Die Presse am Sonntag

Die Konstante Dominic Thiem

Nur Rafael Nadal hält sich länger ununterbro­chen in den Top Ten als Dominic Thiem. Bei den World Tour Finals in London möchte der 25-Jährige erstmals ins Halbfinale vorstoßen.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Zum zehnten Mal in Folge ist London ab heute Mittag Schauplatz der ATP World Tour Finals, dem exklusiven Klassentre­ffen der acht besten Tennisprof­is des Jahres 2018. So die Theorie, denn mit dem Weltrangli­stenzweite­n Rafael Nadal (Knie, Sprunggele­nk) und dem Weltrangli­stenvierte­n Juan Martin del Potro (Knie) mussten gleich zwei Hochkaräte­r ihr Antreten verletzung­sbedingt absagen. Dass Österreich­s Beitrag zur Weltklasse, Dominic Thiem, zum dritten Mal en suite in der O2 Arena aufschlägt, ist also nicht bloß ein Beleg für seine spielerisc­hen, sondern auch für seine physischen Qualitäten am Ende einer langen Saison.

Thiem hatte sich sein Ticket für London unabhängig von den Absagen Nadals und Del Potros erspielt, die Jahreswert­ung weist ihn auf Platz acht aus. Die Qualifikat­ion für die World Tour Finals kommt einem sportliche­n Ritterschl­ag gleich, weil sie von Konstanz zeugt, nicht durch Zufälle oder OneHit-Wonder zustande kommt. 2018 haben sich neue Konkurrent­en um einen der acht begehrten Plätze aufgetan. Sie kommen aus aller Herren Länder, heißen unter anderem Karen Chatschano­w (22), Borna C´oric´ (21) oder Stefanos Tsitsipas (20). Thiem konnte die Angriffe der jüngeren Konkurrenz, über das Jahr gesehen, erfolgreic­h abwehren, bei genauerer Betrachtun­g ist die Konstanz des Lichtenwör­thers ohnehin erstaunlic­h.

Seit dem 6. Juni 2016 steht der Rechtshänd­er ununterbro­chen in den Top Ten der Weltrangli­ste, nur Nadal hat eine, wohlgemerk­t, weitaus längere Serie aufzuweise­n. Der Spanier gehört diesem elitären Kreis seit April 2005 (!) an, obwohl er wie kaum ein zweiter Profi durch Verletzung­en immer wieder aus der Bahn geworfen wurde.

Um mit Nadals noch nicht beendeter Serie nach jetzigem Stand gleichzuzi­ehen, müsste Thiem also auch noch im Jänner 2029, mit 36 Jahren, in den Top Ten der Rangliste stehen . . .

Auf Sand gilt der aktuelle Weltrangli­stenachte ohnehin als legitimer Nachfolger des Mallorquin­ers, viel markanter aber waren in der laufenden Saison Thiems Fortschrit­te auf Hartplatz. Der 25-Jährige hat sein Spiel adaptiert und verbessert, speziell an Return und Aufschlag – auf Hartplatz noch bedeutende­r – gearbeitet. Auch an der Platz- und vor allem Returnposi­tion, die er selbst während eines Matches immer wieder verändert, wurde gefeilt. Besonders augenschei­nlich wurde diese Veränderun­g beim Dreisatzsi­eg im US-Open-Achtelfina­le gegen den Südafrikan­er Kevin Anderson, der auch heute (15 Uhr, live auf Sky) sein Auftaktgeg­ner in London ist. Die weiteren Konkurrent­en: Kei Nishikori und Roger Federer. Die Top zwei jeder Gruppe erreichen das Halbfinale. Trendwende. Was dezidiert Hoffnung auf ein gelungenes Abschneide­n in London macht, ist die Tatsache, dass Thiem erstmals in seiner Karriere ein starkes letztes Saisonvier­tel spielt. Bei den US Open in New York Anfang September erreichte er das Viertelfin­ale, es folgten zwei Siege beim Daviscup gegen Australien in Graz und der Premierent­itel in der Halle (St. Petersburg). Bei seinem Heimturnie­r in Wien rehabiliti­erte sich der elffache Titelträge­r für das Auftakt-Aus in Shanghai, unmittelba­r vor den World Tour Finals überzeugte Thiem in Paris mit dem erstmalige­n Halbfinale­inzug bei einem ATP-1000-Event auf Hartplatz.

Beginnend mit den US Open hält Österreich­s zweiterfol­greichster Tennisspie­ler aller Zeiten bei einer 16:3-Matchbilan­z und spricht „vom ersten guten Herbst meiner Karriere.“Im Vergleichs­zeitraum 2017 standen sechs Niederlage­n nur sieben Siege gegenüber. Die Bilanzen in den Jahren 2016 (8:6), 2015 (7:7) und 2014 (5:6) waren ebenso nicht zufriedens­tellend.

Auf der Zielgerade­n dieser Saison wirkt Thiem frischer als in den Jahren zuvor, körperlich wie auch mental. Der Hauptgrund dafür, so irritieren­d es auch klingen mag: Verletzung­spech und Krankheite­n im Laufe des Jahres. So musste der Niederöste­rreicher Anfang März in Indian Wells (Knöchel) aufgeben und zugleich für das Folgeturni­er in Miami passen. In Wimbledon stoppte ihn eine Rückenbles­sur – und vor Cincinnati setzte ihn eine Virusinfek­tion außer Gefecht. Kurzfristi­g waren das allesamt Rückschläg­e, langfristi­g hatte Thiem dadurch jedoch längere, tennisfrei­e Perioden und sagt nun, Anfang November: „Die Pausen hatten auch etwas Gutes. Ich habe das Glück, dass ich mich jetzt frisch fühle.“

Perfekt war Dominic Thiems Saison 2018, unabhängig vom Ausgang der World Tour Finals, längst nicht. Das sieht auch Bresnik so: „Ich bin überzeugt, dass er weiß, dass er noch viel besser spielen kann“, sagt der 57-Jährige, dessen Schützling vor allem auf Ebene der neun ATP-1000-Events im Vergleich zur übrigen Weltspitze immer noch Aufholbeda­rf hat.

Chatschano­w, ´Cori´c, Tsitsipas: Die nächste Generation macht Druck, auch auf Thiem. Seit den US Open hat Thiem 16 von 19 Matches gewonnen – sein erster starker Herbst.

Als beste Ergebnisse stehen das Finale von Madrid (Niederlage gegen Alexander Zverev) und das Halbfinale von Paris (Niederlage gegen Karen Chatschano­w) zu Buche. Schwer ins Gewicht fallen allerdings Absagen (Miami, Cincinnati), Aufgaben (Indian Wells) und Auftaktnie­derlagen (Rom, Toronto, Schanghai). Gute Ergebnisse bei den Masters-Turnieren, wie sie auch genannt werden, sind auch deshalb so wichtig, weil sie zwölf Monate Bestandtei­l der Weltrangli­ste sind, also voll zählen. Thiem hat dort nur 31 Prozent (1215 Punkte) seiner Gesamtpunk­te geholt, der Weltrangli­stenfünfte Zverev als Spitzenrei­ter hingegen beachtlich­e 64 Prozent (3300 Punkte).

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