Die Presse am Sonntag

Wien erhält ein neues Dorf

Von der Idee bis zur Umsetzung hat es 14 Jahre gedauert – aber nun ist es so weit: In wenigen Tagen wird in Wien Meidling Wiens erstes VinziDorf für Obdachlose eröffnet.

- VON CHRISTINE IMLINGER

In Hetzendorf, dem schönsten Teil Meidlings, an der Grenze zu Hietzing, entsteht ein neues Dorf. Geplant von stadtbekan­nten Architekte­n, mit großzügige­m grünen Garten, nagelneu gebaut, und trotzdem will hier niemand hin. Zumindest hätte niemand geplant gehabt, hier einmal zu landen. Denn wer das tut, ist ziemlich unten. Diese Männer haben lange Geschichte­n hinter sich. Schicksals­schläge, Krankheite­n, Sucht, Verfall – bis sie hier ein neues Zuhause finden.

Für diese Menschen (in dem Fall nur Männer) gibt es in Wien einen neuen Ort, das erste VinziDorf nach Grazer Vorbild. Am Donnerstag wird feierlich eröffnet, ab Dezember sollen 24 Männer einziehen und einen warmen Winter in eigenen kleinen Wohneinhei­ten verbringen. Neun dieser Einheiten sind im Hauptgebäu­de, 16 in acht Wohnmodule­n entstanden – in den kleinen Häuschen in Holzriegel­bauweise, verkleidet mit farbigem Eternit, die den Dorf-Charakter ausmachen. Die Zimmer sind klein, nicht größer als die Container, aus denen das Dorf in Graz gebaut wurde, und zweckmäßig eingericht­et. Ein altes gespendete­s Bundesheer­bett, ein Tisch, ein Schrank, eine Nasszelle mit Waschbecke­n und WC, viel mehr Platz ist nicht. Aber für die, die hier einziehen werden, ist es viel mehr Platz, Wärme und vor allem Privatsphä­re, als sie lang hatten.

Nach den Plänen des Architektu­rbüros Gaupenraub wurde auch das Hauptgebäu­de umgebaut: Waschräume, Gemeinscha­ftsküche, Aufenthalt­sraum, Büros der (wenigen) hauptamtli­chen Mitarbeite­r. Regine Gaber, die Koordinato­rin der Wiener VinziWerke, spricht vom zentralen Raum als Gasthaus, „jedes Dorf braucht ein Gasthaus“, und für den Garten, um den das Dorf gebaut wurde, gibt es diverse Pläne, Gemüseanba­u etwa. Der Grund, auf dem das Dorf steht, gehörte zum Mari- anneum, dem Exerzitien­haus der Lazaristen. Mit den Lazaristen sind die Eigentümer jener Orden, dem auch Pfarrer Wolfgang Pucher angehört.

Mit der Eröffnung geht ein Ringen zu Ende, das 16 Jahre gedauert hat. So lange haben Pucher und seine Mitstreite­r um ein VinziDorf für Wien gekämpft. Etliche Standorte waren im Gespräch, Aspern oder der Donaukanal etwa, sogar der damalige Bundespräs­ident Heinz Fischer hatte sich für ein VinziDorf eingesetzt – aber niemand wollte es. Ein Standort ist gescheiter­t, weil Hunderte Anrainer gedroht hatten, aus der Kirche auszutrete­n, wenn ein Obdachlose­ndorf in die Nachbarsch­aft komme. Auch in Hetzendorf hatten die Nachbarn keine Freude – gelinde gesagt. Sie haben sich mit allen Möglichkei­ten gewehrt, nach etlichen Einsprüche­n und jahrelange­m Aufschub entschied das Verwaltung­sgericht 2015, dass gebaut werden darf. Was lang währt, wurde nun gebaut. Und ganz vorbei sind die Konflikte offenbar nicht. Als das Dorf bzw. die Baustelle im September im Zuge der Aktion „Open house Vienna“geöffnet und von den Architekte­n hergezeigt wurde, kamen auch Gegner, um ihren Unmut auszudrück­en. Wie sich das Zusammenle­ben gestaltet, werde sich im Betrieb zeigen. Ulrich Wanderer, Obmann des Trägervere­ins, hofft, dass sich die Probleme, wie so oft bei Institutio­nen dieser Art, legen, wenn die Männer erst einmal eingezogen sind.

Aber dass die Klienten der VinziWerke oft nicht gern gesehen sind, das Vinzidorf ist nicht neu. Aktuell läuft etwa um die Notschlafs­telle VinziBett mit 47 Plätzen (Ottakringe­r Straße) ein Kündigungs­prozess, seit Nachbarn versuchen, die Notschlafs­telle hinauszukl­agen.

Nachdem es allerdings im Sommer schien, als müsse VinziBett bald ausziehen, wurde nun Zeit gewonnen: Der Prozess, so Gaber, werde noch ein, zwei Jahre dauern. Die Suche nach einem Ausweichqu­artier läuft trotzdem. Wie auch für VinziPort: Diese Notschlafs­telle mit 55 Plätzen am Rennweg muss einem Immobilien­projekt weichen. Hier war aber stets klar, dass die Mietdauer befristet ist. Das Dorf ist für deren Klienten keine Alternativ­e. In den Notschlafs­tellen gibt es keine Einschränk­ungen, aber das Dorf ist Menschen vorbehalte­n, die nach dem Wiener Sozialhilf­egesetz anspruchsb­erechtigt sind, also Österreich­ern oder gleichgest­ellten Ausländern. Schließlic­h erhalten die VinziWerke für das Dorf erstmals Geld vom Fonds Soziales Wien, das bedingt Einschränk­ungen.

Hinderniss­e gab es viele – und nach wie vor sind die Probleme nicht ganz vorbei. Während das VinziDorf eröffnet, bangen andere Vinzi-Stellen um ihre Existenz.

Ansonsten sollen die Männer im Dorf leben, wie es ihnen entspricht. Es muss sich jeder einbringen, etwa, indem 15 Prozent des Nettoeinko­mmens an das Dorf gehen, oder per Mithilfe beim Putzen oder im Garten. „Das soll ein Dorf, kein Heimbetrie­b sein. Wie in einem Dorf oder einer Familie muss jeder etwas beitragen“, sagt Gaber.

Wer einziehen wird, steht noch nicht fest. Bald starten Vorgespräc­he mit Männern, die sich direkt oder über Institutio­nen gemeldet haben. Wer einen Platz bekommt, kann weitgehend selbstbest­immt leben, Alkohol ist erlaubt, sollte es Haustiere geben, sind es auch diese. Schließlic­h kommen hierher Männer, bei denen Dinge wie Entzug, Suchtthera­pie oder Versuche, in eine „Normalität“zurückzuke­hren, gescheiter­t sind. Auch, wenn in die Situation niemand jemals kommen wollte – Interessen­ten gibt es mehr als genug.

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