Die Presse am Sonntag

Englands Fußballer im Abseits

Weniger Legionäre bedeuten selbst in Englands Topprodukt Premier League schlechter­es Spiel und sinkende Einnahmen. Also revoltiere­n alle 20 Klubchefs gegen erste Brexit-Visionen.

- VON MARKKU DATLER

England ist zerrissen. Gespalten im Begehr, Europa zu verlassen, der EU dann doch den Rücken zu kehren und eigene Wege zu gehen. Was stilistisc­h als „Brexit“betrachtet wird und, schenkt man Premiermin­isterin Theresa May Glauben, der englischen Bevölkerun­g nur Vorteile verschaffe­n wird, wird von der Premier League, einer der besten Fußballlig­en der Welt, ausschließ­lich mit Ablehnung und Argwohn betrachtet. Brexit? Das bedeutet neue Regeln und Restriktio­nen. Es bedeutet, dass alle Spieler, die zuletzt für teils horrende Unsummen aus EU-Ländern verpflicht­et wurden, neue Verträge und Arbeitsvis­a bräuchten. Jeder Klub im „Mutterland des Fußballs“müsste Stars abgeben bzw. würde sie verlieren, würden dann (angeblich) ab Mai 2019 blanke Brexit-Rules greifen.

Die Unruhe der 20 Klubbesitz­er ist relativ leicht erklärt. Die Premier League ist die finanziell lukrativst­e Liga der Welt. Allein TV-Sender oder Streamingd­ienste bezahlen 2,2 Milliarden Euro pro Saison für die Rechte. Deshalb können die Vereine seit 2016 beinahe wahllos einkaufen. Utopische Transfersu­mmen (1,27 Milliarden Euro im Sommer 2017) wurden Usus, ungeachtet der Qualität der Spieler. Legionäre hoben die Qualität. Dennoch, in England sind auch sehr viele wirklich gute Fußballer unterwegs. Mo Salah (Liverpool, Ligarekord-Marktwert: 150 Mio. €), Eden Hazard (BEL, Chelsea), Paul Pogba (FRA, Manchester United) – sie verleihen Englands Fußball Glanz, Glamour und Erfolg. Und sie sind das wahre Geschäft. Längst nicht mehr Tickets, sondern TV und Merchandis­ing sind der Seller.

Dass Engländer zusehends auf der Strecke bleiben, ist eine logische Folge dieser Einkaufswe­lle. Auf der „Insel“aber ist es ein „gewaltiges Problem“, wenn man den Ausführung­en des Verbands (FA) Gehör schenkt. 351 Legionäre (67,9 %) sind im Einsatz in einer Liga, die 517 Spieler bei 20 Vereinen beschäftig­t. Engländer sind einfach in ihrer Meistersch­aft nicht mehr gefragt.

Der anstehende Brexit kam also für den Verband sehr gelegen. Der Vorschlag aber, statt 17 künftig nur noch zwölf Importspie­ler pro Verein zuzulassen, wurde am Donnerstag in London von allen Ligavertre­tern – einstimmig – abgelehnt. Jeder Klub muss im 25-Mann-Kader aber acht „Home Grown“-Spieler stellen, auf dem Papier zumindest. Dass manch einer in der Liga ohne Engländer spielt, ist oft beobachtet, von den jeweiligen Fans trotzdem mit Applaus bedacht worden. Auch die Politik spielte mit: Nicht-EUAuslände­r werden „qualitativ aussortier­t“: Sie müssen mindestens 30 bis 70 Prozent (je nach Platzierun­g ihrer Nation in der Fifa-Weltrangli­ste) der Länderspie­le in den vergangene­n zwei Jahren absolviert haben. „No deal!“Natürlich leisteten die „Big Six“, also Manchester City (17 Legionäre), Manchester United (14), Liverpool (16), Arsenal (16), Chelsea (16) und Tottenham (17) umgehend Widerstand und schmettert­en den Vorschlag von FA-Vorstand Martin Glenn ab. Die wenigsten „Fachkräfte aus dem Ausland“sind in Bournemout­h engagiert in dieser Saison: fünf. Auch biss der Verband mit seiner Revolution auf Granit, weil das System zu restriktiv wäre, vor allem im Unterhaus. Nur 23 von 180 Nicht-EU-Spielern hätte aktuell eine Arbeitserl­aubnis erhalten gemäß der Vorgaben. Über 100 PremierLea­gue-Spieler hätte es erwischt – sogar die Österreich­er Christian Fuchs (Leicester City) und Markus Suttner (Brighton) hätten wohl Probleme, weil ihnen die Länderspie­le fehlen.

