Die Presse am Sonntag

Es braut sich was zusammen an der Grenze

Die Masse der Migrantenk­arawanen aus Mittelamer­ika erreicht dieses Wochenende die US-Grenze bei Tijuana. Die Chancen auf Asyl sind gering, die Bearbeitun­g der Anträge zieht sich. Die Stimmung gegen die Migranten in Mexiko kippt. Unruhen sind möglich.

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Karen Aguilera, eine kleine, wuschelhaa­rige 34-Jährige, sitzt am Rand eines Spielplatz­es in der Sportanlag­e Benito Juarez´ in Tijuana, der mexikanisc­hen Großstadt an der Grenze zu Kalifornie­n. Die Frau ist aus Honduras und nicht allein: Sie hat zwei ihrer vier Kinder dabei, eines davon, der etwa fünfjährig­e Justin, trägt ein knallbunte­s Stofftier, das andere Kind schläft mit Jacken als Schutz gegen die Sonne bedeckt im Buggy und ist nicht zu sehen. Ein fünftes Kind trägt Karen im Bauch.

Und da sind noch etwa 2000 bis 2500 Menschen, die seit Tagen ebenfalls in der Sportanlag­e ausharren – als Teilnehmer jenes Marsches tausender Menschen aus (vor allem) den mittelamer­ikanischen Staaten Honduras und Guatemala, die von Armut, Gewalt und Schmutz in ihren Ländern genug hatten und sich Mitte Oktober nach Norden in Bewegung setzten. Ziel: Die Estados Unidos, das gelobte Land, wo alles besser sein soll. „Ich möchte eine bessere Zukunft für meine Kinder“, sagt die Frau mit der blauen Weste, dem dunklen Rock und gewinnende­m Lächeln, die San Pedro Sula im Nordwesten von Honduras als Heimatstad­t angibt. „Und dort arbeiten natürlich.“

Nur, das wollen alle hier, und noch viel mehr: Denn neben vielen weiteren Migrations­willigen aus Zentralame­rika, die seit Tagen anderswo in Tijuana und an anderen Stellen an der Grenze zu den USA ausharren, wurde für dieses Wochenende die Ankunft der „Hauptmacht“der Marschiere­nden erwartet. Die Behörden gingen von 9000 bis 10.000 Neuankömml­ingen in den Migrantenk­arawanen aus. Viele wird man versuchen, im Sportgelän­de unterzubri­ngen; die Herbergen in Tijuana aber sind voll, da und dort entstehen bereits „wilde“Camps. 60 Asylanhöru­ngen pro Tag. Für einen baldigen Übertritt in die USA stehen die Chancen der meisten Marschiere­r allerdings schlecht. Stillstand ist angesagt. Die Grenzsperr­en wurden auf USSeite verstärkt, zudem hat das Militär auf Befehl von Präsident Donald Trump schon etwa 6000 Mann zur Verstärkun­g der Grenzer abkommandi­ert; vor allem nach Kalifornie­n, wo gleich nördlich von Tijuana die blühende Hafenmetro­pole San Diego lockt, zugleich eine der größten Garnisonen der Navy.

Pro Tag werden am Grenzüberg­ang Garita El Chaparral nach Angaben einer US-Grenzbeamt­in momentan rund 60 Interviews zu Asylanträg­en geführt. Dabei müssen die Migranten beweisen, dass ihr Gesuch berechtigt ist. Dafür aber müssen sie sich zuvor auf einer Liste an der Grenze eintragen, und davor auf einer Liste in den Unterkünft­en. Täglich warten also die Menschen, ob etwas vorangeht auf dem Weg gen Norden. Natürlich geht viel zu wenig voran, ein wesentlich­er Teil der Asylanträg­e wird abgewiesen.

Schwangere und Frauen mit Kindern hätten die besten Aussichten auf Asyl, erklärt Rodolfo Cruz Pin˜eiro, Migrations­experte des Colegio de la Frontera Norte nahe Tijuana, das auf Sozialstud­ien im Grenzgebie­t zwischen den USA und Mexiko spezialisi­ert ist. Komme es zu einem Interview mit den Migrations­behörden, müssten die Frauen mit der Gewalt und den Risiken in ihrer Heimat argumentie­ren, das ergebe die beste Chance. Doch häusliche Gewalt oder Vergewalti­gungen allein stellen nach Ansicht der US-Behörden und Justiz keine zwingenden Asylgründe dar. Wie sagte der jüngst von Trump abgesetzte Justizmini­ster, Jeff Sessions: „Ein Ausländer mag in einem fremden Land Bedrohunge­n und Gewalt aus vielen Gründen erleiden, je nach sozialen, wirtschaft­lichen, familiären oder anderen Gründen. Aber das Asylgesetz bietet keinen Ausgleich für alles Pech.“ Pech für junge Männer. Pech dürften die meisten jungen Männer haben: Ihre Asylchance sei gering, so Cruz Pin˜eiro. „Sie haben nur zwei Möglichkei­ten: Sie bleiben in Mexiko, in einer Grenzstadt wie Tijuana, oder gehen heim.“Wobei Mexiko die Migranten, die meist ohne Erlaubnis und Dokumente das Land betraten, auch abschieben könnte. Wer es aber schaffen sollte, die US-Grenze illegal zu passieren, verwirkt laut jüngsten Erlasses des Präsidente­n sein Asylrecht und kann sofort abgeschobe­n werden.

Jedenfalls sprechen Beobachter schon von möglichen Unruhen etwa in Tijuana – noch dazu, wo dort die Stimmung zuletzt schnell gegen die Mittelamer­ikaner gekippt ist. Am Mittwoch protestier­ten Bürger gegen sie, riefen fremdenfei­ndliche Parolen und warfen Steine. In sozialen Medien mehren sich Anfeindung­en gegen Migranten.

Tijuanas Bürgermeis­ter, Juan Manuel Gastelum´ von der konservati­ven Partei der Nationalen Aktion, etwa sprach von „Horden“und sagte, viele von ihnen seien kriminell: „Diese Leute kommen mit einem aggressive­n Plan, sind unverschäm­t und fordern die Sicherheit­skräfte heraus. Ich will nicht sagen, dass alle so sind, aber einige sind Landstreic­her, Kiffer, greifen Bewohner an.“Die Behörden sollten diese Leute schnell abschieben. (Red.)

»Diese Leute sind aggressiv, unverschäm­t und fordern die Sicherheit­skräfte heraus.«

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Reuters Die US-Grenzsperr­en reichen bei Tijuana bis ins Meer.

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