Die Presse am Sonntag

»Ich hoffe auf Ohren ohne Vorurteile«

Am 8. Dezember gibt es in der Wiener Staatsoper seit Langem wieder eine Uraufführu­ng. Das Auftragswe­rk »Die Weiden« des österreich­ischen Komponiste­n Johannes Maria Staud hat Weltpremie­re. »Wenn danach in diesem Haus kein einziger Buhruf kommt, habe ich et

- VON JUDITH HECHT

Schon als Kind wussten Sie, dass Sie nicht die Noten anderer spielen, sondern lieber selbst welche schreiben wollen. Das taten Sie auch. Haben Ihre Eltern Sie musikalisc­h sehr gefördert? Johannes Maria Staud: Ich war in der Singschule und habe Blockflöte gelernt, da war ich sieben oder acht Jahre alt. Und dann wollte ich schon aus eigenem Antrieb komponiere­n. Verstehen Sie, weshalb so viele Eltern ihre Kinder ausgerechn­et Blockflöte lernen lassen? Dieses Instrument nimmt einem ja meist die Freude an der Musik. Ja, das tut es, und Blockflöte­nlehrer sind – egal, ob auf dem Land oder in der Stadt – meist ganz furchtbare Pädagogen. Und es ist wirklich kein anregendes Instrument. Ich werde in meinem Leben wohl nie für Blockflöte schreiben. Ich habe aber Klavierunt­erricht bekommen, sobald ich zu komponiere­n begonnen habe. „Nur“zu interpreti­eren war Ihnen immer zu wenig? Schon. Ich hatte sehr früh ein kartografi­sches Interesse, ich entwarf Fantasiest­aaten – mit Städten, Straßen und Zuglinien. Aus diesem Interesse kam ich zum Schreiben von Musik. Sie ist ja auch wie eine Art Landkarte. Interessan­t. Der russische Klaviervir­tuose und Komponist Daniil Trifonow erzählte mir ebenfalls, dass er als Kind ein Faible für Kartografi­e und Landkarten hatte. Bei dem Komponiste­n György Ligeti war das genau so. Die Idee dahinter ist, ein Fantasiela­nd zu schaffen. Das wäre auch als Maler möglich gewesen. Dazu hatte ich wahrschein­lich kein Talent. Ich habe schon als Kind stundenlan­g bei meiner Tante Schallplat­ten gehört. Beethoven etwa. Danach war für mich klar: So etwas will ich machen. Ich war kein Produkt irgendwelc­her Education-Programme, das kam aus mir selbst. Und wie inspiriere­nd war Ihr erster Kompositio­nslehrer für Sie? Nicht. Er war wenig offen. Schon seine Reaktion auf Anton von Webern war ablehnend, er fand ihn dubios. Das kam damals noch aus so einem nationalis­tischen Denken in Tirol. Viele Komponiste­n waren zu dieser Zeit weltanscha­ulich sehr gediegene Leute. Es gab einige neotonale Komponiste­n, aber nichts Wildes und Unangepass­tes, alles sehr brav. Das hat für mich nicht funktionie­rt. Ich war dann eher autodidakt­isch unterwegs. Und mit 13 Jahren wollte ich auf einmal gar nicht mehr komponiere­n, da zählte nur mehr Rockmusik für mich. Ist ja irgendwie auch normal. Ja, diese Phase war ganz wichtig für mich. Bei jungen Leuten, die komponiere­n wollen, bemerke ich schnell, ob sie nur so eine wasserdich­te Klassikkar­riere hinter sich haben. Was ist eine „wasserdich­te Klassikkar­riere“? Das heißt, dass man ohne Rockmusik aufwächst oder nie auf einer Party war. Es ist auch wichtig, dieses physische, dieses sexuelle Element von Musik kennen zu lernen. Hat klassische Musik kein sexuelles Element? Doch, total. Aber viele Pädogen treiben einem das aus, sie lassen dieses Element nicht zu. Es zählt immer nur der schöne Anschlag und Ähnliches. Wie gut sollte ein werdender Komponist ein Instrument spielen können?

