Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Ratelbands wahres Alter. Ein Niederländer will von Amts wegen so alt sein, wie er sich fühlt. Nur ein Gag – oder eine ernste Anfrage an eine Kultur, in der das Geschlecht frei wählbar wird?
Emile Ratelband ist ein niederländischer 69-jähriger Motivationstrainer und laut seiner Homepage der beste Redner Europas. Vor wenigen Tagen hat er international auf sich aufmerksam gemacht, indem er bei der Behörde beantragt hat, sein Alter um 20 Jahre herabzusetzen. Er fühle sich so jung, und auch die Ärzte hätten ihm die Konstitution eines 45-Jährigen bescheinigt. Er leide unter den Einschränkungen seiner 69 Jahre, etwa bei einer Kreditgewährung oder auf der Datingplattform Tinder. Und beim Geschlecht sei es doch auch so, dass das Amt der Selbsteinschätzung des Bürgers folge.
Ratelband ist ein kreativer Selbstvermarkter. Es gibt aber tatsächlich Menschen, die massiv unter ihrem Alter leiden, weil sie eine stark abweichende Selbstwahrnehmung haben – bis hin zur schweren Suizidgefährdung. So wie es Menschen gibt, die unter dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht leiden. Das ist als Genderdysphorie oder Geschlechtsidentitätsstörung international anerkannt. Weit über die Linderung von Leid hinaus geht allerdings der Trend, auf den sich Ratelband bezieht: Geschlechtsidentität als etwas Subjektives zu erklären.
Um in der Geburtsurkunde den Geschlechtseintrag ändern zu lassen, reicht etwa in Ratelbands Heimat schon die Bescheinigung eines Spezialisten aus, dass man es ernst meint und die Folgen verstanden hat. In Amerika werden vielfach schon Kinder dazu angehalten, ihren äußerlichen Merkmalen nicht zu trauen und sich in einem Genderspektrum selber zu verorten.
Hingegen sagt man zwar gern, man sei immer so alt, wie man sich fühlt – als maßgeblich gilt aber dann doch das objektive Alter. Während schon Barack Obama jedem Schüler das Recht geben wollte, das Klo des von ihm beanspruchten Geschlechts zu benützen, würde niemand einen 30-Jährigen in die Hüpfburg lassen, nur weil er sagt, dass er sich als Sechsjähriger fühlt. Noch.
In einem drei Millionen Mal aufgerufenen Video fragt ein weißer, mittelgroßer Mann Studenten auf dem Campus der Universität von Washington: „Was würden Sie dazu sagen, wenn ich mich als Frau deklariere?“Alle erklären ihm, dass sei o. k., wenn er sich so sehe. „Auch wenn ich mich als chinesische Frau identifiziere?“Du bist der, der du sein willst. „Und wenn ich sage, dass ich in Wirklichkeit eine zwei Meter große Chinesin bin?“Sogar das würden einige noch anerkennen. Das Fazit des Moderators: „Einem 1,70 Meter großen weißen Kerl zu sagen, dass er keine zwei Meter große chinesische Frau ist, sollte eigentlich nicht schwer sein. Und doch ist es das. Warum?“Die Frage ist gut. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.