Die Presse am Sonntag

Der Stacheldra­htkurs

Der niederöste­rreichisch­e FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl provoziert mit schöner Regelmäßig­keit. Die ÖVP muss sich entscheide­n, wie sie damit umgeht. Aufhören wird er nämlich damit eher nicht.

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Freiheitse­ntzug ist die schärfste Waffe des Staates. Wann jemand eingesperr­t werden darf, ist daher genau geregelt und immer gerichtlic­her Kontrolle unterworfe­n. Wenn es also stimmt, was die jugendlich­en Asylwerber aus Drasenhofe­n erzählen, nämlich, dass sie nur eine Stunde pro Tag unter Aufsicht das Quartier verlassen durften und sonst daran gehindert wurden, dann liegt hier ein Problem vor, das über die hässliche Optik eines mobilen Stacheldra­htzauns hinausreic­ht. Und zwar kilometerw­eit.

Der verantwort­liche Landesrat, Gottfried Waldhäusl, bestreitet den Freiheitse­ntzug in der Form. Ihm zufolge durften die Teenager jederzeit hinaus, wenn auch unter Aufsicht. Aber Aussagen einer Mitarbeite­rin stützen die Version der Jugendlich­en.

Und auch sonst regt sich Widerspruc­h: Laut Waldhäusl haben sich die Betreiber von Asylunterk­ünften händeringe­nd an ihn gewandt, damit er ihnen „Unruhestif­ter“abnimmt. Ehemaligen Unterkunft­sgebern zufolge war es umgekehrt: Die Teenager seien eines Tages einfach abgeholt worden. Ein dem „Profil“vorliegend­er E-Mail-Verkehr einer Landesbeam­tin legt nahe, dass das geschehen ist, damit „der Herr Landesrat bei seinem Besuch sieht, dass die Einrichtun­g bereits besetzt wurde“.

Nun wird niemand bestreiten, dass es unter unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en schwere Problemfäl­le gibt. Und vielleicht braucht es eine offenere Debatte darüber, wie man mit den Aggressive­n und Straffälli­gen umgeht, oder jenen, die abtauchen und auf der Straße landen. Aber um eine Best-Practice-Diskussion geht es Waldhäusl wohl nicht. Denn er arbeitet mit einem rhetorisch­en Trick: Alternativ­losigkeit. Demnach steckt man solche Jugendlich­en entweder in schwer bewachte Bauten. Oder man ist halt hoffnungsl­os naiv. Diesen Weltfremde­n empfiehlt er, sich bei ihm zu melden, damit sie „zwei, drei mit nach Hause nehmen und . . . sie pflegen und hegen“. Abgesehen davon, dass die Diktion ungut an die Tierecke erinnert, ist so eine Schwarz-WeißMalere­i eine Frechheit gegenüber allen Landesbehö­rden und -politikern, die sich mit dem Grau des Alltags abmühen. Und mit sol- chen Jugendlich­en tun, was sie mit ihren österreich­ischen Pendants machen: z. B. sie in intensiv betreuten Wohngemein­schaften unterzubri­ngen, statt ganze Orte mit umzäunten Quartieren zu erschrecke­n, in denen die Jugendlich­en ohne Beschäftig­ung sitzen.

Apropos Schreck: Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner gab sich von der Causa überrascht. Aber obwohl sie die Absiedlung der Jugendlich­en unterstütz­te, rüffelte sie Waldhäusl nur sanft: „Er hat gemerkt, dass er überzogen hat.“Woraus sie das ableitet, ist ein Rätsel. Waldhäusl sieht sich weiterhin im Recht. Und als geübter fleißiger Provokateu­r weiß er, was er tut. Und dass sein Tun bei der Zielgruppe gut ankommt. Aber ob die ÖVP weiß, was sie macht? Derzeit deutet alles darauf hin, dass man die Sache aussitzen will. Vielleicht gefällt sich die Ex-Innenminis­terin ja in der Good-Cop-Rolle, als Landesmutt­er, die mahnend den Zeigefinge­r hebt. Allerdings: Aufs Überrascht-Sein sollte sie sich künftig nicht mehr ausreden. Dafür ist Waldhäusls Kurs zu klar und er zu deutlich.

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