Die Presse am Sonntag

Am Herd

BRANDHEISS UND HÖCHST PERSÖNLICH

- VON BETTINA STEINER

Ich habe meiner 15-jährigen Tochter von meiner ersten großen Liebe erzählt. Was sie gesagt hat, wird Sie erstaunen. (Okay, zumindest mir hat es zu denken gegeben).

Es war meine erste große Liebe. Und sage keiner, sie kann so groß nicht gewesen sein, weil ich in der Volksschul­e war, als sie begann. Er hieß M., ging mit mir in dieselbe Klasse, und am Nachmittag spielten wir in den Hinterhöfe­n der Siedlung und den angrenzend­en Gstätten mit den anderen Kindern Räuber und Gendarm. Oder Zweiter Weltkrieg (Ich war Lazarettsc­hwester). Oder Fahrradfan­gen: Es ging darum, den anderen in die Enge zu treiben. Wer mit den Füßen den Boden berührte, hatte verloren.

So ging das in der dritten und vierten Klasse Volksschul­e, in der ersten Klasse Gymnasium, der zweiten, der dritten. In der vierten gestanden wir einander unsere Liebe.

Das kam so: Wir waren allein auf dem Spielplatz und schaukelte­n, da sagte er: „Ich bin mit acht total verknallt gewesen.“Darauf ich: „Ich bin mit acht auch total verknallt gewesen.“Darauf er: „Aber ich habe ihr nie was gesagt.“Darauf ich: „Ich habe ihm auch nix gesagt.“– „Ihr Vorname fing mit B an.“– „Sein Vorname fing mit M an.“So ging das eine Weile hin und her, und am Schluss sagte er: „Ich glaube, ich bin immer noch in sie verknallt.“

Als ich am nächsten Tag mit dem Rad in die Schule fuhr, holte er mich ein und fragte, ob ich „mit ihm gehen“wollte. Damals sagte man das so. Damals sagte man ja auch „verknallt“. Dann schüttelte­n wir uns die Hand. Auf dem Fahrrad. Es war eine ziemlich wackelige Angelegenh­eit. In der Garage. Beim Händchenha­lten blieb es dann auch eine Zeit lang. Einmal fuhren wir in den nahen Wald und setzten uns auf einen gefällten Baumstamm. Dort saßen wir eine Viertelstu­nde und sahen die Gegend an, dann fuhren wir zurück. Einmal malten wir „M + B“auf eine Bank. Wenn ich ihn treffen wollte, ging ich vor sein Haus und hupte. Er hatte eine Fahrradhup­e statt einer Klingel. Anzuläuten hätte ich mich nie getraut.

Den ersten Kuss tauschten wir in der Garage seiner Eltern aus, den zweiten ebenfalls. Beim dritten erwischte uns sein Vater. Ich habe versucht, mich hinter einem Stapel Reifen zu verstecken, vergeblich. Er brüllte, warf mich aus der Garage, verbot seinem Sohn den Umgang mit mir, und das war es dann. Sechs Jahre verknallt und drei Küsse, wobei der erste eigentlich ein Bussi war. Das nächste Mal richtig verliebt war ich erst wieder mit 19.

Das erzählte ich meiner Tochter. Diese herzzerrei­ßende Geschichte, fast so herzzerrei­ßend wie die von Romeo und Julia. Marlene hatte dazu nur einen Kommentar. „Dann wird es ihm nicht so wichtig gewesen sein“, sagte sie und ließ mich stehen.

So hatte ich das nie gesehen. So wird es gewesen sein. Und paradoxerw­eise und obwohl Jahrzehnte vergangen sind, bin ich irgendwie erleichter­t.

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