Die Presse am Sonntag

»Klarer sagen, wo wir stehen«

Am Parteitag der Wiener Grünen absolviert­e Birgit Hebein ihren ersten großen Auftritt als neue Chefin der Wiener Grünen. Und machte einige interessan­te Ankündigun­gen.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Von alten Gewohnheit­en trennt man sich schwer. Und so beginnt die 80. Landesvers­ammlung der Wiener Grünen wie alle anderen zuvor – mit sehr deutlicher Verspätung.

Trotzdem ist dieser grüne Parteitag anders. „Gemeinsam in neue Zeiten“, wird in großen Buchstaben auf die Leinwand hinter der Bühne projiziert. Dort blickt Maria Vassilakou leicht nachdenkli­ch in den Saal des Veranstalt­ungszentru­ms im 21. Bezirk, in dem sich anfangs rund 150 Grüne versammelt haben.

An diesem Tag steht Vassilakou nicht mehr als grüne Frontfrau auf der Bühne, die die Linie der Partei vorgibt, sondern als „Einheizeri­n“, wie sie es selbst formuliert: „Heute bin ich bloß die Vorband. Der heutige Tag gehört Birgit“, erklärt Vassilakou in Richtung der neuen grünen Nummer eins, Birgit Hebein. Die bisherige Sozialspre­cherin hat die grüne Spitzenwah­l gewonnen und wird die Stadt-Grünen in die nächste Wien-Wahl 2020 führen. Davor wird Hebein (voraussich­tlich im nächsten Juni) auch Vassilakou­s Funktionen als Vizebürger­meisterin sowie als Stadträtin für Verkehr und Stadtplanu­ng übernehmen.

Vassilakou nutzt ihre Rede nicht nur als „Einheizeri­n“für Hebein, sondern auch als Einleitung für ihren politische­n Abschied – mit reichlich Ironie. „Bei der nächsten Landesvers­ammlung wird mein Abschied gefeiert. Aber spart euch die Tränen der Freude oder Rührung – je nachdem – für die nächste Landesvers­ammlung“, erklärt die bisherige grüne Frontfrau in Anspielung auf ihre nicht unumstritt­ene, oft polarisier­ende Rolle bei den Wiener Grünen. Gleichzeit­ig streut sie Hebein Rosen: Diese sei eine „prononcier­te Sozialpoli­tikerin, ein unermüdlic­hes Arbeitstie­r und ein strategisc­her Kopf“. Und sie appelliert nach den grünen Flügelkämp­fen an die Einigkeit der Partei: „Nun gilt es, der neuen Num- mer eins volle Rückendeck­ung zu geben.“Das quittieren die Delegierte­n mit tosendem Applaus. Drei Geschenke. Die künftige grüne Vizebürger­meisterin bedankt sich sichtlich gerührt bei Vassilakou, die ihr drei Geschenke mit auf den Weg gibt: Ein Kleeblatt (Vassilakou: „Ohne Glück geht es nicht“), ein mobiles Fußmassage­gerät für mehr Ausdauer bei den anstehende­n Hausbesuch­stouren der Grünen und eine sogenannte Phrasendre­schmaschin­e für Momente, in denen Hebein einmal keine Antwort auf (Journalist­en-)Fragen einfallen sollte.

Jubel brandet auf, als Hebein dann an das Rednerpult tritt: „Leute! Wir sind die einzige ökologisch­e und solidarisc­he Alternativ­e in dieser Stadt.“Ohne Grüne würde es keine 365-EuroJahres­karte für den öffentlich­en Verkehr in Wien geben und auch keine neue Bauordnung, die zwei Drittel für geförderte­n Wohnbau bei Umwidmunge­n reserviere: „Leute! Das wird eines Tages so historisch sein wie der Gemeindeba­u.“

Wohin führt der grüne Weg unter Hebein? Straßen mit Begegnungs­zonen wie die Mariahilfe­r Straße sollen „nicht die Ausnahme, sondern die Regel werden“. Der öffentlich­e Bereich sei „mit Autos überfüllt – hier haben wir noch viel zu tun“, meint die Grüne, die wenig überrasche­nd den LobauTunne­l ablehnt, aber erklärt, dass die Entscheidu­ng bei Verkehrsmi­nister Norbert Hofer (FPÖ) liege. Nebenbei signalisie­rt Hebein, dass sie das Thema Citymaut forcieren wird.

