Wenn der Chef zum Risiko wird
Sie basteln lang und zielstrebig an ihrer Karriere, um es ganz nach oben zu schaffen. Am Ende scheitern Manager häufig an ihrer Hybris. Zum Nachteil des Unternehmens.
Carole und Carlos Ghosn entschieden sich vor zwei Jahren ganz bewusst dafür, ihre Hochzeit an einem geschichtsträchtigen Ort zu veranstalten. „Wenn du Leute auf eine Party einlädst, kommen sie vielleicht. Bittest du sie nach Versailles, kommen sie bestimmt.“Das Schloss des einstigen Sonnenkönigs Ludwig XIV. diente dem Chef des französisch-japanischen Autokonzerns Renault-Nissan als Kulisse für ein opulentes Fest, für dessen Inszenierung sich das Paar bei Sofia Coppolas Film Marie Antoinette bediente. Die Klatschpresse schlachtete das Ereignis genüsslich aus. Dieser Tage sind es die Wirtschaftszeitungen, die über Ghosns jähen Fall berichten.
In der vergangenen Woche klickten bei dem angesehenen Automanager die Handschellen. Auf dem Tokioter Haneda Flughafen warteten nicht nur Medienvertreter auf seine Ankunft, sondern auch die Polizei. Dem Chef des drittgrößten Autoherstellers der Welt wird vorgeworfen, die wahre Höhe seines Einkommens jahrelang vor den Behörden verschleiert und Firmengelder für private Zwecke genutzt zu haben. Nissan zog bereits die Konsequenzen und setzte seinen Verwaltungsratsvorsitzenden vor die Tür.
Ghosns Privatvermögen wird auf hundert Millionen Dollar geschätzt, sein Jahresgehalt macht umgerechnet 15 Millionen Euro aus. Als Ghosn heuer von der Financial Times gefragt wurde, ob er zu viel verdiene, sagte er: „Sie werden keinen CEO sagen hören, er sei überbezahlt.“Das mag stimmen. Dennoch fragt man sich, warum jemand, der mehr verdient, als andere in vielen Leben nicht anhäufen könnten, ein Manöver wie dieses überhaupt notwendig hat. Warum riskiert man das?
Das Unrechtsbewusstsein ist bei Großverdienern nicht anders als bei Normalsterblichen, sagt Wirtschaftspsychologin Julia Pitters. Selbst wenn es sich Vermögende locker leisten könnten, ihre Steuern zu bezahlen, empfinden sie die Höhe des abzuführenden Geldbetrages als genauso ungerecht. „Menschen setzten Geldbeträge immer in Relation zu etwas.“Wer superreich ist, bewegt sich zudem häufig in anderen Sphären. „Vielen ist oft gar nicht bewusst, was sie anrichten.“
Ghosn jettete um die Welt, hat Wohnsitze in mehreren Metropolen und galt bis dato als angesehener Mann. Er schaffte es, Ende der Neunzigerjahre den japanischen Nissan-Konzern und später auch Renault zu sanieren. Die fast 20-jährige Allianz wurde um den Autobauer Mitsubishi erweitert – Ghosn war der Kopf dahinter und behielt bis zuletzt die Oberhand. „Nissan oder Mitsubishi gäbe es ohne Renault wohl nicht mehr“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Nun droht ein offener Machtkampf zwischen den Bündnispartnern. Der Aktienkurs von Renault hat deutlich nachgegeben. War es das alles wirklich wert?
„Ich glaube nicht, dass es Managern egal ist, wenn sie ihrem Konzern schaden, aber um Ziele zu erreichen, beschäftigt man sich zwangsläufig viel mit sich selbst. Dabei kann es leicht passieren, den Blick für das Gesamte aus den Augen zu verlieren“, sagt Pitters. Egoismus und Ehrgeiz braucht man, um an die Spitze zu kommen. Doch führen diese Eigenschaften auch eher dazu, sich von der Wirklichkeit bzw. seiner Umwelt abzukoppeln. Der Dieselskandal hallt nach. Auch Martin Winterkorn war anspruchsvoll und ehrgeizig. Der 71-Jährige war lang Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns. Heute suchen ihn die USA per Haftbefehl. Der Manager soll lang von der Manipulation von Dieselfahrzeugen in seinem Unternehmen gewusst haben, bevor dies an die Öffentlichkeit drang. Nachgewiesen wurde ihm nichts, strafrechtliche Verfehlungen bestreitet er. Das Narrativ lautet: Die Ingenieure seien schuld, weil sie unrealistische Vorgaben zu erfüllen hatten. Letztlich nahm Winterkorn im September 2015 unter großem Druck den Hut. Der Schaden war angerichtet – und ist bis heute nicht gerichtet. Die Aktie von VW hat sich nach dem Bekanntwerden des Skandals nie mehr ganz erholt.
Ghosn war der Mastermind hinter der Autoallianz von Renault, Nissan und Mitsubishi. »Man versucht, an etwas festzuhalten, das sich nicht fortschreiben lässt.«
Unrühmlich könnte man auch das Ende von Josef Ackermann bezeichnen. Der Vorstandschef der Deutschen Bank wollte vor seinem Ausscheiden 2012 noch mit aller Kraft versuchen, in den Aufsichtsrat des Instituts zu wechseln. Das war gesetzlich nicht erlaubt und wäre nur mit der Zustimmung zahlreicher Investoren möglich gewesen. Am Ende ließ Ackermann es bleiben. Der Banker galt vielen stets als Reizfigur. In seiner Ära ließ sich das Institut einiges zuschulden kommen, das erst später aufflog: etwa der Skandal um den manipulierten Bankenzinssatz Libor oder der Verkauf fauler Hypothekenpapiere in den USA. Heute ist der Kurs der Deutschen Bank auf einem Rekordtief. „Wer macht schon keine Fehler“, sagte Ackermann 2017 der „Zeit“.
Die Ghosns dieser Welt arbeiten oft jahrelang zielstrebig an sich und ihrer Karriere, „sie sind stark darauf trainiert, in einen Typ Mensch zu investieren“, sagt Pitters. Sie vernachlässigen die Familie, dafür verdienen sie mehr als andere, genießen Ansehen, und so mancher geht in die Geschichte ein – manchmal auch unrühmlich.
„Man versucht, an einem Lebensmodell festzuhalten, das sich ab einem gewissen Punkt nicht mehr fortschreiben lässt“, sagt Pitters. Auch wenn die Menschen wüssten, dass sie etwas falsch machen, sei es eine natürliche Reaktion, es dann noch stärker zu verteidigen. Und das Gefühl, etwas wieder gutmachen zu müssen, ist meist der Anfang vom Ende.