Die Geister, die sie riefen
Jess Kidd macht Altenpflegerin Maud Drennan in »Heilige und andere Tote« zur Ermittlerin wider Willen. Das Übernatürliche bricht in London durch. Ein düsterer, skurriler Spaß.
Was antwortet man als Altenpflegerin, wenn der 80-jährige Schützling auf die Frage nach dem letzten Bad das Jahr 1989 nennt? Oder wüst schimpft, wenn man seine jahrzehntealte Wand aus „National Geographic“-Heften einreißt?
Maud Drennan bleibt ruhig. Sie ist Irin, eine von der zähen Sorte. Sie lässt sich von Cathal Flood – ehemals Künstler, heute Messie mit dem größten Altenpflegerverschleiß im Großraum London – nicht aus der Ruhe bringen und ringt seiner bröckelnden Müllhalde Raum um Raum ab. Aber der viktorianische Kasten mit dem schaurigen Namen Bridlemere beherbergt nicht nur Hunderte Katzen, Müllberge und einen einsamen alten Mann.
Fotos kleben plötzlich an Fenstern. Nachrichten erscheinen im Staub und auf Spiegeln. Messer richten sich auf überlebenswichtige Organe. Licht und Spülung haben sowieso ein Eigenleben. Jemand will Maud offenbar etwas sagen. Aber wieso ist auf dem Foto der zwei Kinder, das ihr zugespielt wird, das Gesicht des Mädchens ausgebrannt? Wieso will keiner das Kind kennen? Und wieso hasst Cathal seinen Sohn, den es nachweislich gibt, so sehr? Maud findet zumindest die Grüße aus dem Jenseits relativ normal – schließlich wird sie selbst seit einem traumatischen Erlebnis in ihrer Kindheit von einer Horde unsichtbarer Heiliger und deren gut gemeinten Ratschlägen verfolgt. Grusel- trifft Detektivroman. Die Britin Jess Kidd hat mit ihrem zweiten Roman, „Heilige und andere Tote“, einen Spagat geschafft, den man so noch nicht gelesen hat. Mühelos holt sie Versatzstücke der viktorianischen Gruselgeschichte ins Londoner Hier und Jetzt und paart sie mit dem trockenen Humor eines Detektivromans. Wer ihr Debüt „Der Freund der Toten“gelesen hat, wird diese Freude an exzentrischen Personen und düster-skurrilen Episoden wiedererkennen.
Maud, Hauptfigur wider Willen, würde ja gar nicht ermitteln wollen. Aber ihre dominante Vermieterin, Renata, und die lästigen Heiligen, die sie auf Schritt und Tritt verfolgen, wittern ein Verbrechen. Schließlich ist auch Jess Kidd „Heilige und andere Tote“ Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Dumont 382 Seiten 22,70 Euro