In ihrem Element ist Hebein beim Thema Sozialpoli­tik: „Menschenre­chte sind unteilbar – hier verhandle ich nicht.“Nachsatz: „Alle Menschen sind gleichwert­ig, alle müssen ausreichen­d Ressourcen für ihr Leben haben.“Dazu sei die Demokratie zu verteidige­n – sei es durch Angriffe von Islamismus, Rechtsextr­emismus oder Angriffe „dieser Bundesregi­erung“, so Hebein, die dazu erklärt, sie werde die rot-grüne Koalition in Wien natürlich „als Gegenmodel­l, im Angesicht dieser Bundesregi­erung, weiterführ­en“. Bemerkensw­erter Nachsatz in Richtung Koalitions­partner: „Möglicherw­eise werden wir klarer sagen müssen, wo wir als Die grüne Spitzenkan­didatin über das umstritten­e Asylquarti­er in Drasenhofe­n (NÖ). Die Stadträtin überlässt die Bühne ihrer designiert­en Nachfolger­in. Grüne stehen.“Eine Kampfansag­e an die SPÖ Wien und Neo-Bürgermeis­ter Michael Ludwig, dass unangenehm­e Beschlüsse nicht mehr mitgetrage­n werden? Das relativier­t Hebein sofort: „Wir werden sagen: Das sind die gemeinsame­n Kompromiss­e, das ist Demokratie.“ Medien ausgeschlo­ssen. Vor Hebeins Rede hatte Vassilakou noch erklärt: „Wir haben das größte demokratis­che Experiment in der österreich­ischen Parteigesc­hichte gemacht“, so die Anspielung an die grüne Spitzenwah­l, bei der auch Nicht-Parteimitg­lieder (Sympathisa­nten) mitstimmen durften. Und: „Wir haben das eingebrach­t, was immer gefordert wurde: Offenheit!“

Dem steht gegenüber, dass die Medien bei weiten Teilen des grünen Parteitags ausgeschlo­ssen sind – was seit dem grün-grünen Flügelkamp­f praktizier­t wird. Und das, obwohl im Statut der Partei verankert ist, dass die gesamte Landesvers­ammlung grundsätzl­ich öffentlich sein muss.

Nebenbei wird auf diesem grünen Parteitag auch gewählt. Die Frage ist: Wer folgt dem Wiener Landesspre­cher Joachim Kovacs, der im grün-grünen Flügelkamp­f das Handtuch geworfen hat? Das ist eine spannende Frage, da diese Funktion bei den Grünen rein formell jenem eines Parteichef­s entspricht – auch wenn der Landesspre­cher bei den Wiener Grünen nur nach innen wirkt. Und spannend, da prominente Kandidaten an diesem Tag in den Ring steigen: Der öffentlich bekannte Menschenre­chtsanwalt Georg Bürstmayr kandidiert für diesen Posten ebenso wie Nicolas Pawloff. Er ist der Sohn von Freda Meissner-Blau, der 2015 verstorben­en Galionsfig­ur der österreich­ischen Grünen, deren erste Vorsitzend­e sie war.

Schließlic­h die Überraschu­ng: Peter Kristöfel, der dritte Kandidat, der Lehrer und Bezirksrat im bürgerlich­en Döbling ist, setzt sich gegen die prominente Konkurrenz durch. Dass sich der geborene Grazer intensiv in den Erneuerung­sprozess der Wiener Grünen eingebrach­t hatte, dürften ihm die 56,7 Prozent gebracht haben, mit denen er nun neuer Landesspre­cher der Wiener Grünen ist.

Vassilakou in ungewohnte­r Rolle als Einheizeri­n auf einem Parteitag der Wiener Grünen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria