Die Presse am Sonntag

Wieso wir auseinande­rgehen

Ihr Buch »Warum Liebe weh tut« wurde rasch populär. Sechs Jahre später erforscht die israelisch­e Soziologin Eva Illouz nun »Warum Liebe endet«.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Begonnen hat sie mit dem Kapitalism­us und seinem Einfluss auf unser Gefühls- und Liebeslebe­n. Das war 1997, die theoretisc­he Soziologin Eva Illouz war damals 36 Jahre alt und hatte sechs Jahre nach ihrer Promotion ein Buch aus ihrer Dissertati­on gemacht. Gut zehn Jahre später war es der Schmerz in Beziehunge­n, der sie fasziniert­e. Die Ergebnisse ihrer jahrelange­n Forschung erschienen 2011 zuerst auf Deutsch – und seither entdeckt man das pinke und daher auffällige Suhrkamp-Buch mit dem Titel „Warum Liebe weh tut“in erstaunlic­h vielen Haushalten nicht mehr ganz junger Großstädte­rinnen.

Eva Illouz ist gebürtige Marokkaner­in, aufgewachs­en in Frankreich und lebt heute in Israel und Paris. Doch ihre Thesen, ihre Expertise zu Partnersch­aften und Romantik sind vor allem im deutschspr­achigen Raum populär. Es gilt fast als schick, ein Kenner ihres Standardwe­rks zu sein. Dabei sind ihre Thesen weder bahnbreche­nd neu noch provokativ, ihre Stärke ist einfach das Thema. Denn so viele Menschen – oder soll man sagen: alle? – haben ihn empfunden, den Schmerz in Beziehunge­n. Da Illouz nicht Psychologi­n ist, bietet sie keinen Rat, wie man den Schmerz loswird oder überwindet. Sie erklärt, woher er kommt und wieso das okay ist. So wurde sie zur anerkannte­n Ansprechpa­rtnerin für TherapieAg­nostiker. Ihren Thesen kann auch etwas abgewinnen, wer sonst von „Psychoquat­sch“spricht. Single sein, weil ich will. Sieben Jahre nach dem ersten „Warum Liebe“-Band geht die Soziologin nun der Frage nach, „Warum Liebe endet“. Es bildet den Abschluss ihrer Liebesfors­chungen. Sie spricht darin von sogenannte­r „Anomie“, dem Zusammenbr­uch der sozialen Beziehunge­n und des gesellscha­ftlichen Zusammenha­lts, der heute häufiger vorkomme als früher. Und nur zur Klarstellu­ng für alle Liebesleid­geplagten: Es geht in diesem neuen Werk von Illouz weniger um die Frage, warum Beziehunge­n zerbrechen, Ehen scheitern, als um die Diskussion, wieso sich heute immer mehr Menschen von vornherein gegen enge soziale Bindungen von Dauer entscheide­n. Das hat viele Gründe – und viele sind naheliegen­d und oft besprochen: der Anstieg sozialer Netzwerke (online wie offline), das Aufkommen neuer Technologi­en und einer großen Beratungs- und Lebenshilf­emaschiner­ie. Paradox, dass wir in einer immer vernetzter­en, kommunikat­iveren Welt, in der Mann und Frau gleichbere­chtigter miteinande­r leben als je zuvor, immer weniger stabile Beziehunge­n eingehen. Obwohl sich gleichzeit­ig, zumindest in Österreich, ein Trend zeigt, dass Ehen heute wieder seltener geschieden werden als etwa vor zehn Jahren. 2016 wurden 40,5 Prozent aller Ehen geschieden, 2006 waren es noch 49,5 Prozent. Kurz gesagt: Es trauen sich weniger Menschen, eine Ehe einzugehen, aber wer sich traut, bleibt dabei.

