Olympia am Ende der Welt
Da zig Wintersportregionen wie Tirol abgelehnt haben und bei den Anwärtern Calgary, Stockholm und Mailand/Cortina Zweifel herrschen, bringt sich Ushuaia ins Spiel für Olympia 2026. Exotisch, unberührt – auf Feuerland. Ein PR-Gag?
Das Internationale olympische Komitee (IOC) steht weiterhin vor einem Problem. Mit aller Kraft wird versucht, das ungeliebte Produkt „Winterspiele“zu retten. Geradezu verzweifelt mutet die Suche aber an, einen Austragungsort für die Spiele 2026, mit denen die Trendwende in Kostenfragen und Ideologien geschafft werden sollen, zu finden. Denn Kerndestinationen aus Europa haben serienweise abgesagt. In Innsbruck fiel eine Volksbefragung negativ aus, für Graz-Schladming zog das ÖOC ob ausbleibender politischer Zusagen die Reißleine. Auch Sapporo oder Sion sagten Nein.
Klassische Wintersportorte, die gern die Kosten tragen, sich ihre Saison verpfuschen lassen oder Gewinne anderen, obendrein steuerfrei überlassen, sind in demokratischen Staaten schwerer zu finden. Auch die Folgen des Gigantismus schrecken ab.
Wenn am nächsten Wochenende im polnischen Wisła der Skisprungweltcup anhebt, sich Langläufer für die WM-Saison (Seefeld, ab 19. Februar 2019) rüsten oder Skifahrer an die WM in A˚re (ab 5. Februar 2019) denken, wird hinter den Kulissen um einen Olympiaort 2026 gerungen. Seit Anfang Oktober stehen drei Anwärter offiziell fest: Calgary, Stockholm und Mailand/Cortina d’Ampezzo. Jedoch: Al- lerorts ist die Lage unsicher, und manch Bürgerbefragung könnte ausreichen, um im jeweiligen Stadtrat oder Parlament das Projekt prompt zu torpedieren. Größer, schöner, teurer. Noch ist Zeit. Bis zum Stichtag, dem 11. Jänner 2019. Was passiert aber, würde das IOC dann ohne Kandidat dastehen? Es ist freilich nur eine Vision: aber Olympia in Erzurum? Da die Fußball-EM 2024 in Deutschland steigt, hätte Recep Tayyip Erdogan˘ sicher genug Mittel frei für Winterspiele. Aber, vor einer Woche legte eine als vollkommen exotisch einzustufende Stadt ihre Idee offen: Ushuaia, 3000 Kilometer von Buenos Aires entfernt – in Richtung Südpol.
Argentinien hat sich beim IOC mit zuletzt grandiosen Jugendspielen in Buenos Aires einen „Bonus“erarbeitet, der eigentlich erst 2030 mit dem Erhalten eines Großereignisses ausgespielt werden sollte. Auch für die nächsten Winterjugendspiele 2024 interessieren sich die Südamerikaner, aber wollte oder könnte 2026 niemand – Ushuaia wäre bereit. „Als Marketingstrategie ist die Bewerbung gut“, sagte Mart´ın Bianchi, Eventkoordinator der örtlichen Tourismusagentur Infuetur der Deutschen Presse-Agentur.
Die Infrastruktur im Skigebiet Cerro Castor gilt als modern, rundum müsste in puncto Infrastruktur, Hallen, Schanzen etc. viel getan werden. Ob das gelingt? Wer aber zuletzt den Worten des FIS-Präsidenten, Gian Franco Kasper, beim Forum Nordicum in Seefeld gelauscht hat, weiß, dass bereits 2022 in Peking eine noch nie erlebte Kostenexplosion droht. Das größte Problem wird laut Kasper der Schnee sein. „Es wird alles größer, schöner und teurer sein als bei allen anderen Spielen“, sagt der 74-Jährige. Zwar würden keine Wälder im Großraum von Chongli, wo die Skibewerbe warten, sinnlos gerodet. Umweltsünden und exorbitante Kosten seien aber nicht ausgeschlossen.
Winterspiele im europäischen Sommer? Schnee liegt in Ushuaia von Juni bis Oktober.
Und jetzt meldet sich Ushuaia, ein Ort am Ende der Welt. Das neue Wintersportzentrum auf Feuerland.
Bei Sportlern ist die Region allerdings bereits sehr populär. Im europäischen Sommer kämen Profis zum Training nach Cerro Castor, 2015 trafen sich hier sogar 700 Skilehrer zu einem Kongress. „Wir haben auf Feuerland die beste Landschaft, den besten Schnee Südamerikas. Ushuaia ist mit Skandinavien vergleichbar, einer der wenigen Orte der Welt, wo es Schnee auf Meereshöhe gibt“, rührt Bianchi die Werbetrommel. „Gibt es denn in Europa winters über immer Schnee?“ Am Beagle-Kanal. Ushuaia ist eine der südlichsten Städte der Welt, knapp 58.000 Einwohner wurden zuletzt 2010 gezählt. Sie liegt am Beagle-Kanal, einer natürlichen Wasserstraße, die Atlantik und Pazifik verbindet. Gibt es Spiele in der „Bucht, die nach Osten blickt“? Schnee liegt hier normalerweise von Juni bis Oktober. Es wären die ersten Winterspiele auf der Südhalbkugel, das IOC müsste also den Eventkalender ändern. So, wie es die Funktionärskollegen des Fußball-Weltverbandes Fifa schon mit der WM 2022 in Katar getan haben. Allerdings, in diesem Fall fiele das schonungslose Ringen um Milliardengewinne womöglich viel stärker ins Gewicht. Winterspiele im europäischen Hochsommer als Innovation zu verkaufen, das wäre schon eine Chuzpe.