Schutzwall Schleim
Wenn im Herbst die Nasen rinnen, wird ein Körpersaft zur Last, dem die Forschung erstaunlich wenig Aufmerksamkeit widmet.
Schleim! Wenn man das Wort nur hört oder liest, stellen sich unangenehme Assoziationen ein, und daran, wie er beim letzten Schnupfen aus der Nase quoll, möchte man sich lieber nicht erinnern! Dabei ist dieser Körpersaft eine der großen Erfindungen des Lebens. Gemacht wurde sie von Nesseltieren, Quallen und denen, die Korallen bauen, frühere Lebensformen, Schwämme, haben allenfalls marginale Mengen. Dafür sind sie voll mit Bakterien, bis zu 40 Prozent sind ihre Körper mit ihnen gefüllt.
Wurde das zähflüssige Zeug also zum Schutz vor Bakterien erfunden? 1984 hatte Spencer Davis (Glasgow) eine ganz andere Idee, er gewann sie an Korallen, die mit Zooxanthellen vergesellschaftet sind, das sind Einzeller, die Fotosynthese betreiben und ihre Wirte mit dem fixierten Kohlenstoff versorgen. Aber die können davon kaum die Hälfte verwenden, weil es ih- nen an Stickstoff mangelt, also scheiden sie ihn aus, als bzw. in Schleim ( Coral Reefs 2, S. 181). Das hieß „luxury carbon hypothesis“, sie ist allerdings allenfalls ein Teil der Wahrheit. Zum einen hüllen sich eben auch andere Nesseltiere in Schleim, Quallen, und die haben keine Zooxanthellen.
Zum anderen besteht Schleim zwar zu 95 Prozent aus Wasser, die Produktion des Rests, vor allem die des zentralen Glykoproteins Mucin, das dem Schleim Struktur gibt, ist jedoch enorm aufwendig, der Kohlenstoffüberschuss ließe sich günstiger in Form von Fett loswerden, oder in der von Zucker, so halten es Blattläuse. Und der Schleim wird von Korallen nicht einfach ausgeschieden, sie lassen ihn um sich herum fließen, an ihm bleibt vieles haften, Unerwünschtes wie Willkommenes: Sediment wird weggeschafft, Kleingetier als Zusatznahrung gefangen.
Zudem bietet Schleim durchaus Schutz vor Bakterien, viele Tiere im Wasser nutzen ihn, Fische etwa in den Kiemen (oft auch auf der ganzen Haut, er mildert Verletzungs- und Bissgefahr, und strömungsgünstig ist er auch). Als manche Fische dann aus dem Wasser ans Land stiegen und zu Vierfüßlern wurden, half Schleim auch andernorts, überall dort im Körper, wo Oberflächen mit der Außenwelt in Berührung kommen, in Mund, Atemwegen und Lunge, im Gedärm, im Genitaltrakt. Allerorten verhindert er Austrocknen, lässt aber Gasaustausch zu. Anderes blockiert er: Er ist im Mund die erste Abwehrlinie des Körpers, umhüllt Eindringendes und schafft es weg. Und wenn das Eindringende gar lebt und mit Krankheiten droht, werden im Schleim antibakterielle Wirkstoffe aktiviert.
So ist es auch kein Volksmärchen, dass Wunden rascher heilen, wenn man sie beleckt, der Schleim im Mund hat etwas Besonderes: Er aktiviert Neutrophile, das sind weiße Blutzellen, die überall im Körper Eindringlinge zersetzen können. Im Mund können sie aber noch mehr: Sie können Eindringlinge, die größer sind als sie selbst, Pilze etwa, einfangen, indem sie Selbstmord begehen und ihre DNA aus sich herausschießen. Diese bildet dann NETs, „neutrophil extracellular traps“, und das tut sie nur im großen Einfallstor des Körpers, dem Mund, Tirthankar Mohanty (Lund) hat es bemerkt ( Blood, 126, S. 2128). Schicht auf Schicht. Alles aber wird doch nicht in der Mundhöhle abgefangen, es gerät weiter unten in den Atemwegen in Schleim und wird zusammen mit ihm von kleinen Zellfortsätzen, Cilien, die sich koordiniert bewegen, wieder hinauftransportiert und dann etwa ausgehustet. Das löst den Schleim von der Haut und reißt ihn auseinander, bei manchen Leiden gelingt das schlecht, bei Zystischer Fibrose etwa. Da ist der Schleim zu zäh – er enthält statt einem über zehn Prozent Mucine –, aber Therapien wie das Inhalieren von Salzwasser helfen, Michael Rubinstein (University of North Carolina) hat es eben bestätigt (Pnas 12. 11.).
