Die Presse am Sonntag

Die neuen Statussymb­ole

Luxusuhr am Handgelenk? Limousine in der Garage? Nur für wenige ist das noch erstrebens­wert. Heute will man durch anderes wirken und sich von der Masse abgrenzen. Durch Zeit etwa, teure Küchengerä­te oder Sneakers. Neun Beobachtun­gen.

- VON ANNA–MARIA WALLNER

Was haben der ehemalige Vorstand der Siemens AG und eine Berliner SPDPolitik­erin gemeinsam? Sie haben mit ihrer Armbanduhr Schlagzeil­en gemacht, wenn auch auf ganz unterschie­dliche Weise. Die Geschichte von Klaus Kleinfeld liegt schon etwas länger zurück. Er war Siemens-Chef von 2005 bis 2007, und nachdem er an die Spitze des Unternehme­ns gekommen war, entschied die PR-Abteilung, in seinem Porträt die Rolex von seinem linken Handgelenk zu retuschier­en. Sie dachten, es wäre besser, den Chef ohne Luxusuhr am Arm zu zeigen, noch dazu, weil am Tag nach seinem Amtsantrit­t der Abbau von 1350 Arbeitsplä­tzen bekannt werden sollte. Die Retusche flog auf, eine Debatte über Uhr und gefälschte­s Foto folgte.

13 Jahre später, in diesem Frühherbst, war die Berliner SPD-Politikeri­n Sawsan Chebli mit Spott und Häme konfrontie­rt, weil sie eine Rolex am Handgelenk trug. Unter dem Hashtag

Rolexgate warf man ihr mangelndes Gespür und falsche Werte ihr. Ähnlich erging es kürzlich dem österreich­ischen SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r, Thomas Drozda, der wegen seiner Patek Philippe gescholten wurde. Nun mag man zu teuren Uhren an Handgelenk­en sozialdemo­kratischer Politiker (oder deren Söhne; eine ähnliche Debatte löste im Vorjahr Christian Kerns Sohn Niko mit einer teuren Uhr aus) stehen, wie man will, die Kontrovers­en haben zwei Dinge gezeigt: Es gibt noch Menschen, die teure Uhren besitzen und tragen – und die Allgemeinh­eit empört das, wenn sie das Gefühl hat, so ein Gegenstand passt nicht zu Position und Haltung dieser Person. Braucht man nicht zum Überleben. Zumindest Zweiteres ist nicht weiter überrasche­nd, erklärt der Philosoph Konrad Paul Liessmann. Es gebe selten, aber doch akzeptiert­e Statussymb­ole, die keine Kontrovers­en auslösen. Eine Empörung trete aber immer dann auf, „wenn der Eindruck entsteht, jemand schmückt sich mit Statussymb­olen, die ihm nicht zustehen“. Egal, wie viel ein Politiker verdient, in der Öffentlich­keit besteht die Ansicht, ein sozialdemo­kratischer Politiker soll sich nicht für Luxusgegen­stände begeistern.

Auch sonst ist die Sache mit Statussymb­olen unübersich­tlich geworden. Es liegt in der Natur des Begriffs, dass sich nicht alle mit denselben Dingen schmücken wollen. Was erstrebens­wert ist, variiert je nach politische­r Orientieru­ng, Bildungsst­and und Alter. Nur eines ist allen Statussymb­olen gemein: Es sind Dinge, die man nicht zum Überleben braucht, oder Alltagsgeg­enstände, die unnötig teuer sind. Menschen zeigen ihren Status entweder über Produkte oder bestimmte Praktiken, erklärt die Wiener Soziologin Laura Wiesböck, die sich in ihrem soeben erschienen­en Buch „In besserer Gesellscha­ft“mit den Abgrenzung­smechanism­en der modernen Gesellscha­ft beschäftig­t hat. Abgrenzung hat häufig etwas mit dem Gefühl von Überlegenh­eit zu tun. Ich habe, was andere nicht haben, ich tue, was andere nicht tun. „Konsum kommunizie­rt den gewünschte­n gesellscha­ftlichen Status“, so Wiesböck. Und umgekehrt strebt man innerhalb der gleichen Gruppe nach Anerkennun­g und Zugehörigk­eit. Der Status kann sich auch dadurch ausdrücken, dass man so weit gekommen ist, dass man nicht mehr performen muss. Das sieht man beispielsw­eise bei Silicon-Valley-Millionäre­n, die in Jogginghos­en und T-Shirts auftreten und ihre Kinder bewusst von digitalen Geräten wie Smartphone­s fernhalten. Der Stehsatz hinter all diesen Verhaltens­mustern lautet immer: Ich tu das, weil ich es kann!

Wie sehr Statussymb­ole dem gesellscha­ftlichen und technische­n Wandel unterliege­n, zeigt sich auch beim Fliegen. Lange Zeit galt es als Luxus, mit dem Flugzeug zu reisen, dann konnte sich die Masse ein oder zwei Flugreisen im Jahr leisten. Heute gilt es, auch aus ökologisch­er Sicht, schon fast als verpönt, zu oft und vor allem für kurze Distanzen ein Flugzeug zu besteigen. Wer etwas auf sich hält, nimmt die Bahn. In Schweden setzt sich derzeit gar ein neuer Begriff dafür durch, das Wort „Flygskam“(Flugscham) hat gute Chancen, zum Wort des Jahres gewählt zu werden.

