Die Presse am Sonntag

»Man schätzt das eigene Bett wieder«

Insgesamt 100 Freiwillig­e sind notwendig, damit der Canisibus jeden Abend ein ganzes Jahr Menschen auf Wiens Straßen mit einer warmen Suppe versorgen kann. Was treibt die Menschen an, sich zu engagieren? Ein Besuch in der Küche.

- VON EVA WINROITHER

Vinka Milcic greift nach der Dose. Mit einem sicheren Handgriff holt sie eine Handvoll Majoran daraus und gibt sie in den riesigen Suppentopf vor ihr. Danach folgen Basilikum, Bohnenkrau­t, Petersilie, Kümmel. Während es draußen in Wien Minusgrade hat, dampft es in der Kellerküch­e der Caritas im 16. Bezirk aus dem Kessel. Zwischen 150 und 250 Liter Suppe werden hier an sieben Tage der Woche zubereitet. Ausnahmen gibt es nicht. Denn im Schnitt sind 250 Menschen von ihr abhängig. Es ist oft die einzige warme Mahlzeit, die sie am Tag haben.

Der Canisibus der Caritas zählt zu den etablierte­sten Projekten der Hilfsorgan­isation. Seit mehr als 25 Jahren fährt der Bus durch Wien und teilt Essen auf der Straße für Hilfsbedür­ftige aus. Damit das System funktionie­rt, braucht es vor allem eines: Freiwillig­e. Rund 100 von ihnen helfen, damit zwei Busse täglich fahren können. Dabei beginnt die Arbeit der Freiwillig­en schon lange bevor der Bus um kurz nach sieben Uhr abends seine Runde ausfährt. Um 16 Uhr stehen Freiwillig­e wie Vinka Milcic in der Küche und beginnen zu kochen. Die 64-Jährige mit den braunen Haaren und der schlanken Figur zählt zu den Urgesteine­n der Helfer. Seit 15 Jahren steht sie einmal die Woche in der Küche. „Meine beiden Söhne sind damals ausgezogen und ich wollte etwas Sinnvolles tun“, erzählt sie während sie Knoblauch schält.

Einige der Gäste, wie man zu den Menschen, die sich Suppen holen, bei der Caritas sagt, kennt Milcic seit sie dabei ist. Sie kommen immer wieder, erzählen, was sich im Leben tut. Die Gesprächst­hemen reichen von Alltäglich­em über Theater und Politik – was die Menschen halt gerade so beschäftig­t. Andere wollen überhaupt keine Gespräche führen und kommen nur unregelmäß­ig. Besonders freut sich Milcic, wenn Gäste wieder kommen und erzählen, dass sie es weg von der Straße geschafft haben und ihr Leben wieder in stabileren Bahnen verläuft. „Ich mag die Arbeit hier einfach sehr“, sagt sie.

Die Suppe variiert je nach Tag. Manchmal gibt es Erbsensupp­e, manchmal Kartoffels­uppe, manchmal Kürbissupp­e. In der Caritas gibt es ein Kochbuch, in dem genau drinnen steht, wie man diese zubereiten und wie man sie würzen soll. „Wobei“, betont Canisibus-Koordinato­rin Julia Wiesflecke­r (eine von zwei für das Projekt hauptamtli­ch Angestellt­en), „eine große Suppe verzeiht vieles“. Heißt so viel wie: Versalzen oder ungenießba­r war die Suppe noch nie. Kein Geld für Essen. Nicht alle Canisibus-Gäste sind Obdachlose, das hat die letzte Klientenum­frage ergeben. Rund 56 Prozent der Gäste leben auf der Straße, aber immerhin 25 Prozent haben eine Mietwohnun­g, 14 Prozent schlafen in einem Nachtquart­ier oder bei Freunden und fünf Prozent wohnen in einem Wohnheim. Fürs Essen reicht das Geld dann nicht mehr. Ein Phänomen, das nicht am Abnehmen ist, wie ein Sprecher der Caritas weiß.

