Ganz offen gesagt nicht. Hat Politiker zu sein, für Sie einen negativen Beigeschmack? Nein. Aber man muss in die Rolle eines typischen Politikers über eine parteipolitische Karriere hineinwachsen. Da lernt man Aushandlungsprozesse zu betreiben, um bestimmte Dinge durchzusetzen. Das kommt für mich zu spät, das wird sich nicht mehr ausgehen. Ist Ihnen das Vernetzen und das Ziehen politischer Fäden prinzipiell zuwider? Ich will das nicht moralisch bewerten. Ich habe das nicht gelernt. Es ist auch nicht mein Talent. Das lasse ich jenen über, die das sehr viel besser können. Aber es ist beides notwendig: Gestaltung der Inhalte und Durchführung der politischen Prozesse. Das Kabinett eines Ministers ist wichtig, um die Prozesse durchzuführen, um mit dem Koalitionspartner, der Opposition und dem Parlament zu sprechen und Maßnahmen auch durchzusetzen. Sie betonen Ihre Wissenschaftlerrolle. Zugleich sagen Sie, dass die Wiedereinführung der Ziffernnoten in der Volksschule eine rein politische Entscheidung sei und es nicht immer wissenschaftliche Fundierung gebe. Verstehen Sie, dass das für Kritik sorgt? Da haben mich die Kritiker überrascht. Sie müssten doch so weit Profis sein, um zu wissen, dass es nicht für alles wissenschaftliche Analysen gibt. Es gibt keine Studie, die exakt sagt, ab der dritten Klasse sind Noten pfui, aber ab der vierten hui. Das ist zu detailliert. Worauf basiert die Entscheidung dann? In erster Linie auf dem Koalitionspakt. Doch weshalb steht es dort drinnen? Dahinter stehen schon empirische Realitäten, die man zur Kenntnis nehmen muss, denn auch verbale Beurteilungen erfüllen die Ziele, die man in sie gesetzt hat, nicht oder nur unzureichend. Sie haben in einem Interview die Frage, ob die Gesamtschule sinnvoll ist, nicht beantwortet und gemeint, Sie seien kein Bildungswissenschaftler, Ihre Expertise sei die Demografie. Ist das nicht ein ungewöhnlicher Zugang eines Bildungsministers? Ich würde das genau so wieder sagen. Es ist ein vollkommen falsches Bild, das stets vermittelt wird: Politiker sind nicht immer allumfassend und weise. Die Ehrlichkeit zu sagen, dass ich mich auch auf ein Ministerium verlassen muss, sollte jeder haben. Ist Politik für Ihren Geschmack zu schnell? Es gibt definitiv zu viel Aktionismus. Das liegt auch an einem symbiotischen Verhältnis zwischen Medien und Politik. Um im Wettbewerb zu bestehen, braucht die Politik die Medien, und die Medien brauchen etwas, worüber sie berichten können. Deshalb wird alles Mögliche angekündigt und ein Papier nach dem anderen präsentiert. Welches Papier hat die Regierung nur deshalb präsentiert, um die Medien zu füttern? Jetzt machen Sie es genau so. Ich plädiere für Entschleunigung und Relaxtheit. Es muss nicht jeden Tag eine neue Nachricht geben. Politiker müssten sagen: Ich habe eine langfristige Perspektive und da muss nicht gleich morgen alles realisiert sein. Da braucht es eine vernünftige Analyse und eine breite Diskussion mit Tiefgang. Wir lassen die Dinge reifen und brechen sie nicht übers Knie. Gelingt Ihnen das? Es ist mühsam. Man ist ein Getriebener, aber ich versuche, nicht im Treibsand zu versinken. Gab es bei der Entscheidung der Regierung, den UN-Migrationspakt nicht zu unterzeichnen, eine Diskussion mit Tiefgang? Da muss ich ganz offen sagen: Nein. Es hätte sehr viel früher, während der Verhandlungen, einen Diskussionsprozess geben müssen. Denn der Migrationspakt ist inhaltlich nicht ausgereift. Sie wurden innerhalb der Regierung nicht in die Beratungen miteinbezogen. Was hätten Sie als Demograf geraten? Ich hätte geraten, sich schon im Laufe der Verhandlungen dafür einzusetzen, dass der Migrationsbegriff in diesem Pakt genauer definiert wird. Es gibt viele Formen der Migration: Asylzuwanderung, Familiennachzug, Arbeitsmigration, Altenwanderung, studentische Wanderung, ethnische Wanderungen und so weiter. Ich hätte gesagt: Liebe Beamte, die ihr hier verhandelt, über welchen Migrationsprozess sprecht ihr hier eigentlich? Eine solche Definition hätte selbst jeder Student bei seiner Masterarbeit vornehmen müssen. Aber geht es hier nur um eine schlampige Definition oder fürchten Sie, wie Kanzler und Vizekanzler, um Österreichs Souveränität? Die Befürchtung, dass Österreichs Souveränität beschnitten wird, teile ich nicht. Österreich hat auch bereits viele andere Migrationspapiere unterschrieben. In diesem sind aber sehr viele unkonkrete, moralische Appelle enthalten. Dahingehend verstehe ich, dass man sagt, wir enthalten uns. Ihre Kollegen aus der Forschung verstehen das nicht. Sie haben einen offenen Brief geschrieben und sich „entsetzt“gezeigt. Das ist mir viel zu emotional. Rational muss man sagen: Der Migrationspakt hat wesentliche Dinge nicht definiert und müsste weiterverhandelt werden, um ihn zu einem besseren Papier zu machen. Denn dass der globale Ansatz der richtige ist, steht außer Frage. Nicht bei allen. Vizekanzler Heinz-Christian Strache sagte, dass Migration immer nur vom jeweiligen Staat zu lösen sei. Die unmittelbare Frage, wer in ein Land einwandern darf, ist national zu beantworten. Doch alles andere – also etwa die Frage, wie Fluchtursachen bekämpft werden können, – geht zwingend über den Nationalstaat hinaus. Sind Sie innerlich zusammengezuckt, als Innenminister Herbert Kickl sagte, dass Österreich kein Einwanderungsland sei? Ja, tatsächlich. Österreich ist natürlich ein Einwanderungsland. Das lässt sich, wenn man auf die empirischen Fakten blickt, nicht bestreiten. Davon ist das politische Selbstbild zu unterscheiden. Haben Sie Minister Kickl das schon erklärt? Nein, aber wenn man ihn auf die Fakten hinweist, würde er es wahrscheinlich einsehen. Aber es ist nicht meine Aufgabe, die Wissensbestände des Innenministers zu beurteilen. Wäre es nicht Zeit, härter aufzutreten? Ja, im Bedarfsfall ist das nötig. Gleichzeitig ist aber eine gewisse Loyalität der Regierung gegenüber zu zeigen. Herr Haimbuchner sorgt für die Steigerung meines Bekanntheitsgrads. Inhaltlich ändert das nichts: Es sprechen viele gute Argumente gegen eine Deutschpflicht auf dem Schulhof. Das Thema Migration Überdeckt es vieles? Sicher. Migration ist nicht unwichtig, aber es gibt viele andere Themen, die für die Zukunftsfähigkeit des Landes mindestens ebenso wichtig wären. ist dauerpräsent.