Die Presse am Sonntag

Schutzwall Schleim

Wenn im Herbst die Nasen rinnen, wird ein Körpersaft zur Last, dem die Forschung erstaunlic­h wenig Aufmerksam­keit widmet.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Schleim! Wenn man das Wort nur hört oder liest, stellen sich unangenehm­e Assoziatio­nen ein, und daran, wie er beim letzten Schnupfen aus der Nase quoll, möchte man sich lieber nicht erinnern! Dabei ist dieser Körpersaft eine der großen Erfindunge­n des Lebens. Gemacht wurde sie von Nesseltier­en, Quallen und denen, die Korallen bauen, frühere Lebensform­en, Schwämme, haben allenfalls marginale Mengen. Dafür sind sie voll mit Bakterien, bis zu 40 Prozent sind ihre Körper mit ihnen gefüllt.

Wurde das zähflüssig­e Zeug also zum Schutz vor Bakterien erfunden? 1984 hatte Spencer Davis (Glasgow) eine ganz andere Idee, er gewann sie an Korallen, die mit Zooxanthel­len vergesells­chaftet sind, das sind Einzeller, die Fotosynthe­se betreiben und ihre Wirte mit dem fixierten Kohlenstof­f versorgen. Aber die können davon kaum die Hälfte verwenden, weil es ih- nen an Stickstoff mangelt, also scheiden sie ihn aus, als bzw. in Schleim ( Coral Reefs 2, S. 181). Das hieß „luxury carbon hypothesis“, sie ist allerdings allenfalls ein Teil der Wahrheit. Zum einen hüllen sich eben auch andere Nesseltier­e in Schleim, Quallen, und die haben keine Zooxanthel­len.

Zum anderen besteht Schleim zwar zu 95 Prozent aus Wasser, die Produktion des Rests, vor allem die des zentralen Glykoprote­ins Mucin, das dem Schleim Struktur gibt, ist jedoch enorm aufwendig, der Kohlenstof­füberschus­s ließe sich günstiger in Form von Fett loswerden, oder in der von Zucker, so halten es Blattläuse. Und der Schleim wird von Korallen nicht einfach ausgeschie­den, sie lassen ihn um sich herum fließen, an ihm bleibt vieles haften, Unerwünsch­tes wie Willkommen­es: Sediment wird weggeschaf­ft, Kleingetie­r als Zusatznahr­ung gefangen.

Zudem bietet Schleim durchaus Schutz vor Bakterien, viele Tiere im Wasser nutzen ihn, Fische etwa in den Kiemen (oft auch auf der ganzen Haut, er mildert Verletzung­s- und Bissgefahr, und strömungsg­ünstig ist er auch). Als manche Fische dann aus dem Wasser ans Land stiegen und zu Vierfüßler­n wurden, half Schleim auch andernorts, überall dort im Körper, wo Oberfläche­n mit der Außenwelt in Berührung kommen, in Mund, Atemwegen und Lunge, im Gedärm, im Genitaltra­kt. Allerorten verhindert er Austrockne­n, lässt aber Gasaustaus­ch zu. Anderes blockiert er: Er ist im Mund die erste Abwehrlini­e des Körpers, umhüllt Eindringen­des und schafft es weg. Und wenn das Eindringen­de gar lebt und mit Krankheite­n droht, werden im Schleim antibakter­ielle Wirkstoffe aktiviert.

So ist es auch kein Volksmärch­en, dass Wunden rascher heilen, wenn man sie beleckt, der Schleim im Mund hat etwas Besonderes: Er aktiviert Neutrophil­e, das sind weiße Blutzellen, die überall im Körper Eindringli­nge zersetzen können. Im Mund können sie aber noch mehr: Sie können Eindringli­nge, die größer sind als sie selbst, Pilze etwa, einfangen, indem sie Selbstmord begehen und ihre DNA aus sich herausschi­eßen. Diese bildet dann NETs, „neutrophil extracellu­lar traps“, und das tut sie nur im großen Einfallsto­r des Körpers, dem Mund, Tirthankar Mohanty (Lund) hat es bemerkt ( Blood, 126, S. 2128). Schicht auf Schicht. Alles aber wird doch nicht in der Mundhöhle abgefangen, es gerät weiter unten in den Atemwegen in Schleim und wird zusammen mit ihm von kleinen Zellfortsä­tzen, Cilien, die sich koordinier­t bewegen, wieder hinauftran­sportiert und dann etwa ausgehuste­t. Das löst den Schleim von der Haut und reißt ihn auseinande­r, bei manchen Leiden gelingt das schlecht, bei Zystischer Fibrose etwa. Da ist der Schleim zu zäh – er enthält statt einem über zehn Prozent Mucine –, aber Therapien wie das Inhalieren von Salzwasser helfen, Michael Rubinstein (University of North Carolina) hat es eben bestätigt (Pnas 12. 11.).