Im Normalfall funktioniert das Aushusten, weil Schleim geschichtet ist, in den Atemwegen und der Lunge sitzt eine zähere Schicht auf einer dünnflüssigeren, Erstere wird verschoben. Umgekehrt ist es im Gedärm, dort hält oben eine dünnflüssige Schicht Bakterien von der Darmwand fern, darunter schützt eine dichtere. Dort zeigt sich auch, dass es nicht vordringlich um das Ausschalten von Eindringlingen geht, sondern darum, sie in sicherem Abstand vom Körper zu halten: Schleim schließt sie in sich ein, bildet eine Barriere um sie herum. Das allerdings wis- sen manche Bakterien in den Atemwegen zu nutzen, sie lassen sich in bzw. von Schleim transportieren und übertragen. Dann droht die Tröpfcheninfektion, derentwegen man im Büro lieber reichlich Abstand hält zu Kollegen mit triefenden Nasen.
Mit Schleim wird der Körper also vieles los, eines aber muss er in sich unterbinden: Die Bildung von anderem Schleim bzw. etwas, was ihm in Chemie und Struktur sehr ähnlich ist: Biofilme. Die wurden erfunden, lang bevor es Nesseltiere gab, lang bevor es überhaupt Tiere gab, von Einzellern, die sich vergesellschaften können, Bakterien. Viele von ihnen leben lang allein, aber sie sondern Signalstoffe ab, deren Konzentrationen in der Umwelt sie zugleich messen, in „quorum sensing“– damit zählen sie ihre Reihen durch. Ist ein Schwellenwert überschritten, ändern sie ihre Lebensform und tun sich arbeitsteilig zusammen, in einer gemeinsam produzierten Matrix aus
Im Körperinneren verhindert Schleim das Austrocknen, lässt aber Gasaustausch zu. Das Körperinnere schützt Schleim vor Eindringlingen, unbelebten und lebenden.
Schleim, die sie schier unverwundbar macht, etwa in Bezug auf Antibiotika.
Man kennt solche Biofilme im Alltag etwa im Ablauf des Waschbeckens oder auf Salat, der im Kühlschrank verrottet ist, das ist ärgerlich. Aber im Körper kann es tödlich werden – die Medizin fürchtet es etwa auf Implantaten –, deshalb hält Schleim noch eine Waffe bereit: Moleküle, die Bakterien auf Trab halten bzw. in Bewegung, sie können dann nicht im Verbund mit anderen in Biofilmen sesshaft werden.
Wie das alles im Detail funktioniert – auch das mit der Feinsteuerung der Bakterienpopulationen, von denen manche Mitglieder hoch willkommen sind, etwa im Darm –, liegt weithin im Dunkeln, nicht nur der Laie hält gern Abstand zu Schleimquellen, auch Wissenschaft und Medizin tun es, das beklagt Grant Burgess (Newcastle) in einem der raren Reviews ( NPJ Biofilms and Microbiomes 4, S. 14): Es ist offenbar nicht einmal klar, wie viel Schleim wir produzieren, eine Quelle gibt für den ganzen Körper einen Liter pro Tag an, eine zweite sieht so viel allein in der Nase. Über solche Lücken in der Forschung könnte man Schleim vergießen: Auch Tränen sind daraus.