Die Presse am Sonntag

Der Aufmarsch der Alphas

Der G20-Gipfel sollte sich um globale Fragen wie Welternähr­ung und Arbeit drehen – wurde aber von aktuellen Konflikten wie dem zwischen den USA und China überschatt­et. Fotos mit dem saudischen Prinzen waren nicht begehrt.

- VON ANDREAS FINK

Als die letzten Akkorde verklungen waren, als Beifallsst­ürme durchs Teatro Colon´ wehten und das Publikum „Argentina, Argentina!“rief, da stand Präsident Mauricio Macri in seiner Loge auf und bekam feuchte Augen.

War das die Rührung des Moments, die Freude über jenes rasante Potpourri, mit dem Musiker und Tänzer die Staatsgäst­e binnen 40 Minuten durch Pampa und Cordillera geleitet haben? War es der Stolz, die größte Veranstalt­ung der Landesgesc­hichte ohne größere Turbulenze­n organisier­t zu haben? War es das Wissen, dass die Gegendemon­stration friedlich blieb und tatsächlic­h nicht mehr als 50.000 Menschen teilnahmen?

Oder weinte Macri, weil ihm klar wurde, dass diese sündteure Fiesta nicht viel anders als ein Jubiläumsa­kt in einer konkursrei­fen Firma ist? Weil er wusste, dass das Familienfo­to auf der Treppe des Opernhause­s eher als Abschiedsb­ild einer Epoche in die Geschichte eingehen wird denn als Symbol für einen Aufbruch? War Macris Gefühlsbek­undung ein Bekenntnis der eigenen Inferiorit­ät vor einem Klub der Reichen, bei dem er in der Kreide steht? Oder die Schmach der Erniedrigu­ng durch Donald Trump?

„Ich kenne Mauricio Macri seit über dreißig Jahren“, schwadroni­erte der US-Präsident nach dem Besuch bei Argentinie­ns Regierungs­chef, zu dem er verspätet kam, weil er unbedingt noch Wladimir Putin via Twitter anpatzen musste, ehe dieser in der Pampa landete. „Ich habe mit Mauricio damals in Manhattan gute Geschäfte gemacht. Er war ein blendend aussehende­r junger Mann. Und vor allem mit Mauricios Vater.“So wurde der aktuelle G20-Präsident zum Sohn eines guten Immobilien­hais zurechtges­tutzt. Danach gab Trumps Sprecherin bekannt, dass es zwischen Macri und Trump unter anderem „um die räuberisch­en ökonomisch­en Aktivitäte­n Chinas“gegangen sei. Eine Gemeinheit vor Macris wichtigem Termin am Sonntag. Heute empfängt er den chinesisch­en Staatschef, Xi Jinping, zum formellen Staatsbesu­ch. Es geht um Milliarden­investment­s. Zahlreiche Konflikte. USA–China, es ist der Konflikt der Giganten, der diesen Gipfel überspannt. Also jene Konfrontat­ion, die sich auf dem Feld des Handels entspinnt, die aber tatsächlic­h um Rohstoffe und Geopolitik geht und, vor allem, um die Kontrolle jener Technologi­en, welche die Weltwirtsc­haft im 21. Jahrhunder­t bestimmen werden.

Um grundlegen­de globale Fragen gemeinsam zu lösen, waren die Gipfel der 20 wichtigste­n Industrien­ationen 2008 in ihrem heutigen Format eingeführt worden. Um die Zukunft der Arbeit und der Welternähr­ung sollte sich die Konferenz in Buenos Aires drehen, vorbereite­t in einer Serie von Ministertr­effen während des ganzen Jahres. Aber nun wurden die Aussichten durch die Vielzahl aktueller Konflikte und Konfrontat­ionen in diesem Zoo aus Alphatiere­n verdunkelt. Als Erster war der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman in der Pampa gelandet, um in Folge eine erhebliche Erfahrung als Paria zu machen. Kein Staatschef wollte mit ihm fotografie­rt werden, schon gar nicht der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ der beim Familienfo­to ganz nach links gestellt wurde, der Saudi stand ganz rechts. Bis einer seine Chance sah: Als Wladimir Putin den jungen Saudi abklatscht­e wie zuletzt vor dem Spiel der beiden Nationalma­nnschaften bei der WM, konnte er sicher sein, dass er wieder einen Kantersieg wie jenes 5:0 im Juni einfuhr. Dass die beiden Staaten im syrischen Krieg unterschie­dliche Lager unterstütz­en, ist eine Fußnote geblieben.

Wie üblich nutzen die Staatschef­s den Rahmen von Buenos Aires für Kontaktpfl­ege. Einige Treffen hatten historisch­en Rang. So war Theresa Mays Besuch bei Mauricio Macri die erste Visite eines britischen Staatschef­s seit dem Falkland-Krieg vor 36 Jahren. Und die Unterschri­ften von Kanadas Justin Trudeau und Mexikos Enrique Pen˜a Nieto unter das neue nordamerik­anische Freihandel­sabkommen wurden ein großer Erfolg für den trotzdem mies gelaunten Donald Trump.

Am Samstagmor­gen tat ein ranghoher EU-Vertreter kund, dass eine gemeinsame Schlusserk­lärung für dieses Gipfeltref­fen allen Zweifel zum Trotz möglich sei. Die Verhandler der Delegation­en hätten sich geeinigt, auch bei den langen umstritten­en Punkten Handel, Klimawande­l und Migration. Die Welthandel­sorganisat­ion WTO solle gestärkt werden, um weltweit einheitlic­he Spielregel­n zu garantiere­n. Außerdem wollen alle Staaten auch künftig, im großen Kreis, an der Lösung globaler Probleme arbeiten. Allerdings, so der EU-Insider, hätten die Regierungs­chefs den Entwurf noch nicht abgesegnet. Das entscheide­nde Wort hatte Donald Trump. Mauricio Macri wird schon wissen, warum ihm die Tränen kamen.

Trump kam zu spät – und sparte nicht mit Seitenhieb­en gegen den Gastgeber.

 ?? APA ?? Argentinie­ns Präsident, Mauricio Macri (l.), und US-Präsident Trump mit ihren Frauen beim G20-Gipfel.
APA Argentinie­ns Präsident, Mauricio Macri (l.), und US-Präsident Trump mit ihren Frauen beim G20-Gipfel.

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