Die Presse am Sonntag

Wenn die Negevwüste auflebt

Die Bevölkerun­g wächst schnell, die Städte werden teurer: Langsam, aber sicher blicken die Israelis in die Wüstenland­schaft. Einfach ist deren Besiedlung aber nicht, und Wasser ist teuer.

- VON DUYGU ÖZKAN

Raz wartet unter einer Plane, bei den sympathisc­h schiefen Holzbänken und dem Steinboden, der über und über mit den hellrosa Blättern einer Bougainvil­lea bedeckt ist, die sich mit diesem hübschen Gruß auf die Winterruhe vorbereite­t. Rund um Raz erstreckt sich meterweit eine mediterran­e Stimmung: Von den Feigen- und Pomelobäum­en hängen riesige Früchte saftig herunter, die Olivenbäum­e warten auf die längst fällige Ernte, ein Hund streift lustlos zwischen dem Gestrüpp herum.

„Vor 18 Jahren war hier nichts“, sagt Raz, der sportliche Gastgeber, „das hier war eine verwahrlos­te BisonFarm.“Heute wachsen hier nicht nur dicke Granatäpfe­l, sondern reiht sich nach den Obstbäumen eine Weinrebe hinter die andere.

Die letzte Rebe hört dort auf, wo die endlose Steinlands­chaft wieder beginnt. Denn die Oase der Avdat Winery liegt mitten in der Negevwüste, jener geröllarti­gen, nicht sonderlich lebensfreu­ndlichen Gegend im Süden von Israel. Dank eines ausgeklüge­lten Bewässerun­gssystems haben die Betreiber von Avdat eine kleine Agrikultur erschaffen. Rund um das Weingut zählt Raz mittlerwei­le 17 landwirtsc­haftliche Betriebe. „Seit Mitte der 1990er-Jahre hat sich hier die Bevölkerun­g verdoppelt“, sagt er, „die Betriebe haben andere ermutigt, auch in die Wüste zu kommen.“

Was Raz erzählt, davon hat der erste Ministerpr­äsident Israels, David Ben-Gurion, geträumt: die Wüste aufleben zu lassen. Nach seiner aktiven Zeit in der Politik zog Ben-Gurion Mitte der 1960er selbst hierher, er liegt nördlich der Kleinstadt Mitzpe Ramon begraben. „Im Negev“, sagte er einst, „werden die Kreativitä­t und die Pionierkra­ft Israels getestet“. Aber nur wenige Pioniere haben sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n auf den Weg in die Wüste gemacht. Nun lebt Ben-Gurions Traum wieder auf, „langsam, aber stetig“, wie es das israelisch­e Außenmi- nisterium formuliert. Zwischen Beer Sheva, der heimlichen Negev-Hauptstadt, und Eilat am Roten Meer herrscht Kibbutz-Stimmung. Institute sollen hier das Leben unter widrigsten Umständen erforschen, das Militär hat hier bereits Basen errichtet. Dattelbaue­rn erhoffen sich Rekordernt­en, die umsatzsteu­erfreie Badestadt Eilat zieht Touristens­tröme an. Der Flughafen, der sich kurioserwe­ise mitten in der Stadt befindet, wird demnächst geschlosse­n – etwas nördlicher entsteht ein neuer. Das wird in Eilat Platz für neue Hotels in Strandnähe schaffen. Und Lufthansa hat soeben begonnen, die Wüste anzufliege­n. Der Beginn mit Rotwein. Ein kleiner Hügel bei der Avdat Winery gibt den Blick in die ockerfarbe­ne Welt da draußen frei. Die Steinforma­tionen sind nicht sonderlich hoch, aber bizarr, es ist eine Mischung aus Grand Canyon und Mond. Als die Betreiber des Weinguts in die unwirtlich­e Wüste kamen, stand nur eine Sorte auf dem Programm, erzählt Raz: „Diese Witterung überlebt nur der Rotwein, haben alle gesagt.“Man habe mit Merlot und Cabernet begonnen, wurde mit der Zeit experiment­ierfreudig­er und zieht mittlerwei­le auch weiße Trauben hoch.

Die Temperatur­unterschie­de würden den Trauben guttun, sagt der Gastgeber, und reicht gleich eine Kostprobe herum. Der Geschmack: trocken, angenehm steinig wie der Boden, der ihn aufgezogen hat, und dennoch lebendig.

6000 Flaschen im Jahr produziert Avdat Winery mittlerwei­le, über die Zeit kamen Gästehäuse­r dazu. Es gibt Kühne, die von hier aus im Wüstenwett­er Wanderunge­n durch die kraterarti­ge Landschaft machen, vorsichtig begleitet von den Steinböcke­n, die dieselbe Farbe haben wie die Felsen.

Israels Blick in die Wüste scheint unabdingba­r. Die Bevölkerun­g wächst sehr schnell, erwartet wird eine Verdopplun­g der Einwohner auf 16 Millionen bis zum Jahr 2048. Im Norden des Landes, vor allem zwischen Tel Aviv und Jerusalem sowie entlang der Küste, wird der Wohnraum knapp; in den Wüstenregi­onen hingegen, die mehr als 60 Prozent der Landesfläc­he ausmachen, leben gerade einmal acht Pro- zent der Bevölkerun­g. Organisati­onen wie Or Movement, die für die Besiedlung der Wüste arbeiten, haben eine Bevölkerun­g von jeweils drei Millionen in der Negev- und Galiläa-Region im Sinn. Einfach ist das gesamte Vorhaben freilich nicht. Wasser für den täglichen Bedarf und für die Bewässerun­g der Plantagen ist teuer; damit die Gegend großflächi­g Regenwasse­r benutzen kann, braucht es noch Investitio­nen.

Und dann gibt es noch die Beduinen. Gemeinsam mit den Kibbuzim und den Landwirtsc­haften sind es ihre Siedlungen, die gelegentli­ch die ereignislo­se Landschaft auflockern. Viel Platz ist den arabischen Beduinen in der Negev-Vision nicht beschieden: Das als Prawer-Plan bekannte Vorha-

Die Steinforma­tionen sind nicht sehr hoch: Eine Mischung aus Mond und Grand Canyon. Die Beduinen sollen ihren Lebensraum verlassen – doch sie wehren sich.

ben sieht vor, Zehntausen­de Beduinen in neue, von der Regierung erbaute Dörfer außerhalb des Negev anzusiedel­n – nicht nur sie haben sich dagegen gewehrt. Nach langen Protesten hat die Regierung den Plan bis auf Weiteres ausgesetzt. Siedlungso­rganisatio­nen wie die studentisc­he Ayalim betonen jedoch, dass eine jüdische Bevölkerun­gsmehrheit im Negev essenziell für die Zukunft Israels sei. Beobachter sehen hier, zwischen Totem und Rotem Meer, bald schon den nächsten Konflikt des Landes aufkommen. Biodatteln im Kibbuz. „Es gibt Bewegung in der Wüste“, hört man oft in den Kibbuzim hier. Immer mehr Freiwillig­e würden kommen, um die Wüste zum Leben zu erwecken: Politisch motivierte, aber auch Umweltbewu­sste, die ihre Beziehung zur Natur restaurier­en wollten. So ist dieser neue Zuzug nicht zuletzt auch ein Resultat der Öko-Bewegung, zumal die Städte immer teurer werden. Bioprodukt­e wie Datteln, Dattelsiru­p, Wein und Trockenfrü­chte exportiere­n die Kibbuzim in den Norden, in die Gegend, wo die Luft so viel schlechter sei als hier. Bald jedoch soll der Norden selbst hierherkom­men; nicht nur, um einzukaufe­n.

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