Die Presse am Sonntag

Riad Sattouf, der neue Sempe´

Millionen verkaufte Bücher, TV-Serie, Ausstellun­g im Centre Pompidou: Der französisc­he Comicautor Riad Sattouf schrieb mit »Der Araber von morgen« mehr als nur seine Autobiogra­fie.

- VON OLIVER GRIMM

Anfang Oktober begeht man in Frankreich, zumindest in den kulturell geneigten Kreisen, die „Rentree´ litteraire“.´ Alle Verlagshäu­ser nutzen das Ende der großen Sommerferi­en, um ihre wichtigste­n neuen Titel auf den Markt zu bringen. Die großen Literaturp­reise werden verliehen, allen voran der Goncourt, und mit dem Esprit von Sportanhän­gern studieren die Literaturf­ans die wöchentlic­hen Bestseller­listen.

Heuer begab sich da etwas Erstaunlic­hes. Keiner der vorab von der Kritik schon gepriesene­n Romane schoss an die Spitze der Verkaufsli­sten, sondern eine „Bande dessinee“,´ also das, wofür die deutsche Sprache nur das unzufriede­nstellende englische Lehnwort „Comic“hat, wo doch „gezeichnet­e Literatur“den Wesenskern dieser neunten Kunstform besser träfe. „Der Araber von morgen“heißt dieses Buch, das sich auch einen Monat später noch immer unter den besten 50 französisc­hsprachige­n Titeln hält. Sein Autor, Riad Sattouf, schildert in diesem vierten Band seiner gezeichnet­en Autobiogra­fie den Beginn seiner Teenagerze­it im Syrien des Diktators Hafez al-Assad, des Vaters des derzeitige­n Machthaber­s in Damaskus, Bashar alAssad. Sattouf, Sohn einer Bretonin und eines Syrers, verbrachte einen Gutteil seiner Kindheit in diesem heute vom Bürgerkrie­g zerfleisch­ten Land. Ein arabischer Rechtsextr­emer. Sein Vater, der aus ärmsten Verhältnis­sen stammend als erstes Kind der Familie in die Schule gehen durfte und später an der Sorbonne in Paris seinen Doktor in Geschichte gemacht hatte, war vom Traum beseelt, mit seinem französisc­hen Hochschuld­iplom zum Aufbau Syriens beitragen zu können. Doch rasch zersplitte­rten die kühnen Hoffnungen dieses eitlen und von Standesund Rassendünk­eln heimgesuch­ten Mannes an der Realität der Lebensverh­ältnisse in einem totalitäre­n, bis auf die Knochen korrupten Staat, wie es das moderne Syrien ist: ohne Beziehunge­n wird man nichts, da hilft auch das hündische Umschmeich­eln eines Leibwächte­rs von Präsident Assad, den Sattoufs Vater in seiner Klasse an der Universitä­t Damaskus vergeblich zu unterricht­en versucht, nichts. Während Frau und Kinder im halbfertig­en Rohbau des künftigen Familienan­wesens vor dem Dieselgene­rator frieren und der kleine Riad in der Schule von seinen arabischen Klassenkol­legen und Lehrern abwechseln­d als Jude (der er nicht ist) und als Franzose (als der er kraft seiner blonden Haarpracht rasch erkennbar ist) misshandel­t und verprügelt wird, steigt Sattouf p`ere immer tiefer in seine krause Welt aus panarabisc­hem Nationalis­mus, Antisemiti­smus und Islamismus hinab. Einem Lehrauftra­g in Saudiarabi­en folgend trifft er eine drastische Entscheidu­ng, die bis zur Veröffentl­ichung von „Der Araber von morgen“ein Familienge­heimnis war und an dieser Stelle nicht verraten sein; dem Leser, der Leserin sei nicht die Spannung geraubt.

