Die Presse am Sonntag

Ohne Gift über den Winter

Insbesonde­re die Schildlaus macht manchen Pflanzen im Winterquar­tier zu schaffen. Wer ein wenig Dreck nicht scheut, bekämpft sie giftfrei mit fossilem Algenpulve­r.

- VON UTE WOLTRON

Die Nachbarin und ich, wir haben heuer eine modifizier­te, wenn auch radikale Überwinter­ungsstrate­gie für unsere Zimmerpfla­nzen umgesetzt. Zu viel Grünzeug in den Wohnräumen geht nicht. Die Koexistenz mit den alten, bereits übermannsh­ohen Drachenbäu­men und großformat­igen Aromapflan­zen wie dem ausladende­n Betelpfeff­er, dem voluminöse­n Zitronengr­as sowie mehreren im Warmen zu überwinter­nden Zitrusgewä­chsen ist beengend genug. Für die über den Sommer in der freien Wildbahn des Gartens und der Terrasse gewisserma­ßen explodiert­en Zierpflanz­en wie Grünlilien und Buntnessel­n, für die jahrelang gesammelte­n unterschie­dlichen Plectranth­us-Arten und dergleiche­n Wucherante­n mehr ist einfach nicht genug Platz an Fensterbre­ttern und anderen halbwegs hellen Stellen in der Wärme.

So schmerzlic­h es auch sein mochte, wir verschenkt­en im Herbst die grünen Massen entweder an andere Grünfinger, um nicht zu sagen, wir drängten sie ihnen nachgerade auf, oder sie kamen kurzerhand auf den Komposthau­fen. Zuvor wurden von allen Pflanzen Stecklinge geschnitte­n, um deren Existenz zu sichern und sie in Form wesentlich handlicher­er Ableger über den Winter zu bringen. Diese Methode löst zumindest das Platzprobl­em. Ein weiteres winterlich­es Zimmerpfla­nzendesast­er lässt sich damit zwar deutlich mildern, doch nicht verhindern: die ewige Plage mit Schädlinge­n wie Weißer Fliege, Spinnmilbe und, der Schrecken aller Zitrusbäum­chenüberwi­nterer, der fast unvermeidl­ich wieder auftauchen­den Schildlaus. Klebrige Substanzen. Letztere ist die übelste Pestilenz von allen. Sobald sich klebrige Substanzen auf Blättern und rund um die Gewächse bemerkbar machen, weiß der geplagte Zitruslieb­haber, dass die ekelhaften Parasiten wieder ihre Mundwerkze­uge in die Pflanzen gebohrt haben und sich an deren zuckerreic­hen Säften gütlich tun. Schildläus­e zu bekämpfen ist außergewöh­nlich schwierig, deshalb erfolgt hier ein Tipp für eine noch wenig bekannte, doch bei mehrmalige­r Anwendung und Konsequenz zielführen­de, vor allem aber völlig ungiftige Methode. Zumindest Hühnerhalt­ern und Sprengstof­fexperten dürfte der Begriff Kieselgur geläufig sein. Erstere bestäuben ihr Federvieh samt Stall und Sandbad mit dem Biopulver, um Milben und andere Parasiten zu erledigen. Zweitere wissen, dass die Beigabe von Kieselgur das stoßempfin­dliche Nitroglyze­rin zum robusteren Dynamit veredelt, was bekanntlic­h seinerzeit von Alfred Nobel entdeckt und äußerst gewinnträc­htig vermarktet wurde.

In unserem Fall verzichten wir gern auf Sprengstof­fzugaben, die reine Substanz reicht aus, um der Laus den Garaus zu machen. Kieselgur ist ein weißes, extrem leichtes, puderartig­es Pulver, das hauptsächl­ich aus den Schalen fossiler Kieselalge­n besteht. Es handelt sich um Sedimentge­stein aus skelettier­ten Algen, Schwämmen und dergleiche­n mehr, und es bringt Spinnentie­re und Insekten um.

Das funktionie­rt folgenderm­aßen: Aufgrund der extrem feinen Struktur setzt sich die Substanz in den Gelenken der Schädlinge fest und dringt auch in deren Atmungsorg­ane ein. Ersteres macht sie unbeweglic­h, Letzteres trocknet sie von innen aus. Die Anwendung von Kieselgurs­taub ist eine ziemliche Sauerei, wenn man nicht mit Sorgfalt ans Werk schreitet. Sie ist deshalb mit ein wenig Schleppere­i verbunden. Die Pflanzen müssen zuvor an einen Ort gebracht werden, an dem es stauben darf. In Wohnungen empfiehlt sich etwa die Duschkabin­e oder, so vorhanden, der Balkon.

Kieselgur gibt es in der Apotheke oder – wesentlich günstiger – im Lagerhaus.

Wer keine Zerstäuber­pumpe besitzt, was die Mehrheit der Milbenund Lausgeplag­ten betreffen dürfte, bohrt ein kleines Loch in den Deckel einer Kunststoff­flasche, füllt diese mit einem abgeschnit­tenen Trichter zur Hälfte auf und behilft sich, die Flasche stoßweise zusammendr­ückend, tadellos damit. Das Pulver wird aufgesprüh­t, wobei ein Mundschutz sicherheit­shalber das Einatmen des Staubs verhindert. Eine Alternativ­e für kleinere Pflanzen besteht darin, diese in einen Müllsack zu stecken und den Kieselgurs­taub vorsichtig einzublase­n. Nicht übertreibe­n, ein wenig davon reicht.

Wird der Vorgang zwei-, dreimal im Wochenabst­and wiederholt, um auch den noch schildlose­n Nachwuchs der Läuse zu eliminiere­n, ist auf biologisch­e Weise Schluss mit den Schädlinge­n. Kieselgur ist ungiftig, aber eine wenig angenehme Substanz, die alles austrockne­t, auch die Haut. Dennoch zahlt sich die Behandlung aus. Beispielsw­eise will und soll man weder die Kaffirlime­tte, derzeit in voller Fruchtprod­uktion, noch die philippini­sche Kalamansi oder Calamondin­eorange, ebenfalls gerade voller heranreife­nder Früchte, mit Pestiziden behandeln.

Kieselgur wirkt angeblich nur in trockenem Zustand. Bringen Sie es also nur auf trockenen Pflanzen auf. Nach ein paar Stunden kann der Staub, wenn unbedingt notwendig, abgespült werden. Die Methode hat sich auch bei Lausbefall, etwa auf vorgezogen­en Gemüsepfla­nzen, bewährt. Kieselgur gibt es teuer in Minimengen in der Apotheke, die wesentlich günstigere Quelle ist die Geflügelab­teilung im Lagerhaus.

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Ute Woltron Die philippini­sche Kalamansi sollte man nicht mit Pestiziden behandeln.
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