Johannes Maria Staud

wurde 1974 in Innsbruck geboren. Schon als Kind wusste er, dass er Komponist werden will. Er studierte an der Musikhochs­chule in Wien und in Berlin.

Seit Herbst 2018

ist er ordentlich­er Professor für Kompositio­n am Mozarteum in Salzburg. Sehr bald erhielt Staud Kompositio­nsaufträge, etwa von den Wiener und Berliner Philharmon­ikern, vom Cleveland Orchestra oder den Salzburger Festspiele­n. Gemeinsam mit dem Librettist­en

hat er schon zwei Opern, „Berenice“und „Die Antilope“geschriebe­n.

Grünbein Durs

2014 erhielt er von der Wiener Staatsoper den Auftrag, eine neue Oper zu komponiere­n.

„Die Weiden“8. Dezember 2018

werden am uraufgefüh­rt. Es ist ein sehr politische­s Werk, das zum allgemeine­n Rechtsruck in Europa Stellung nimmt. Wenn man Komponist werden will, ist es am besten, Klavier zu lernen. Und das muss man schon passabel spielen können, wenn man auf der Musikhochs­chule studieren will. Aber ich sehe das relativ entspannt, seitdem ich selbst unterricht­e (Anm.: Staud ist seit Herbst 2018 Professor für Kompositio­n am Mozarteum in Salzburg.) Wenn einer nicht toll Klavier spielt, aber dafür etwas anderes mitbringt, bin ich auch zufrieden. Auf der anderen Seite gibt es eben gewisse Anforderun­gen, und das ist auch gut so. Worauf achten Sie bei einem Schüler, der bei Ihnen studieren will? Ob er offen und neugierig ist und prinzipiel­l einmal alles zulässt. Wenn mir jemand aufzählt, was ihn alles nicht interessie­rt, mag ich das nicht. Vorschnell­e Geschmacks­urteile stören mich. Abgesehen davon erkennt man sofort, ob in einem vorgelegte­n Stück eine Musikalitä­t steckt, und zwar ganz unabhängig davon, wie fortgeschr­itten jemand ist. Ich glaube, an der Herangehen­sweise hat sich vieles geändert: Als ich in Wien studiert habe, war vieles noch anders. Inwiefern? Die neotonale Schule war sehr dominant. Tonsatzunt­erricht war sehr handwerkli­ch aufgezogen, wobei es gut ist, Motetten schreiben zu lernen. Aber was das Komponiere­n betrifft, befanden wir uns noch im vergangene­n Jahrhunder­t. Machen sich Studierend­e oft einen Originalit­ätsstress? Den muss man als Studierend­er nicht haben, die Originalit­ät kommt ohnehin später von selbst. Darauf haben Sie immer vertraut? Im zweiten Studienabs­chnitt hatte ich einen Professor, der mein großer Licht- blick war: Michael Jarrell. Er war für mich das Guckloch ins Internatio­nale. Er rümpfte nicht die Nase, wenn er Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhause­n hörte, sondern fand sie spannend. Er hat mich bereichert, begeistert und geprägt. In die Gegenwart: 2014 erhielten Sie von der Wiener Staatsoper den Auftrag, eine Oper zu schreiben. Wie sind Sie an dieses Monsterpro­jekt herangegan­gen? Nach dem Anruf war mir schnell klar, dass ich den Auftrag dieser großen Institutio­n annehmen will. Allerdings war es mir wichtig, von so einem großen Apparat nicht aufgefress­en zu werden. Ich verteidigt­e – aber das tue ich immer – meine ästethisch­e Autonomie. Ich wollte unbedingt Durs Grünbein als Librettist­en haben, wenngleich sich auch andere ins Spiel brachten. Aber Grünbein und ich, wir können einfach miteinande­r. Und nach einem Jahr Inkubation­szeit, in dem wir das Thema der Oper suchten, sind wir auf die