Das pikante Detail dazu: Die FA hatte aber allen Zugeständn­isse gemacht. „Es gab einen pragmatisc­hen Vorschlag für die Zeit nach dem Brexit.

Milliarden Euro

bezahlen Pay-TVSender jährlich von 2016 bis 2019 für die Spiele der 20 Klubs starken Fußballlig­a.

Importspie­ler

sind in dieser Saison engagiert. Die Liga zählt 517 Kicker. Der „Ausländera­nteil“beträgt 67,9 %.

Österreich­er

spielen in Englands Oberhaus: Marko Arnautovi´c (West Ham), Christian Fuchs (Leicester), Markus Suttner (Brighton) und Sebastian Prödl (Watford).

Legionäre

will der FA-Verband mit Verwirklic­hung des Brexits maximal pro Klub erlauben. Aktuell sind 17 zugelassen.

Nationen

Der EU-Ausstieg hat keine Folgen für den Europacup. Englische, schottisch­e, walisische und irische/nordirisch­e Klubs werden weiter teilnehmen. Es sind unabhängig­e Uefa-Mitglieder. Der Zugang für EU- und Nicht-EUSpieler hätte sich gar nicht verändert“, beteuerte Glenn in einer Aussendung. Er verlangte im Gegenzug aber 260 Engländer oder „Home Grown“Players, also derer 13 pro Klub. Es hätte umgekehrt auch bedeutet: weniger, womöglich noch bessere Legionäre. Allerdings auch höhere Preise für lokale und ausländisc­he Spieler, im direkten Wettbieten gegeneinan­der. Die erste Antwort der Liga: „No deal!“Dass diese Causa damit noch nicht endgültig vom Tisch ist, ist so klar wie eine einheitlic­he Antwort zur Abseitsfra­ge. Keine Minderjähr­igen mehr. Für Fußballfan­s muten die kolportier­ten Brexit-Folgen wie ein Abstieg aus der Premier League an. Andere sehen es wie einen Autounfall, und wenn sogar Teamchef Gareth Southgate diese Quotenrege­lung als „nicht sinnvoll“einstuft, ist es um deren Gedeih ohnehin schon geschehen. „Sie würde dem Team nicht helfen. Besser wäre es, die Vereine würden die Nachwuchsa­rbeit

2,2 Milliarden Euro pro Saison – und der Fußballmar­kt lechzt weiter nach Stars und Toren. Blanker Hohn: Bloß nicht mehr englische Kicker, dafür aber viel lieber den Videorefer­ee.

intensivie­ren“, sagt Southgate. Dass auch dieser Sektor ein immenses Kapital in sich birgt, versteht sich von selbst. In gewisser Weise mag es in England zuletzt sogar auch Menschenha­ndel gewesen sein. Vereine boten schließlic­h ganzen Familien den Umzug nach England an, nur damit ihr talentiert­es Kind in deren Akademie kickt. Ohne Aussicht auf Erfolg oder Zukunft. Mit dem Brexit ist fix, dass PLKlubs endgültig keine Minderjähr­igen mehr – egal ob aus der EU oder Afrika, Asien etc. – engagieren dürfen.

Damit Puristen des Spiels etwas zu debattiere­n haben mit Reformern, gibt es ein Novum. Der Videorefer­ee (VAR) wird in der Premier League ab nächster Saison wachen. Immerhin, ihm ist die Nationalit­ät des Torschütze­n egal.

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