Riad Sattouf, der neue Sempe´
Millionen verkaufte Bücher, TV-Serie, Ausstellung im Centre Pompidou: Der französische Comicautor Riad Sattouf schrieb mit »Der Araber von morgen« mehr als nur seine Autobiografie.
Anfang Oktober begeht man in Frankreich, zumindest in den kulturell geneigten Kreisen, die „Rentree´ litteraire“.´ Alle Verlagshäuser nutzen das Ende der großen Sommerferien, um ihre wichtigsten neuen Titel auf den Markt zu bringen. Die großen Literaturpreise werden verliehen, allen voran der Goncourt, und mit dem Esprit von Sportanhängern studieren die Literaturfans die wöchentlichen Bestsellerlisten.
Heuer begab sich da etwas Erstaunliches. Keiner der vorab von der Kritik schon gepriesenen Romane schoss an die Spitze der Verkaufslisten, sondern eine „Bande dessinee“,´ also das, wofür die deutsche Sprache nur das unzufriedenstellende englische Lehnwort „Comic“hat, wo doch „gezeichnete Literatur“den Wesenskern dieser neunten Kunstform besser träfe. „Der Araber von morgen“heißt dieses Buch, das sich auch einen Monat später noch immer unter den besten 50 französischsprachigen Titeln hält. Sein Autor, Riad Sattouf, schildert in diesem vierten Band seiner gezeichneten Autobiografie den Beginn seiner Teenagerzeit im Syrien des Diktators Hafez al-Assad, des Vaters des derzeitigen Machthabers in Damaskus, Bashar alAssad. Sattouf, Sohn einer Bretonin und eines Syrers, verbrachte einen Gutteil seiner Kindheit in diesem heute vom Bürgerkrieg zerfleischten Land. Ein arabischer Rechtsextremer. Sein Vater, der aus ärmsten Verhältnissen stammend als erstes Kind der Familie in die Schule gehen durfte und später an der Sorbonne in Paris seinen Doktor in Geschichte gemacht hatte, war vom Traum beseelt, mit seinem französischen Hochschuldiplom zum Aufbau Syriens beitragen zu können. Doch rasch zersplitterten die kühnen Hoffnungen dieses eitlen und von Standesund Rassendünkeln heimgesuchten Mannes an der Realität der Lebensverhältnisse in einem totalitären, bis auf die Knochen korrupten Staat, wie es das moderne Syrien ist: ohne Beziehungen wird man nichts, da hilft auch das hündische Umschmeicheln eines Leibwächters von Präsident Assad, den Sattoufs Vater in seiner Klasse an der Universität Damaskus vergeblich zu unterrichten versucht, nichts. Während Frau und Kinder im halbfertigen Rohbau des künftigen Familienanwesens vor dem Dieselgenerator frieren und der kleine Riad in der Schule von seinen arabischen Klassenkollegen und Lehrern abwechselnd als Jude (der er nicht ist) und als Franzose (als der er kraft seiner blonden Haarpracht rasch erkennbar ist) misshandelt und verprügelt wird, steigt Sattouf p`ere immer tiefer in seine krause Welt aus panarabischem Nationalismus, Antisemitismus und Islamismus hinab. Einem Lehrauftrag in Saudiarabien folgend trifft er eine drastische Entscheidung, die bis zur Veröffentlichung von „Der Araber von morgen“ein Familiengeheimnis war und an dieser Stelle nicht verraten sein; dem Leser, der Leserin sei nicht die Spannung geraubt.
