Die Presse am Sonntag

Die grüne Bürgerlich­keit

Hauptsache, gut gelaunt? Die Grünen haben ihre Stoßrichtu­ng für den Neustart festgelegt. Sie wollen – wenig überrasche­nd – wie die deutschen Nachbarn sein, aber vor allem auch sehr viel auf einmal.

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Warum liest man nichts von den Grünen? Auf solche Journalist­enfragen antwortet der neue Grünen-Chef Werner Kogler, mit: „Vielleicht weil Sie nichts schreiben.“Bei allem Verständni­s für den Verdruss der außerparla­mentarisch­en Opposition: Vielleicht ist das auch ganz gut so. Denn eine durchgehen­de Berichters­tattung über die Details der Nabelschau, die die Grünen im Bund wie in Wien betreiben, ist für die breite Öffentlich­keit semi-interessan­t. Der samstäglic­he Bundeskong­ress ist dennoch Anlass für eine Wasserstan­dsmeldung: Wie und wer wollen die Grünen also künftig sein?

Die gestern vernehmbar­e Antwortet lautete: gut gelaunt und locker – so wie die deutschen Kollegen rund um Robert Habeck, der auf Instagram auch Fotos vom Zähneputze­n postet. Nun lässt sich der Erfolg der Nachbarn nicht kopieren, u. a. weil ein wichtiger Bestandtei­l dessen die spezifisch­e politische Großwetter­lage ist – vom Merkel-Seehofer-Streit bis zur müden „Groko“. Aber in Sachen Stimmenfis­chen kann man trotzdem einiges lernen. In Österreich waren die Grünen zuletzt mehr Teich als Fischer. Die Chancen, die SPÖ wie die SPD abzuräumen, stehen zwar schlecht – wenn es gegen Türkis-Blau geht, scharren sich deren Gegner wohl taktisch hinter der größeren Partei –, aber im Verhältnis zur ÖVP tut sich etwas. Wenn es, wie zuletzt wegen der Umstände einer Abschiebun­g zwischen Vorarlberg und Wien in der ÖVP kracht, spitzen die Grünen die Ohren. Die Gruppe, die sie anvisieren, ist ihnen dabei nicht fremd. Lodenmante­l-Grüne hieß das einst. Heute würde man sie Bürgerlich­e nennen, denen die AliVideos und andere schwer abzulegend­e Gewohnheit­en des blauen Koalitions­partners gegen den Strich gehen.

Dass es funktionie­ren kann, wenn man linke Inhalte bürgerlich verpackt, hat der Van der Bellen-Wahlkampf gezeigt. In Deutschlan­d macht man aus der Stoßrichtu­ng auch gar kein Hehl. „Zwischen links und bürgerlich“sieht Habeck „keinen Widerspruc­h“. Im Untertitel des Buchs des grüne Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g, Winfried Kretschman­n heißt es: „Für eine neue Idee des Konservati­ven“. Blickt man in die Reihen des grünen hiesigen Personals fühlt man diesen Gedanken auch mitschwing­en. Den Innsbrucke­r Bürgermeis­ter Georg Willi kennt man auch als Kirchencho­rleiter, einer der vielen Jungen im neu gewählten Bundesvors­tand ist Stefan Kaineder. Der studierter Theologe meinte unlängst im „Kurier“: „Heute vertreten die Grünen die christlich­en Werte“.

Wobei es bei Grünen natürlich nicht um Religion geht. Eher um ein Gefühl das auch die Neos „emotional bewirtscha­ften“, wie es Eva Glawischni­g nennen würde: Anstand, zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement. Die Neos sind auch das größte Hindernis der Grünen auf dem Weg zur neuen alten Zielgruppe. Das andere sind sie selbst. Denn in Deutschlan­d und in Österreich ist das neue grüne Lieblingsw­ort: „und“. Man ist links und bürgerlich. Radikal und real. Für Humanität und Sicherheit und für Ökologie und Ökonomie.

Klingt gut. Aber die Antwort „alles“auf die Frage „Wie und wer wollen die Grünen sein?“macht einen nicht schlauer.

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