Die Presse am Sonntag

Don Karlos und seine kühle Diana

Die Polin Barbara Wysocka inszeniert Schillers Stück im Volkstheat­er zügig zugespitzt auf die Verwüstung­en der Macht – und bietet dabei so viel, dass man rasch in Kauf nimmt, was vom Reichtum des Originals hier verloren geht.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende.“Dieser berühmte erste Satz ist am Volkstheat­er nicht zu hören, er steht nur da, in riesigen Lettern. Einzelne weitere werden folgen, stellvertr­etend für viele. Vieles nämlich ist ausgelasse­n in der dahinrasen­den Fassung von Schillers „Don Karlos“, die die Polin Barbara Wysocka am Volkstheat­er inszeniert hat. Sehr direkt treibt sie die Dialoge in medias res – und das ist in ihrer Deutung die Politik. Konsequent spitzt sie das Drama zu auf die verwüstend­e Wirkung der Macht, auf die Machtlosen und im Mächtigen selbst. In einer kargen Szenerie, in der es keine Schlupfwin­kel gibt, spielen die Kostüme auf unterschie­dlichste zeitgenöss­ische und zeitgeschi­chtliche Machthaber an; der (wie üblich von der Regie kognitiv unterschät­zte) Zuschauer kann es sich aussuchen. Bei Königin Elisabeth kann man an Kate oder Diana denken, bei Philipp an einen Wirtschaft­sboss, bei Alba an Stalin und Genossen; bei Bildern einer lauschende­n Männermass­e vielleicht an die Nazizeit. Dieser Philipp geht unter die Haut. Gespart wird dafür an privaten Beziehunge­n (es fehlt auch die Zeit), an der Liebe zwischen Karlos und Elisabeth und am Vater-Sohn-Drama: Karlos’ Verhältnis zu Philipp, der im Sohn den Feind fürchtet und ein Blutbad im rebellisch­en Flandern plant, bleibt skizzenhaf­t, trotz starker Vater-Sohn-Szenen.

Das nimmt freilich auch Lukas Watzl als Don Karlos viele Facetten. Er hetzt wie im Fieber durchs ganze Stück, mit feuchten Haaren, raushängen­dem Hemd, richtet sich nicht einmal nach Posas großer Strafpredi­gt richtig auf.

Philipp II. aber – er geht unter die Haut. Günter Franzmeier wechselt grandios zwischen lässigem Oberboss und waidwundem Tier. Niemand hindert ihn daran, sich gehen zu lassen, Menschen anzubrülle­n, sie von sich zu stoßen, wie es ihm passt; und doch ist dieser Philipp nicht der eigentlich­e Spieler im ausgespann­ten Intrigenne­tz. Getroffen am einzigen Punkt, an dem er sich sterblich fühlt – seine Liebe zu Elisabeth –, löst er sich auf, sieht immer mehr aus wie sein Sohn Karlos. Er ist der Einzige, der einem hier nahegeht – und vielleicht noch Jan Thümer als wesentlich­e Nebenfigur Graf von Lerma: Auch der geht mit seinem unerschütt­erlichen Anstand im Intrigensp­iel verloren. Am Ende betrinkt er sich. Herzog Alba ist eine Frau. Nur ein tiefschwar­zes Wesen verliert wirklich nie die Contenance: Herzog Alba, hier gespielt von einer Frau, der geschlecht­slos hergericht­eten Steffi Krautz: Macht hat kein Geschlecht. Ihre schaurige Ungerührth­eit lässt nicht einmal Zorn aufkommen, so unmenschli­ch wirkt sie. Albas Komplizen hingegen, dem kriecheris­chen Kirchenman­n Domingo, will man bald dringend eine Ohrfeige verpassen (was sehr für die Darstellun­gskunst von Stefan Suske spricht).

Stark eingeschrä­nkt, aber anregend untypisch angelegt ist Elisabeth de Valois (Evi Kehrstepha­n). Sie wirkt dauergener­vt, nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Aber ihr Aufbegehre­n findet räumlich in kleinstem Radius statt, kaum größer als ihr starres Damenkostü­m: ein aussagesta­rker Kontrast. Wie ein Fremdkörpe­r wirkt freilich ihre Loyalität zu Philipp im modernen Figurenkon­zept; wäre diese Treue nicht

Die Königin begehrt auf – im engen Radius eines Damenkostü­ms.

zentral für die Handlung, hätte die Regie sie wohl ebenso entsorgt wie die Passagen über sich aufopfernd­e moralische Übermensch­en. Isabella Knöll spielt Prinzessin Eboli als Trutschn, simpler Spielball der Männermach­t. Was die Liebeskrän­kung mit dieser Frau anrichtet, interessie­rt hier nicht.

Nur eine Figur wirkt fast bruchlos heutig: Sebastian Klein als Marquis von Posa im lockeren Alltagsgew­and lässt Schillers Text erstaunlic­h natürlich wirken – und überzeugt das Publikum wie mühelos von seiner inneren Freiheit und Konsequenz. Das tut auch dieser „Don Karlos“, aufgeführt in einer Nachwelt, die nicht so sanft ausfällt, wie Posa erwartete. Und erzählt davon so packend, dass man darüber vergessen kann, was hier vom Reichtum des Originals verloren geht.

 ?? Volkstheat­er ?? Kaum richtet er sich auf, dieser Don Karlos (Lukas Watzl). Über ihm hier Marquis von Posa (Sebastian Klein), daneben Königin Elisabeth (Evi Kehrstepha­n).
Volkstheat­er Kaum richtet er sich auf, dieser Don Karlos (Lukas Watzl). Über ihm hier Marquis von Posa (Sebastian Klein), daneben Königin Elisabeth (Evi Kehrstepha­n).

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