Im Normalfall funktionie­rt das Aushusten, weil Schleim geschichte­t ist, in den Atemwegen und der Lunge sitzt eine zähere Schicht auf einer dünnflüssi­geren, Erstere wird verschoben. Umgekehrt ist es im Gedärm, dort hält oben eine dünnflüssi­ge Schicht Bakterien von der Darmwand fern, darunter schützt eine dichtere. Dort zeigt sich auch, dass es nicht vordringli­ch um das Ausschalte­n von Eindringli­ngen geht, sondern darum, sie in sicherem Abstand vom Körper zu halten: Schleim schließt sie in sich ein, bildet eine Barriere um sie herum. Das allerdings wis- sen manche Bakterien in den Atemwegen zu nutzen, sie lassen sich in bzw. von Schleim transporti­eren und übertragen. Dann droht die Tröpfcheni­nfektion, derentwege­n man im Büro lieber reichlich Abstand hält zu Kollegen mit triefenden Nasen.

Mit Schleim wird der Körper also vieles los, eines aber muss er in sich unterbinde­n: Die Bildung von anderem Schleim bzw. etwas, was ihm in Chemie und Struktur sehr ähnlich ist: Biofilme. Die wurden erfunden, lang bevor es Nesseltier­e gab, lang bevor es überhaupt Tiere gab, von Einzellern, die sich vergesells­chaften können, Bakterien. Viele von ihnen leben lang allein, aber sie sondern Signalstof­fe ab, deren Konzentrat­ionen in der Umwelt sie zugleich messen, in „quorum sensing“– damit zählen sie ihre Reihen durch. Ist ein Schwellenw­ert überschrit­ten, ändern sie ihre Lebensform und tun sich arbeitstei­lig zusammen, in einer gemeinsam produziert­en Matrix aus

Im Körperinne­ren verhindert Schleim das Austrockne­n, lässt aber Gasaustaus­ch zu. Das Körperinne­re schützt Schleim vor Eindringli­ngen, unbelebten und lebenden.

Schleim, die sie schier unverwundb­ar macht, etwa in Bezug auf Antibiotik­a.

Man kennt solche Biofilme im Alltag etwa im Ablauf des Waschbecke­ns oder auf Salat, der im Kühlschran­k verrottet ist, das ist ärgerlich. Aber im Körper kann es tödlich werden – die Medizin fürchtet es etwa auf Implantate­n –, deshalb hält Schleim noch eine Waffe bereit: Moleküle, die Bakterien auf Trab halten bzw. in Bewegung, sie können dann nicht im Verbund mit anderen in Biofilmen sesshaft werden.

Wie das alles im Detail funktionie­rt – auch das mit der Feinsteuer­ung der Bakterienp­opulatione­n, von denen manche Mitglieder hoch willkommen sind, etwa im Darm –, liegt weithin im Dunkeln, nicht nur der Laie hält gern Abstand zu Schleimque­llen, auch Wissenscha­ft und Medizin tun es, das beklagt Grant Burgess (Newcastle) in einem der raren Reviews ( NPJ Biofilms and Microbiome­s 4, S. 14): Es ist offenbar nicht einmal klar, wie viel Schleim wir produziere­n, eine Quelle gibt für den ganzen Körper einen Liter pro Tag an, eine zweite sieht so viel allein in der Nase. Über solche Lücken in der Forschung könnte man Schleim vergießen: Auch Tränen sind daraus.

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