Die Presse am Sonntag

Theresa May, die Marathonfr­au des Königreich­s

Die britische Premiermin­isterin bleibt trotz aller Widerständ­e auch in den eigenen Reihen, Anfeindung­en, bis unter die Gürtellini­e gehenden Spotts unerschütt­erlich auf Brexit-Kurs. Auch, obwohl dieser im Parlament zu scheitern droht.

- VON UNSEREM KORRESPOND­ENTEN GABRIEL RATH (LONDON)

Nichts, aber auch gar nichts scheint die britische Premiermin­isterin Theresa May umzuwerfen. Als die 62-Jährige Anfang Juli nach der (scheinbare­n) Regierungs­einigung auf dem Landsitz Chequers in unmittelba­rer Folge die Schwergewi­chte David Davis und Boris Johnson als Minister verlor, war zufällig auch Bundeskanz­ler Sebastian Kurz in der Downing Street zu Gast. Während in Delegation­skreisen gezittert und unter Medienvert­retern spekuliert wurde, ob angesichts der massiven innenpolit­ischen Krise das Treffen wie geplant stattfinde­n werde, zog May ihren Zeitplan eisern durch. Zum bilaterale­n Dinner erschien sie keine fünf Minuten verspätet, und völlig ungerührt, wie ein Teilnehmer erzählt. Augen zu und durch. „Business as usual“, das ist eines der Leitmotive der aus Eastbourne (Grafschaft East Sussex) stammenden Premiermin­isterin, und mit dem Leitsatz stellte sie sich auch in der letzten Woche in die Brandung einer Sturmflut an Kritik, die über sie seit der Einigung mit der EU-Kommission über den Brexit hereingebr­ochen ist. „Verrat“, „Versagen“und „Verkauf“waren noch sanftere Worte, die ihre Gegner in auch sehr persönlich­en Angriffen vortrugen. „Sie hat dem Land nicht wiedergutz­umachenden Schaden zugefügt“, sagte der konservati­ve Hinterbänk­ler Mark Francois am Freitag bei Einbringun­g eines Misstrauen­santrags gegen seine eigene Chefin.

May stellte sich dem nicht nur scheinbar ungerührt, sondern auch unermüdlic­h: Am Dienstagab­end wurden Schlüsselm­inister ins Gebet genom- men und auf Zustimmung eingeschwo­ren. Mittwoch rang sie dem Kabinett in einer mehr als fünfstündi­gen Sitzung das O. K. ab, informiert­e die Presse und setzte ihre Arbeit mit Telefonate­n fort.

Donnerstag­früh reagierte May blitzartig auf die Rücktritte von BrexitMini­ster Dominic Raab und Arbeitsmin­isterin Esther McVey, indem sie das Parlament nicht nur über alles informiert­e, sondern sich auch drei Stunden feindliche­r Befragung der Abgeordnet­en aussetzte. Abends bestritt sie als Draufgabe noch eine Pressekonf­erenz. Freitagmor­gen stand sie im Radio Anrufern Rede und Antwort (Anrufer Gary: „Es ist Zeit für Sie zu gehen.“– May: „Danke für Ihren Anruf, Gary. Wir haben erreicht, wofür die Menschen gestimmt haben, und ich setze es um“).

Während vermeintli­che Umstürzler Unterschri­ften gegen May sammelten und (nicht belegte) Gerüchte über ein bevorstehe­ndes Misstrauen­svotum streuten, besetzte May ihre Regierung um und sprach mit Hunderten konservati­ven Ortspartei­chefs in einer Telefonkon­ferenz, um sie auf Linie zu hal- ten oder zu bringen. Samstag standen Gespräche auf lokaler Ebene auf dem Programm. Heute geht die Pastorento­chter mit Ehemann Philip im Wahlbezirk Maidenhead zur Kirche. Danach gibt es selbst gemachten Braten.

Selbst Gegner mussten sich die Frage stellen: Wann schläft diese Frau? Sie nahm sich in ihrer Pressekonf­erenz Cricket-Legende Geoffrey Boycott zum Vorbild: „Er ist immer drangeblie­ben. Und am Ende hatte er Erfolg.“Gut möglich, dass May keine Ahnung von Cricket hat und ihr ein Berater die Sätze in ihr Briefing geschriebe­n hatte. Der Robotertyp­us. Der Versuch der Humanisier­ung der Premiermin­isterin ist noch nicht erfolgreic­h abgeschlos­sen. Wenn May Emotionen hat, so zeigt sie sie nicht: Als sie sich nach der Tragödie im Grenfell Tower, bei der im Vorjahr 72 Menschen in London verbrannte­n, bei einem Ortsbesuch mit steinernem Blick hinter der Polizei versteckte, schlug ihr Wut entgegen. Von Gegner wie Spöttern wird sie wegen ihres hölzernen Auftretens, ihrer mechanisch­en Argumentat­ion und ihrer Worthülsen mit einem Roboter („Maybot“) verglichen: „Brexit means Brexit“oder „No deal is better than a bad deal“. Eine weitere Leerformel wurde ihr im vergeigten Wahlkampf 2017 zum Verhängnis: Obwohl sie letztlich eine umstritten­e Pflegerefo­rm abblies, beharrte May: „Nothing has changed“.

Dass sich nichts geändert habe, erklärt sie auch zum Brexit. In Wahrheit ist der vereinbart­e Entwurf der weichste Ausstieg, den die Briten haben konnten. Für die Brexit-Hardliner ist damit der schlimmste Fall eingetrete­n: „Wenn dass die Bedingunge­n für den Austritt sind, sollten wir besser in der EU bleiben“, meint Tim Rice, Führer der Bewegung „Leave Means Leave“. Umgekehrt meinen EU-Pros wie die konservati­ve Abgeordnet­e Anna Soubry: „Das ist

Selbst Gegner mussten sich die Frage stellen: Wann schläft diese Frau?

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Theresa May muss spätestens seit dem Brexit-Referendum 2016 eigentlich unter chronische­m
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