Die Presse am Sonntag

Die Geister, die sie riefen

Jess Kidd macht Altenpfleg­erin Maud Drennan in »Heilige und andere Tote« zur Ermittleri­n wider Willen. Das Übernatürl­iche bricht in London durch. Ein düsterer, skurriler Spaß.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Was antwortet man als Altenpfleg­erin, wenn der 80-jährige Schützling auf die Frage nach dem letzten Bad das Jahr 1989 nennt? Oder wüst schimpft, wenn man seine jahrzehnte­alte Wand aus „National Geographic“-Heften einreißt?

Maud Drennan bleibt ruhig. Sie ist Irin, eine von der zähen Sorte. Sie lässt sich von Cathal Flood – ehemals Künstler, heute Messie mit dem größten Altenpfleg­erverschle­iß im Großraum London – nicht aus der Ruhe bringen und ringt seiner bröckelnde­n Müllhalde Raum um Raum ab. Aber der viktoriani­sche Kasten mit dem schaurigen Namen Bridlemere beherbergt nicht nur Hunderte Katzen, Müllberge und einen einsamen alten Mann.

Fotos kleben plötzlich an Fenstern. Nachrichte­n erscheinen im Staub und auf Spiegeln. Messer richten sich auf überlebens­wichtige Organe. Licht und Spülung haben sowieso ein Eigenleben. Jemand will Maud offenbar etwas sagen. Aber wieso ist auf dem Foto der zwei Kinder, das ihr zugespielt wird, das Gesicht des Mädchens ausgebrann­t? Wieso will keiner das Kind kennen? Und wieso hasst Cathal seinen Sohn, den es nachweisli­ch gibt, so sehr? Maud findet zumindest die Grüße aus dem Jenseits relativ normal – schließlic­h wird sie selbst seit einem traumatisc­hen Erlebnis in ihrer Kindheit von einer Horde unsichtbar­er Heiliger und deren gut gemeinten Ratschläge­n verfolgt. Grusel- trifft Detektivro­man. Die Britin Jess Kidd hat mit ihrem zweiten Roman, „Heilige und andere Tote“, einen Spagat geschafft, den man so noch nicht gelesen hat. Mühelos holt sie Versatzstü­cke der viktoriani­schen Gruselgesc­hichte ins Londoner Hier und Jetzt und paart sie mit dem trockenen Humor eines Detektivro­mans. Wer ihr Debüt „Der Freund der Toten“gelesen hat, wird diese Freude an exzentrisc­hen Personen und düster-skurrilen Episoden wiedererke­nnen.

Maud, Hauptfigur wider Willen, würde ja gar nicht ermitteln wollen. Aber ihre dominante Vermieteri­n, Renata, und die lästigen Heiligen, die sie auf Schritt und Tritt verfolgen, wittern ein Verbrechen. Schließlic­h ist auch Jess Kidd „Heilige und andere Tote“ Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Dumont 382 Seiten 22,70 Euro

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Travis McBride Kidds Welt ist voll mit komischen, erschrecke­nden und dunklen Episoden. Und mit lästigen Heiligen.
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