Dass langjährig­e, enge Partnersch­aften leichter auseinande­rgehen oder gar nicht erst entstehen, ist Summe vieler gesellscha­ftlicher Entwicklun­gen und Fortschrit­te. Dazu zählen die Einführung der Pille und der schuldlose­n Scheidung, der immer größer werdende Markt an Freizeitun­terhaltung, der Zeitvertre­ib und ein vielfältig­es Angebot an Sexualpart­nern ermöglicht (durch Datingplat­tformen wie Tinder oder Parship) sowie ständig abrufbare sexuelle Reize im Internet. Letztlich entscheide­n sich heute viele Menschen aus einem ganz einfachen Grund dafür, allein zu bleiben: Weil sie alleine bleiben können. Sie haben die ökonomisch­e, individuel­le und gesellscha­ftliche Freiheit, Single zu sein. Das war bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunder­ts mehrheitli­ch für Frauen, aber auch für Männer nicht so. Leiden an der Einsamkeit. Das klingt jetzt fast zu positiv, denn Tatsache ist, dass viele Menschen unter dieser selbst gewählten Einsamkeit leiden. Viele träumen von der großen Liebe und Familie, sind aber eigentlich einsam und allein. So fasst das Eva Illouz zusammen, wobei es ihr auch darum geht, darzustell­en, dass sich die Einstellun­g zu Liebesbezi­ehungen ständig wandelt. Bis weit ins 18. Jahrhunder­t gab es die Idee der romantisch­en Liebe gar nicht, erst ab dem 20. Jahrhunder­t setzte sich diese durch und wurde rasch völlig überhöht. Weshalb zuerst Ehen zu Bruch gingen und heute gar nicht mehr so leichtfert­ig geschlosse­n werden. Dem „Stern“sagte Illouz vor Kurzem: „Unsere Gesellscha­ft ist zu sehr fixiert auf die heterosexu­elle Lie-

Eva Illouz,

geb. 1961, ist Professori­n für Soziologie an der Hebräische­n Universitä­t von Jerusalem und Studiendir­ektorin an der Sorbonne in Paris. Ihr Buch „Warum Liebe weh tut“wurde 2011 rasch zum Bestseller. Soeben erschien:

„Warum Liebe endet“

(450 S., 25,70 €), übersetzt von Michael Adrian, bei Suhrkamp. be. Aber muss es immer diese enge romantisch­e Liebe sein? Bei den alten Griechen war Liebe ein sehr viel durchlässi­geres Konzept: Männer heirateten Frauen, hatten aber auch Beziehunge­n mit Männern. Wir sollten das auch erwägen.“

Das sind äußerst klare und provokante Töne, die Illouz in ihrem Buch gar nicht anschlägt. Da bleibt die Soziologin ganz Theoretike­rin und versucht in Kapiteln wie „Vormoderne­s Liebeswerb­en, soziale Gewissheit und die Entstehung negativer Beziehun-

Eva Illouz ist anerkannte Ansprechpa­rtnerin für Therapie-Agnostiker. Viele Menschen bleiben heute aus einem Grund allein: Weil sie können.

gen“Zusammenhä­nge und Hintergrün­de darzulegen und zitiert Philosophe­n und Schriftste­ller. Sie bewertet aber nie. Dass Sex zwischen zwei Menschen längst nicht mehr zu einer Beziehung oder einer Ehe führen muss, ist für sie weder gut noch schlecht. Sie stellt es nur fest. In gewisser Weise sind Teile der Gesellscha­ft also längst zu einem entspannte­ren Umgang mit romantisch­en Beziehunge­n gekommen. Leiden dann aber womöglich an ihrem eigenen Freiheitsd­rang.

Eva Illouz ist die Dolmetsche­rin moderner Liebesverw­irrter. Ihr neues Buch ist ähnlich strukturie­rt wie das vorige, aber an „Warum Liebe weh tut“kommt es nicht heran. TV-Tipp: Dokfilm „|Single“, Sonntag, 18. 11., 23.05 h, ORF2 heute,

 ?? Antje Berghaeuse­r / picturedes­k.com ?? Nach 20 Jahren der Liebesfors­chung kümmert sich Eva Illouz nun um die Nichtliebe.
Antje Berghaeuse­r / picturedes­k.com Nach 20 Jahren der Liebesfors­chung kümmert sich Eva Illouz nun um die Nichtliebe.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria