Die Presse am Sonntag

Die große Lust am Eskapismus

Der kanadische Superstar Michael Bubl´e hat mit »Love« sein 13. Album veröffentl­icht – und erklärt der »Presse am Sonntag«, wie »babymaking music« die triste Welt verbessern kann.

- VON SAMIR H. KÖCK

Ist er ein junger Mann mit alter Seele? Ein schlichter Reaktionär? Oder ein rettungslo­ser Romantiker in einem zynischen Zeitalter? Am ehesten Letzteres. Michael Buble´ hat das sanfte Singen aufs Neue populär gemacht. In Zeiten, in denen aalglatter R&B, obszöner Hip-Hop und krachender Metal die Hitparaden dominieren, rebelliert­e er gegen die herkömmlic­he Form von Poprebelli­on. Das vordergrün­dig Brave, das er ausstrahlt, hat etwas Renegatenh­aftes.

Buble´ entzieht sich den Schubladen auch, indem er neben patinierte­n Standards Lieder von Lennon/McCartney, Lou Rawls oder Van Morrison interpreti­ert. Auch moderneres Material bekommt bei Buble´ großorches­trale Arrangemen­ts. Leidenscha­ftlich bekennt er sich zum „großen Besteck“, wie es unter Musikern heißt. Obwohl erst 33, sieht er in den Jazz- und Musicalsch­lagern, die einst Bing Crosby, Nat King Cole, Frank Sinatra, Paul Anka, ja sogar Perry Como gesungen haben, unantastba­re Qualität.

Vorsichtig reimaginie­re er dieses Repertoire, sagt er auf einer Couch im Berliner Soho House im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“: „Ich habe einen richtigen Beschützer­instinkt, wenn es um das Great American Songbook geht. Ich halte diese Songs für das Beste, das je aus den USA gekommen ist. Sie spiegeln die menschlich­e Grundverfa­sstheit, die Ängste, die Zweifel, das Streben nach Glück auf zeitlos gültige Weise. Mir geht es darum, ihnen eine frische, hoffentlic­h clevere Aura zu verleihen.“

Seine eigene Ausstrahlu­ng ist eher farblos. Böse Zungen behaupten, sein durchschni­ttliches Äußeres sei der Grund, warum die Damenwelt für ihn schwärmt. Aber es ist wohl sein Belcanto-Schmelz, der die Begeisteru­ng auslöst. „Ich weiß natürlich, dass ich kein Jazzsänger vom Schlag eines Harry Connick Jr. oder Jamie Cullum bin. Aber ich habe die allergrößt­e Bewunderun­g für das Genre und will die Musik meiner Helden am Leben erhalten.“ „Modern-Day-Sinatra“. Der gern als „Modern-Day-Sinatra“titulierte Buble,´ der deutlich mehr Crooner als Swinger ist, hat es ein wenig mit der Angst zu tun bekommen. „Ich hatte das intensive Gefühl, einer sterbenden Zunft anzugehöre­n, weil so viele grandiose alte Arrangeure gestorben sind. Mittlerwei­le gibt es aber ein paar junge Kollegen, die genauso leidenscha­ftlich an den Orchestrie­rungen feilen wie ich.“Buble´ ist wie Sinatra nicht bloß Sänger, sondern nimmt auch Einfluss auf die musikalisc­he Gestaltung. „Mein Lieblingst­eil der Kunst von Frank Sinatra ist nicht sein Gesang. Es ist die Arbeit seiner Arrangeure Billy May, Nelson Riddle und Gordon Jenkins.“

Mit viel Gusto mitarrangi­ert hat Buble´ auch „Love“, sein 13. Studioalbu­m, das opulent und durchgehen­d gemütsaufh­ellend ist. Es spiegelt wiedergewo­nnene Lebensfreu­de. Beinah hätte er seine Karriere wegen der Krebserkra­nkung seines Sohns aufgegeben. Nach dessen Heilung stieg Buble´ wieder ins Showkaruss­ell ein.

Sein Thema ist nach wie vor die Liebe. Politische Statements, wie sie zuletzt Barbra Streisand auf ihrem Album „Walls“äußerte, durfte man nicht von ihm erwarten. „Nach dem, was ich zuletzt durchgemac­ht habe, ging es mir um ein positives Statement. Diese Lieder habe ich ganz persönlich gebraucht.“Und was ihm guttut, soll auch seinen Hörern helfen: „Es ist mir natürlich nicht entgangen, dass viele Politiker derzeit fleißig an der Spaltung der Gesellscha­ft arbeiten. Ich weiß, dass ich mit meiner Arbeit nicht die Welt retten werden, aber ich kann mit meiner , babymaking music‘ helfen, eine Stimmung zu kreieren, die die Menschen zusammenbr­ingt.“ Herzschlag als Beat. Buble´ sieht hier Parallelen zu einstigem Zeitgeist. „Viele dieser Lieder stammen aus den späten Vierziger- und frühen Fünfzigerj­ahren, einer Ära, die auf gespenstis­che Weise der Gegenwart ähnelt. Auch damals herrschte viel Angst. Die damali-

1975

in Burnaby, British Columbia, Kanada, geboren. Seine Vorfahren kamen aus Kroatien und Italien. Durch die Plattensam­mlung seines Großvaters wurde er mit dem Jazz bekannt.

1990

nahm er an ersten TalenteWet­tbewerben in Vancouver teil. 1992 gewann er den ersten Preis einer kanadische­n Talentesho­w.

1995

spielte er in der musikalisc­hen Revue „Forever Swing“, nahm ein privates Album für seinen Großvater auf.

1996

spielte er in „Akte X“.

2000

sang er auf der Hochzeit der Tochter des kanadische­n Politikers Brian Mulroney. Der war so begeistert, dass er ihn dem Produzente­n David Foster vorstellte.

2001

schauspiel­erte er in „Totally Blonde“.

2003

veröffentl­ichte Bubl´e sein Debütalbum, das weltweit ein Erfolg war.

2008

gewann er den ersten von vier Grammys.

2018

wurde ihm ein Stern am Hollywood Boulevard gewidmet, und er veröffentl­ichte sein 13. Album „Love“.

Über 75 Millionen

Alben hat er bis jetzt verkauft. gen Komponiste­n lieferten hoffnungsf­rohes Material. Dieser Tradition fühle ich mich verbunden.“

Der Klassiker „My Funny Valentine“beginnt mit Bubles´ Herzschlag, der als Beat dient. „Es ist eines der ehrlichste­n Liebeslied­er, die jemals komponiert worden sind. In ihm wird das Unperfekte gefeiert. Die geliebte Person muss weder besonders hübsch noch wahnsinnig gescheit sein. Dieses Nebeneinan­der von romantisch­er Melodie und realitätsn­ahem Text finde ich grandios.“

Abgesehen von einer Charlie-PuthKompos­ition gibt es nur einen einzigen weiteren halbwegs zeitgenöss­ischen Song, den Kris-Kristoffer­son-Klassiker

„Ich halte das Great American Songbook für das Beste, das je aus den USA kam.“ Bubl´es Musik weckt eine alte Frage: Haben Illusionen mehr Wahrheit als jeder Realismus?

„Help Me Make It Through the Night“. „Ich wollte von diesem kleinen Lied eine Breitwand-Version einspielen. Wenn ich etwas gut kann, dann ist es das – Lieder ins Großformat zu bringen. Meine Lieblingsv­ersion von ,Help Me Make It Through the Night‘ ist übrigens die von Willie Nelson. Er klingt verzweifel­t, aber wunderschö­n. Dass das Lied kein Happy End hat, machte mir etwas zu schaffen.“ Antidot gegen Alarmismus. Leichter tat er sich mit Piafs „La vie en rose“. Buble´ singt es als Duett mit der großen zeitgenöss­ischen Jazzsänger­in Cecile´ McLorin Salvant. „Es dauerte drei Monate, bis sie Zeit für mich hatte. Ihre Karriere explodiert gerade. Sie ist auf einem Level mit Sarah Vaughan.“Dass ihr gemeinsame­s Duett zweisprach­ig ausfiel, war Buble´ ein Herzensanl­iegen, schließlic­h ist seine Ehe mit der Argentinie­rin Luisana Lopilato auch eine bilinguale Angelegenh­eit.

Das Duett strahlt pure Glückselig­keit aus, ein Antidot im Alarmismus unserer Tage. Bubles´ musikalisc­he Reise in eine imaginäre Vergangenh­eit führt zu einer alten Frage des Showbusine­ss. Liegt in der Illusion mehr Wahrheit als in allem Realismus?

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