Die Unvollendete
Fünf Jahre nach Beginn der Maidan-Revolution ist das Reformfazit in der Ukraine durchwachsen. Die Gesellschaft hat sich schneller europäisiert als die alten Eliten, die im Staat weiterhin das Sagen haben.
Nicht nur Russen denken in langfristigen Kategorien. Fragt man den Ukrainer Wolodymyr Gorbatsch, wie sein Land mit dem großen Nachbarn im Osten umgehen soll, hat er eine klare Antwort parat. „Wir müssen Russland überleben“, sagt Gorbatsch und zeichnet auf einem Zettel mehrere kleine Gebilde: den Nordkaukasus, die Wolgaregion, Tatarstan. Ein zerfallenes Großreich. „Mit mehreren kleinen Russlands wird es für uns einfacher als mit einem großen Imperium.“
Gorbatsch ist Analyst am Kiewer Institut für Euroatlantische Kooperation und gern gesehener Kommentator im ukrainischen Fernsehen. Seine Antwort mag für westliche Beobachter ungewöhnlich, ja unrealistisch klingen. Gleichwohl illustriert sie, wie man in der Ukraine fünf Jahre nach Beginn der Maidan-Revolution auf sich selbst und seinen großen Nachbarn blickt: Man gibt sich selbstbewusst und ausdauernd. Bereit, in den ungleichen Kampf zu treten. Wie an jenem klirrend kalten Novemberabend, als alles begann. Verrat durch die Führung. Am 21. November 2013 legte die ukrainische Regierung die Unterzeichnung des geplanten EU-Assoziierungsabkommens unerwartet auf Eis. Junge Kiewer waren die Ersten, die sich auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan, versammelten. Sie fühlten sich verraten und verkauft. Präsident Viktor Janukowitsch, ein Meister der Schaukelpolitik zwischen Ost und West und an diesem Tag ausgerechnet auf Staatsbesuch beim damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer, hatte unter dem Druck Moskaus seine proeuropäischen Ambitionen eingestellt. In den kommenden Tagen und Wochen bildete sich ein Volksaufstand, der mit jedem Polizeieinsatz nur entschlossener wurde und schließlich am 21. Februar 2014 mit der Flucht des Präsidenten nach Russland endete. Als Reaktion auf die proeuropäische Wende der Ukraine an-