„Mein Vater war ein rechtsextremer Araber, der Jean-Marie Le Pen als den größten französischen Politiker betrachtete“, sagte Sattouf im Interview mit dem Radiosender France Inter. Er himmelte den irakischen Diktator Saddam Hussein an, und als dessen Truppen im August 1990 Kuwait überfielen, war dies der größte Tag in seinem Leben. „Als Le Pen damals Hussein in Bagdad traf, sagte mein Vater: seht Ihr, so ist das, die Nationalisten verstehen einander halt.“
Diese Geschichte klingt düster, sie ist es zu weiten Teilen auch, doch die große Kunst des Autors Sattouf liegt darin, dass er seine schwere Kindheit auch mit dem Blick für das Absurde, das schreiend Komische beschreibt. „Der Araber von morgen“ist aber mehr als eine bloße Kindheitserzählung. Sattouf illustriert viele der Probleme, welche muslimische Gesellschaften mit sich schleppen, angefangen bei der prekären Mischung aus Minderwertigkeitsgefühl und Arroganz gegenüber dem Westen: die USA seien verlogen und schwach, doziert Vater Sattouf. Aber der Dollar, der sei schon super. Auch die Scheinheiligkeit traditioneller
Riad Sattouf
wurde am 5. Mai 1978 in Paris geboren. Mutter Bretonin, Vater syrischer Doktorand an der Sorbonne. Die Familie zog in den frühen 1980er-Jahren nach Libyen und später nach Syrien, schließlich wuchs Sattouf in Frankreich auf.
Werke.
„Der Araber von morgen“, die vierbändige Autobiografie, ist enorm erfolgreich. Der erste Band allein hat sich bisher 1,5 Millionen Mal verkauft und wurde in 22 Sprachen übersetzt (auf Deutsch bei Knaus erschienen). Mit „Pascal Brutal“und vor allem den „Cahiers d’Esther“landete Sattouf weitere große Erfolge. Für seinen Spielfilm „Les beaux gosses“(„Jungs bleiben Jungs“) erhielt er 2010 einen C´esar. religiöser Denkweisen schildert Sattouf, wenn er zum Beispiel erzählt, wie sein Vater auf seine Beschneidung bestand, weil das sich eben für einen arabischen Buben so gehöre, dann aber im Moment, wo der Beschneider Hand anlegte, aus dem Zimmer ging, weil er den Anblick dieser blutigen Prozedur nicht ertrug, ist man von Mitgefühl für den kleinen Riad ergriffen. Das coole Mädchen Esther. Sattouf hat mit seinen 40 Jahren bereits ein beachtliches Werk vorgelegt: beginnend mit den wunderbar hinterfotzigen Alltagsbeobachtungen im Magazin „Charlie Hebdo“, die unter „La Vie secrete` des Jeunes“(„Das geheime Leben der Jungen“) in mehreren Bänden vorliegt, über die Donjuaniaden des proletoiden Sexprotzes „Pascal Brutal“(für dessen dritten Band gab es die erste von zwei Auszeichnungen beim Festival von Angouleme,ˆ quasi der Oscar für gezeichnete Literatur) bis hin zu den wöchentlich im Magazin „L’Obs“(früher bekannt als „Nouvel Observateur) erscheinenden „Cahiers d’Esther“(„Esthers Aufzeichnungen). Basierend
»Mein Vater war ein rechtsextremer Araber, der Le Pen als den größten Politiker sah.« Die USA seien verlogen, doziert der Vater. Aber der Dollar, der sei schon super.
auf den Erzählungen der Tochter von Bekannten schildert Sattouf hier das Leben eines Mädchens in Paris (zu Beginn war sie neun, nun ist sie schon dreizehn). Bezaubernd und cool ist dieses Mädchen, Sattouf erfasst die Sorgen und Wünsche von Kindern und Jugendlichen mit scharfem Blick. Zu Recht wird Sattouf mit Sempe´ verglichen, der mit seinem „Petit Nicolas“die Wunder der kindlichen Denkwelt für Erwachsene zugänglich machte.
Canal Plus hat aus den „Cahiers d’Esther“nun eine Trickfilmserie gemacht, und auch in den Höhen der etablierten Kunst ist Sattouf gelandet: Bis März nächsten Jahres widmet ihm das Centre Pompidou in Paris die erste Einzelausstellung. Ob er sich mehr als Franzose oder Syrer fühle, beantwortet Sattouf übrigens so: „Meine Identität ist die eines Bande-dessinee-´Autors.“