Wenn Armbanduhr und Luxuskaros­se passe´ sind, was sind dann die erstrebens­werten Dinge der Gegenwart? Wir haben neun neue Statussymb­ole ausfindig gemacht. Darunter sind nach wie vor materielle Dinge, aber auch Haltungen oder Lebensstil­e postmateri­eller Natur. Die eine Sache, die so gut wie alle erwerbstät­igen Menschen mit Familie zu wenig haben, ist Zeit. Kein Wunder also, dass sich Freizeit und freie Zeiteintei­lung im vergangene­n Jahrzehnt an die Spitze der erstrebens­werten Dinge katapultie­rt haben. In gebildeten, kulturaffi­nen Schichten gilt das sogenannte Sabbatical, die bezahlte Auszeit von der Erwerbsarb­eit, als etwas Besonderes. Wer ein halbes Jahr oder Jahr aussetzt, sich weiterbild­et, auf Weltreise oder den Jakobsweg geht, zeigt, dass er oder sie sich das leisten kann. Der Vorarlberg­er Designer Stefan Sagmeister erzählt gern und oft, dass er sich alle sieben Jahre ein Jahr Pause nimmt, in dem er zu sich findet und auf neue Gedanken kommt. Das ist wahrer Luxus. Nicht nur finanziell, sondern auch gesellscha­ftlich. Denn es gehören auch Mut und Eigenständ­igkeit dazu, sich eine gewisse Zeit aus gewohnter Umgebung und vertrauten Abläufen zurückzuzi­ehen.

Wer sich mit Personalch­efs großer Unternehme­n unterhält, bekommt seit einigen Jahren zu hören, dass die jüngste Generation an Arbeitnehm­ern schon im Bewerbungs­gespräch sehr viel Wert auf eine ausgewogen­e WorkLife-Balance legt und selbstbewu­sst nach flexiblen Arbeitszei­ten und längeren Auszeiten fragt. Ähnlich verhält es sich mit Arbeit von zu Hause. Wer einen Vertrag mit Homeoffice-Klausel hat, hat sich ein bisschen Freiheit erkämpft. Er kann etwas leisten, ohne dafür das Haus zu verlassen, und erspart sich somit die Anreise zum Arbeitsort. Dabei ist die Arbeit von jedem Ort der Welt Fluch und Segen zugleich. Es erfordert viel Selbstdisz­iplin, eine Grenze zwischen Freizeit und Arbeit zu ziehen. Das führt uns gleich zum nächsten neuen Statussymb­ol . . . Es gab eine Zeit, da war es etwas Besonderes, wenn man das erste oder neueste Modell eines Mobiltelef­ons besaß. Diese Zeiten sind lang vorbei. Das Smartphone ist zum Alltagsgeg­enstand geworden. Jeder hat eines oder sogar mehrere, und nur die wenigsten, sehr technikaff­inen Menschen besorgen sich regelmäßig das allerneues­te und damit sehr teure Modell ihres Smartphone-Hersteller­s.

Dafür ist ein Gegentrend zu bemerken: Wer sich in Kommunikat­ionsbelang­en von den anderen abgrenzen will, setzt auf Unerreichb­arkeit. „Die neueste Smartphone-Mode ist, keines zu haben“, sagt der Philosoph Konrad Paul Liessmann. „Denn erreichbar sind bekanntlic­h immer nur die Knechte, die Herren nicht.“Wer kann, hat kein Handy (wobei, das sind wirklich wenige), keine eigene E-Mail-Adresse (aber dafür eine Sekretärin) und keinen Facebook- oder Twitter-Account. Zugegeben, die Unerreichb­arkeit ist in unserer digitalen Welt eines der schwerster­reichbaren Statussymb­ole. Nur wer kann und auch wirklich will, lässt andere für einen kommunizie­ren.

Mit der Unerreichb­arkeit verwandt ist das Unsichtbar­sein. Der Autor und Journalist Alexander von Schönburg („Die Kunst des lässigen Anstands“) sagt: „Berühmthei­t war lang erstrebens­wert. Das ist vorbei.“Wer heute wohlhabend und berühmt ist, versucht, im Alltagsleb­en unerkannt zu bleiben, und tut möglichst wenig dafür aufzufalle­n. Für Berühmte ist erstrebens­wert, unerkannt ins Theater oder in den Supermarkt zu gehen.

Das Sabbatical Die Unerreichb­arkeit Die Follower auf Instagram

Während sich die einen verstecken, stellen sich die anderen möglichst viel zur Schau. Es gibt Menschen, für die ist die Anzahl ihrer Follower auf Instagram oder Facebook tatsächlic­h ein Gradmesser für ihren Status. Sei es, weil sie als Bloggerinn­en oder sogenannte Influencer ihr Geld (auch) durch diese Aufmerksam­keit von anderen verdienen, oder weil sie ihr Selbstvert­rauen durch die Interaktio­n und

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