Autofrei – im Namen des Kindes
Nach dem Pilotprojekt in der Leopoldstadt wünschen sich zahlreiche andere Schulen morgendliche Fahrverbote. Und die Ersten rufen schon nach Sperren am Nachmittag.
Kurz vor acht Uhr früh in der Kleinen Sperlgasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk: Dutzende Kinder sind schon in den Hof von Volksschule und Mittelschule geströmt, je später es wird, desto eiliger. Der Schülerlotse streckt seine Kelle aus, drei Kinder gehen vor einem Lieferwagen über den Zebrastreifen.
Eine Mutter liefert ihr Kind per Tretroller ab, währenddessen bleibt ein Polo in der schmalen Einbahn stehen, gefolgt von einem Mercedes: Drei Kinder hüpfen aus beiden Autos. Und ein paar Minuten später gehen ein paar Buben über den Zebrastreifen, vor ihnen ein Lkw, hinter ihnen der Bus 5A.
Eine klassische frühmorgendliche Szene – die es hier aber in absehbarer Zeit nicht mehr geben soll, wenn es nach Guntram Münster geht. „Wir wollen eine temporäre autofreie Zone“, sagt der Elternvertreter, dessen Sohn in die Volksschule geht. Erst vor zwei Wochen seien sie auf dem Radweg beinahe mit einem sogenannten Elterntaxi zusammengekracht. Dabei sei die Lage aktuell sogar relativ entspannt, weil das angrenzende Gymnasium gerade umgebaut wird. „Wenn das wieder eröffnet, wird es wirklich dramatisch.“
Die Kleine Sperlgasse ist eine von rund 20 Wiener Schulen, von denen sich jemand bei der Mobilitätsagentur gemeldet hat, um auf ein morgendliches Fahrverbot zu drängen. Nach dem Vorbild einer Volksschule wenige Straßen weiter – an der es seit Schulbeginn in der Früh anders aussieht: In der Vereinsgasse rollert um 8.13 Uhr noch ein Vater mit Kind an einem rot-weißroten Gitter vorbei, das die Gasse absperrt und vor dem schon ein schwarzer Audi wartet. Um 8.15 Uhr schiebt eine Lehrerin das Gitter weg, zurück in die Schule. Die halbe Stunde des morgendlichen Fahrverbots, das in der ab- gelaufenen Woche vom Pilotversuch zur dauerhaften Lösung erhoben wurde, ist vorbei.
Elternvertreterin Helga Tschiggerl fühlt sich seitdem wohler dabei, ihre beiden Kinder allein in die Volksschule zu schicken. „Die Kinder sagen selbst, dass das klass’ ist, weil sie nicht mehr so aufpassen müssen“, sagt sie. Kritik habe es wenig gegeben, sagt Schulleiterin Gabriele Lener: Ein Vater habe sich beschwert – und ein Anrainer würde gern aus der Straße herausfahren. „Dafür haben wir noch keine elegante Lösung gefunden.“Eine kleine Schwachstelle ist auch das Absperrgitter, wie eine Lehrerin sagt: Manche Autofahrer hätten es weggeschoben; sie hofft darauf, dass demnächst ein Schranken installiert wird. Insgesamt habe sich die Regelung aber bewährt. Nicht nur Sicherheit. Das sagt auch die Mobilitätsagentur. Ein häufiges Argument dagegen – das Verkehrschaos vor der Schule würde sich einfach nur verlagern – habe sich nicht bewahrheitet. Die (in einer Grätzelschule ohnedies nicht so vielen) Elterntaxis seien weniger geworden. Jene Eltern, die ihre Kinder per Auto bringen, suchen sich in der Umgebung einen Parkplatz, anstatt auf der Fahrbahn in zweiter Spur stehen zu bleiben. Und der nicht unbeträchtliche Durchzugsverkehr, der in Kombination mit Eltern, die mit dem Auto direkt vor dem Schultor halten, zu gefährlichen Situationen führt, ist weg.
Nicht nur die Sicherheit ist aber ein Argument für die Maßnahme, sagt die Wiener Fußgängerbeauftragte Petra Jens. Jedes fünfte Volksschulkind werde aktuell mit dem Auto in die Schule gebracht. Dabei sei ein Fußweg nicht nur gesünder – die Kinder seien danach aufnahmefähiger. Sie würden – anders als auf der Rückbank eines Autos – sicheres Verkehrsverhalten lernen. Überhaupt werde das Mobilitätsverhalten im Kindesalter geprägt. Frei übersetzt: Wer als Kind im Auto unterwegs ist, wird auch später Auto fahren.
Das Interesse an dem Pilotversuch sei jedenfalls enorm gewesen: Es habe sogar Anrufe aus Berlin gegeben. Obwohl das Fahrverbot gar nicht so einzigartig ist: Salzburg hat es im Vorjahr etabliert, in Graz und Bregenz gibt es ebenfalls solche Modelle. Die Fußgängerlobby Geht doch, der auch Münster angehört, fordert schon länger per Petition eine Schulstraße pro Bezirk.
Beim ÖAMTC steht man der Maßnahme nicht ganz so begeistert gegenüber. Man setze sich für sichere Schulwege ein – Fahrverbote müsse man jedoch differenziert betrachten, sagt Nikolaus Authried. Das Projekt dürfe jedenfalls nicht dazu dienen, um quasi über die Hintertür den Kfz-Verkehr generell einzudämmen. Viele Eltern würden ihre Kinder ja nicht zum Spaß mit dem Auto bringen. „Man sollte das nicht dämonisieren und nicht Autoverkehr generell vor jeder Schule verbieten.“Wenn es an bestimmten Standorten Probleme gebe, müsse man sich das konkret anschauen – und auch andere Maßnahmen in Betracht ziehen.
Aus der Sicht der Fußgängerbeauftragten Jens ist ein temporäres Fahr-
Vor zwei Wochen krachte ein Vater samt Sohn fast mit einem Elterntaxi zusammen. »Man sollte das nicht dämonisieren und nicht Kfz vor jeder Schule verbieten.«
verbot als Lösung relativ günstig und unkompliziert, wie sie sagt. Wo es das künftig noch geben könnte, wird jetzt geprüft. „Auf einer Hauptverkehrsstraße oder, wo Straßenbahnen verkehren, wird es nicht gehen.“Auch müssten die Anrainer einbezogen werden. Im Lauf des nächsten Jahres soll es jedenfalls die ersten Nachfolger geben.
Interesse hat man neben der Kleinen Sperlgasse unter anderem in der Volksschule Herbststraße in Ottakring angemeldet, in der Schukowitzstraße im 22. Bezirk oder der Kandlgasse und Stiftsgasse in Neubau, wo der Bezirk stark dahinter ist. Vorbei ist die Debatte auch in der Vereinsgasse nicht: Die Eltern wünschen sich nämlich, dass das Fahrverbot auch auf die nachmittäglichen Abholzeiten ausgedehnt wird.