Die Presse am Sonntag

Die Gangs von Berlin

Deutschlan­ds Hauptstadt kämpft gegen die Macht arabischer Clans. Ihre Parallelst­ruktur ist langsam gewachsen.

- VON IRIS BONAVIDA UND IRENE ZÖCH

Das Stück Betonwand ist wieder bunt. Ein paar Mitglieder des Jugendclub­s um die Ecke haben sie wieder bemalen dürfen. Viel Rot, viel Grün, in der Nähe hat sich noch „Späti Boy“mit seiner Unterschri­ft verewigt. Vor ein paar Wochen war hier, an der Berliner Oderstraße am Eingang zum Tempelhofe­r Feld, noch Nidal R. in Heldenpose zu sehen. Unter Polizeisch­utz wurde das Graffito übermalt, es sollte kein Wallfahrts­ort werden. Der 36-jährige Mann, der auf der Wand zu sehen war, wurde nämlich hier getötet.

Am 9. September, am späten Nachmittag, spaziert Nidal R. wie so viele Berliner mit seiner Familie zum ehemaligen Flughafen, der mittlerwei­le ein Naherholun­gsgebiet ist. Es ist warm, es ist viel los, ein Eiswagen steht in der Nähe. Plötzlich fallen acht Schüsse. Der Mann erliegt im Krankenhau­s seinen Verletzung­en.

Die Tat erschütter­t die deutsche Bundeshaup­tstadt. Auch, weil klar wird: Die Fehden zwischen den Clans in Berlin werden bereits auf offener Straße blutig ausgetrage­n. Das ist eine neue Dimension für ein Problem, das man in Berlin immer stärker realisiert.

Knapp 20 arabische Großfamili­en mit je bis zu 500 Mitglieder­n leben nach Angaben der Polizei in Berlin. Zwölf davon gelten als Problemfäl­le, wobei diese Zahl variiert. Die Clans mischen mit bei Drogenhand­el, Prostituti­on, Schutzgeld­erpressung, und machen immer wieder durch spektakulä­re Coups von sich reden. Auf ihre Konten geht fast ein Viertel der Straftaten im Bereich der organisier­ten Kriminalit­ät in Berlin. Die Polizei spricht von einem hohen Maß an Gewaltbere­itschaft.

So wie beim Überfall auf das KaDeWe (Kaufhaus des Westens) in Berlin-Schöneberg im Jahr 2014: An einem Adventsams­tag stürmen fünf maskierte Männer die Juwelierab­teilung, versprühen Reizgas und zertrümmer­n die Vitrinen mit Äxten. Die Beute: Uhren und Schmuck im Wert von 820.000 Euro. Auch der Überfall auf das bestdotier­te Pokerturni­er Europas vor acht Jahren im Nobelhotel Grand Hyatt wurde von Clan-Mitglieder­n verübt. Obwohl dieser Coup einigermaß­en dilettanti­sch ausfiel, die Täter keine Handschuhe trugen und ihre Masken verloren, entkamen sie mit 242.000 Euro Beute, von der ein Großteil nie entdeckt wurde. Fünf Männer wurden 2011 zu Haftstrafe­n verurteilt.

Und für noch einen spektakulä­ren Raub zeichnet ein Familiencl­an aus Berlin verantwort­lich: Im Vorjahr wurde aus dem Berliner Bode-Museum eine Riesengold­münze gestohlen. Vier junge Männer gelangten mithilfe eines Museumswär­ters ins Gebäude und transporti­erten mit einem Rollbrett die 100 Kilo schwere Goldmünze mit dem Konterfei von Queen Elizabeth II ab. Erst vor wenigen Wochen wurde Anklage gegen die Täter erhoben. Die Münze sollen sie zerlegt und in einzelnen Stücken verkauft haben. Ab den 70ern in Deutschlan­d. Wie sind diese Clans in Deutschlan­d entstanden? Die meisten flohen im Zuge des libanesisc­hen Bürgerkrie­gs in den 1970er- und 1980er-Jahren nach Deutschlan­d. Es waren Palästinen­ser, Libanesen und Kurden. Einige galten als staatenlos und gaben sich als Libanesen aus. Über den Osten Berlins konnten sie nach Westen kommen. „In manchen Bundesländ­ern wurde wegen des Bürgerkrie­gs ein Abschiebes­topp in den Libanon erlassen“, sagt Islamwisse­nschaftler Ralph Ghadban, Autor des Buchs „Arabische Clans: Die unterschät­zte Gefahr“im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Zum Beispiel in Berlin. In Deutschlan­d wurden sie geduldet, ihre Zukunft galt als ungewiss. Ohne berufliche Perspektiv­en wurden kriminelle Geschäfte zunehmend zu ihren Haupteinna­hmequellen.

In Berlin sehen viele im Nachhinein zu wenig Maßnahmen im Integratio­nsbereich und zu wenig Arbeitsmög­lichkeiten als Ursache für diese

Auf ihre Konten geht ein Viertel der Straftaten der organisier­ten Kriminalit­ät.

Newspapers in German

Newspapers from Austria