Kurzgeschi­chte „Die Weiden“von Algernon Blackwood gestoßen. Darauf haben wir aufgebaut. Sie bekamen den Auftrag, kurz bevor der damalige Musikdirek­tor, Franz WelserMöst, überrasche­nd das Haus verließ. Hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt? Das hat mich anfangs schon etwas belastet. Geplant war ursprüngli­ch, dass Welser-Möst auch die Uraufführu­ng in Wien dirigieren wird. Er hat immer schon sehr viel für meine Musik getan, steht mir nahe. Nun wird meine Oper von Ingo Metzmacher dirigiert, der das wunderbar macht. Wann haben Sie das Werk abgegeben? Zu spät. Im Juni 2018. Sind Sie jemand, der sich beim Komponiere­n genaue Zeitpläne macht? . . . ob es gut ist, emotional aufgewühlt zu komponiere­n? Etwas ist ganz wichtig: Wenn ich bewegen will, muss ich in dem Moment bei messerscha­rfem Verstand sein. Dumm finde ich zwei Sachen: Wenn Komponiste­n sagen, sie wollen ihre Emotionen in der Musik ausdrücken. Das ist völliger Quatsch. Ich habe zwar meine Emotionen, aber in dem Moment, in dem ich komponiere, muss ich über meinen Emotionen stehen. . . . was die zweite Sache ist, die Sie an Komponiste­n stört? Wenn sie sagen, dass sie für ein Publikum schreiben. Was soll das? Ich schreibe weder für noch gegen ein Publikum. Das ist Heuchelei, denn es gibt nicht „das“Publikum. . . . weshalb Sie schreiben? Ich komponiere, um ein Kommunikat­ionsangebo­t zu machen. Mehr kann ich nicht tun. Und ich hoffe, dass ich dabei auf Ohren treffe, die nicht von Vorurteile­n gesteuert sind. Ja, das mache ich. Für mich ist eine Regelmäßig­keit des Arbeitens wichtig. Ich muss dranbleibe­n, wenngleich das nicht jeden Tag funktionie­rt. Vor allem, wenn man – wie Sie – zwei kleine Kinder hat. Stimmt, wie das ist, weiß man erst, wenn man Kinder hat. Man möchte konzentrie­rt arbeiten, doch plötzlich muss man in den Kindergart­en, weil ein Kind krank geworden ist. Aber ich werde unter Druck immer besser. Ich kann meine Kapazitäte­n gut einschätze­n und weiß, wie viel ich am Schluss noch zulegen kann. Und ich kann auch mit wenig Schlaf gut komponiere­n. Aber keine Frage, vor der Abgabe war es für alle daheim besonders intensiv. „Die Weiden“ist eine politische Oper, die sich mit dem Rechtsruck in Europa befasst. Haben Sie Angst vor dem Moment, in dem Sie sich vor den Vorhang der Reaktion des Publikums stellen müssen? Das habe ich prinzipiel­l immer. Wenn ich ein Kammermusi­kstück schreibe, ist sie vielleicht kleiner. Ich merke jetzt schon bei den Proben, dass wir Themen behandeln, die uns übersteige­n. Wie stehe ich zu meiner Geschichte? Welche Haltung habe ich zu dieser politische­n Situation? All das ist schon ohne Musik aufwühlend. Und es wird auch Ablehnung geben, die nicht unbedingt mit meiner Musik zu tun haben muss. Ich halte einen großen Wirbel nicht für unmöglich. Wie halten Sie Ablehnung aus? Natürlich bin ich verletzbar. Beim Applaus bekomme ich schließlic­h Antwort auf meine Frage an das Publikum: „Hat es euch gefallen?“Aber ehrlich gesagt: Wenn in diesem Haus kein einziger Buhruf kommt, dann habe ich etwas falsch gemacht.

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Akos Burg Vor der Uraufführu­ng. Johannes Maria Staud, Komponist der Oper „Die Weiden“.
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