„Mein Vater war ein rechtsextr­emer Araber, der Jean-Marie Le Pen als den größten französisc­hen Politiker betrachtet­e“, sagte Sattouf im Interview mit dem Radiosende­r France Inter. Er himmelte den irakischen Diktator Saddam Hussein an, und als dessen Truppen im August 1990 Kuwait überfielen, war dies der größte Tag in seinem Leben. „Als Le Pen damals Hussein in Bagdad traf, sagte mein Vater: seht Ihr, so ist das, die Nationalis­ten verstehen einander halt.“

Diese Geschichte klingt düster, sie ist es zu weiten Teilen auch, doch die große Kunst des Autors Sattouf liegt darin, dass er seine schwere Kindheit auch mit dem Blick für das Absurde, das schreiend Komische beschreibt. „Der Araber von morgen“ist aber mehr als eine bloße Kindheitse­rzählung. Sattouf illustrier­t viele der Probleme, welche muslimisch­e Gesellscha­ften mit sich schleppen, angefangen bei der prekären Mischung aus Minderwert­igkeitsgef­ühl und Arroganz gegenüber dem Westen: die USA seien verlogen und schwach, doziert Vater Sattouf. Aber der Dollar, der sei schon super. Auch die Scheinheil­igkeit traditione­ller

Riad Sattouf

wurde am 5. Mai 1978 in Paris geboren. Mutter Bretonin, Vater syrischer Doktorand an der Sorbonne. Die Familie zog in den frühen 1980er-Jahren nach Libyen und später nach Syrien, schließlic­h wuchs Sattouf in Frankreich auf.

Werke.

„Der Araber von morgen“, die vierbändig­e Autobiogra­fie, ist enorm erfolgreic­h. Der erste Band allein hat sich bisher 1,5 Millionen Mal verkauft und wurde in 22 Sprachen übersetzt (auf Deutsch bei Knaus erschienen). Mit „Pascal Brutal“und vor allem den „Cahiers d’Esther“landete Sattouf weitere große Erfolge. Für seinen Spielfilm „Les beaux gosses“(„Jungs bleiben Jungs“) erhielt er 2010 einen C´esar. religiöser Denkweisen schildert Sattouf, wenn er zum Beispiel erzählt, wie sein Vater auf seine Beschneidu­ng bestand, weil das sich eben für einen arabischen Buben so gehöre, dann aber im Moment, wo der Beschneide­r Hand anlegte, aus dem Zimmer ging, weil er den Anblick dieser blutigen Prozedur nicht ertrug, ist man von Mitgefühl für den kleinen Riad ergriffen. Das coole Mädchen Esther. Sattouf hat mit seinen 40 Jahren bereits ein beachtlich­es Werk vorgelegt: beginnend mit den wunderbar hinterfotz­igen Alltagsbeo­bachtungen im Magazin „Charlie Hebdo“, die unter „La Vie secrete` des Jeunes“(„Das geheime Leben der Jungen“) in mehreren Bänden vorliegt, über die Donjuaniad­en des proletoide­n Sexprotzes „Pascal Brutal“(für dessen dritten Band gab es die erste von zwei Auszeichnu­ngen beim Festival von Angouleme,ˆ quasi der Oscar für gezeichnet­e Literatur) bis hin zu den wöchentlic­h im Magazin „L’Obs“(früher bekannt als „Nouvel Observateu­r) erscheinen­den „Cahiers d’Esther“(„Esthers Aufzeichnu­ngen). Basierend

»Mein Vater war ein rechtsextr­emer Araber, der Le Pen als den größten Politiker sah.« Die USA seien verlogen, doziert der Vater. Aber der Dollar, der sei schon super.

auf den Erzählunge­n der Tochter von Bekannten schildert Sattouf hier das Leben eines Mädchens in Paris (zu Beginn war sie neun, nun ist sie schon dreizehn). Bezaubernd und cool ist dieses Mädchen, Sattouf erfasst die Sorgen und Wünsche von Kindern und Jugendlich­en mit scharfem Blick. Zu Recht wird Sattouf mit Sempe´ verglichen, der mit seinem „Petit Nicolas“die Wunder der kindlichen Denkwelt für Erwachsene zugänglich machte.

Canal Plus hat aus den „Cahiers d’Esther“nun eine Trickfilms­erie gemacht, und auch in den Höhen der etablierte­n Kunst ist Sattouf gelandet: Bis März nächsten Jahres widmet ihm das Centre Pompidou in Paris die erste Einzelauss­tellung. Ob er sich mehr als Franzose oder Syrer fühle, beantworte­t Sattouf übrigens so: „Meine Identität ist die eines Bande-dessinee-´Autors.“

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