Kalter Krieg um künstliche Intelligenz
Computer, Geld und Daten. China hat alles, um Amerika im Rennen um die Vorherrschaft bei der künstlichen Intelligenz abzuhängen. Das sorgt für Panik im Westen. Denn die selbstlernenden Algorithmen sind nur auf den ersten Blick harmlos.
Diese Geschichte ging um die Welt: In der Vorwoche hat Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua News den allerersten Roboter-Nachrichtensprecher mit künstlicher Intelligenz (KI) on air geschickt. Auch wenn das eher ein PR-Stunt war (Experten schreiben dem digitalen Papagei wenig Intelligenz zu), zeigt der Hype, wie ernst der Westen Peking im Kampf um die Führungsrolle bei der zukunftsträchtigen Technologie nimmt. Das Rennen ins All, das sich Amerikaner und Sowjets im Kalten Krieg geliefert haben, findet heute am Computer statt. Das Ziel ist nicht mehr der Mond, sondern der Bau der intelligentesten Maschine. Und Washingtons Gegenspieler sitzen nicht mehr in Moskau, sondern in Peking.
Der ultimative Startschuss für diesen Wettkampf fiel am 27. Mai 2017. Da bezwang Googles Programm AlphaGo erstmals Ke Jie, den besten Spieler im chinesischen Strategiespiel Go. Das hat in der chinesischen Psyche offenbar ähnliche Spuren hinterlassen wie der russische Sputnik-Satellit Mitte der 1950er in der amerikanischen. Prompt verkündete der kommunistische Führer Xi Jinping, sein Land werde die künstliche Intelligenz 2030 dominieren. Seine Chancen stehen gut – und das sorgt für Unruhe im Westen. Computer, Geld und Daten. Denn viele KI-Anwendungen sind nur auf den ersten Blick harmlos. Selbstlernende Algorithmen taugen nicht nur, um Fotos am Smartphone zu sortieren. Sie sind auch die Zukunft der Kriegsführung, wo dieselbe Technologie heute schon genutzt wird, um automatisch die besten Ziele für Drohnenangriffe auszumachen.
Die Volksrepublik hat alles, was es braucht, um bei KI vorn mitzuspielen: Starke Computer, genug Geld und viele Daten. Chinas Konzerne bauen derzeit ein Rechenzentrum nach dem anderen, und jeder Bürgermeister im kommunistischen Land überhäuft KI-Start-ups mit Geld. Selbst die Wissenschaftler aus China publizieren inzwischen mehr Artikel zum Thema als ihre US-Kollegen. Den größten Überfluss hat China aber bei der wichtigsten Zutat für KI: bei den Daten. Je mehr Daten die Algorithmen gefüttert bekommen, desto schneller werden sie schlauer. Gut für Peking. Die knapp 1,4 Milliarden Chinesen erzeugen so viele Daten wie die meisten anderen Staaten zusammen. Und während der Westen noch überlegt, ob Roboterautos auf die Straße dürfen, stampft China eigens designte Millionenstädte rund um die selbstfahrenden Vehikel aus dem Boden. Das Tempo ist ein anderes im Reich der Mitte.
Dabei verlässt sich China nicht nur auf eigenes Know-how. Baidu oder Huawei forschen in den USA mit westlichen Kollegen an KI. Dass sie ihr Wissen auch mit dem chinesischen Militär teilen müssen, hat Xi Jinping eigens in die Verfassung schreiben lassen. Zwischen 2015 und 2017 haben chinesische Geldgeber zudem knapp 16 Prozent aller KI-Start-ups im Silicon Valley finanziert. Und das Pentagon schätzt, dass inzwischen jeder vierte Absolvent
Knapp 1,4 Milliarden Chinesen erzeugen so viel Daten wie die meisten Staaten zusammen.
der Ingenieurs-, Mathematik-, Computerwissenschaften in den USA aus China stammt. Washington müht sich, den Informationsfluss in der stark vernetzten Szene zu hemmen. Im Sommer wurden strengere Kontrollen bei Exporten und ein Einspruchsrecht auch bei Start-up-Finanzierungen beschlossen. Google steigt aus. Freilich kooperiert auch das US-Militär eng mit Amerikas Tech-Konzernen. Microsoft und Amazon helfen dem Pentagon, Videos von Flugdrohnen mittels KI auszuwerten um die Treffgenauigkeit bei Luftangriffen zu erhöhen. Nur Google hat das Projekt nach Mitarbeiterprotesten wieder verlassen. Doch ein Unterschied bleibt: Während im Westen 2015 alle namhaften KI-Forscher erklärt haben, nicht für den Bau automatischer Waffen zur Verfügung zu stehen, ist aus China nichts dergleichen zu hören.