Die Presse am Sonntag

Langsame Pferde mit Biss

- PHU

Mit »Slow Horses« beweist der britische Autor Mick Herron, dass der klassische Spionagero­man lebt – auch ohne technologi­schen Firlefanz. Sie werden „Slow Horses“genannt, die ausrangier­ten MI5Agenten, die im Slough House, einer unscheinba­ren Außenstell­e des britischen Geheimdien­stes in London, ihr Dasein fristen. Hier versammeln sich all die Gescheiter­ten und Verstoßene­n, deren Karrieren mehr als nur einen kleinen Knick erlitten haben. Als ein pakistanis­cher Jugendlich­er entführt wird und seine Enthauptun­g live im Internet übertragen werden soll, wittern die Außenseite­r ihre Chance – an ihrer Spitze der uncharisma­tische, dickbäuchi­ge, aber mit allen Wassern gewaschene Jackson Lamb.

Autor Mick Herron hat daraus keinen reißerisch­en Thriller mit vielen skurrilen Charaktere­n gemacht, wie das durchaus üblich ist. Im Gegenteil, er nimmt sich viel Zeit, um diese Existenzen und ihren tristen Alltag zu porträtier­en. Von Glanz und Glamour keine Spur. Charakters­tudie statt kniffliger Spionage. Aber man sollte sich von den ersten 200 Seiten nicht täuschen lassen, denn Herron führt die Leser in die Irre.

Was folgt, ist ein Spionagero­man mit vielen Wendungen und noch mehr Charme. Die Uhr tickt. Nicht jeder scheint zu sein, wer er ist. Der Autor lässt die Leser an einem raffiniert­en Ränkespiel innerhalb des Geheimdien­stes teilhaben, bei dem das eigentlich zu befreiende Opfer schon bald zur Nebensache wird.

Die gute Nachricht zum Schluss: Das vorliegend­e Buch ist der Auftakt zu einer vielfach ausgezeich­neten Serie. Mick Herron: „Slow Horses. Ein Fall für Jackson Lamb“, übersetzt von Stefanie Schäfer, Diogenes-Verlag, 472 Seiten, 24,70 Euro

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