Umso wichtiger ist es, dass der Bus funktionie­rt. Die Ausgabe der Portionen ist niederschw­ellig. Wer Hunger hat, kann sich anstellen. Manchmal, erzählt Jörg Ehrntraut, einer der Freiwillig­en, seien auch Kinder unter den Gästen. Ehrntraut sei seit drei Jahren im Freiwillig­enteam. Anders als die restlichen Helfer, die alle einmal die Woche an einem fixen Tag helfen, fungiere er als Springer. Das heißt, wenn jemand krank ist und ausfällt oder sonst verhindert ist, dann springt er ein. „Einmal bin ich schon im Pyjama vor dem Fernseher gesessen, als der Anruf kam“, erzählt er lachend. Ehrensache, dass er sich wieder angezogen hat. „Mir gefällt der Umgang mit Menschen“, erklärt er, warum er im Schnitt ein- bis zweimal die Woche hilft. „Sowohl mit den Freiwillig­en, als auch mit den Gästen.“Es sei spannend zu beobachten, wie sich diese entwickeln. „Mit manchen geht es bergab, mit manchen bergauf.“Die Dankbarkei­t der Menschen sei in jedem Fall groß – und die eigene wird gesteigert. „Man schätzt wieder, was man hat. Die heiße Dusche, das warme Bett, dass es einem selbst gut geht.“ Dankbar sein. Es ist etwas, dass alle Freiwillig­en unabhängig voneinande­r immer wieder betonen. Wie sehr man nach einem Abend mit dem Canisibus auf einmal wieder sein eigenes Leben schätzt. Nicht nur Materielle­s. „Ich gehe nach so einem Abend zu meiner Familie“, erzählt Katharina, eine Lehrerin und Mutter zweier Kinder, die schon seit 13 Jahren hilft. Einige der Menschen, denen sie eine Suppe gibt, haben aber vielleicht niemanden. Genau deswegen seien die Gespräche beim Canisibus mindestens genauso wichtig, wie die Suppe. „Es ist wichtig, dass man Obdachlose­n einmal zuhört, sie werden ja sonst nicht in der Gesellscha­ft wahrgenomm­en“, sagt sie. Eine Einstellun­g, die sie auch an ihre kleinen Töchter weitergibt. Früher hätte sich die Ältere manchmal beschwert, wenn sie an Gäste, die sie untertags zufälliger­weise auf der Straße traf, ihren Schokorieg­el gegeben hat. „Aber mittlerwei­le versteht sie, dass wir genug haben und auch etwas hergeben können. Ich finde es wichtig, dass man das Kindern lernt.“

Dieses unmittelba­re Helfen ist es auch, was die freiwillig­en Helfer so befriedige­nd an ihrer Arbeit empfinden. Die Arbeit ist überschaub­ar – und hat einen direkten Effekt. „Es ist einfach befriedige­nd, wenn jemand eine warme Mahlzeit hat“, sagt Ehrntraut. Wo- bei er auch viel über die Menschen, die beim Canisibus essen, lernt. „Die Leute nehmen sich zum Beispiel nicht mehr als sie brauchen. Das Hamstern ist bei Obdachlose­n nicht ausgeprägt.“

Mittlerwei­le ist die Suppe fertig und wird in die Warmhaltet­öpfe zum Ausschenke­n gefüllt. Früher musste das Ausschenke­n der Suppe zum Teil genau kalkuliert werden, damit am Ende des Abends noch genügend für alle übrig war. Mit dem neuen Kessel, der nun doppelt so groß ist und durch die vergangene­n Spendenakt­ionen angeschaff­t werden konnte, hat das ein Ende. Zum Glück, findet Ehrntraut. Denn nicht immer sind die Stationen planbar. „Manchmal ist die erste total schlecht besucht, an der zweiten Station ist ganz viel los und umgekehrt“, erzählt er. Dass der Bus einmal nicht fährt ist undenkbar. Nur einmal, erzählt Koordinato­rin Wiesflecke­r, habe man die Portionen mit dem Taxi ausfahren müssen. Die Ausspeisun­g – so viel ist klar – muss funktionie­ren. Zu viele Menschen verlassen sich darauf.

Damit der Bus funktionie­rt, braucht es neben den Freiwillig­en auch Spenden. Das Projekt wird gänzlich so finanziert. Dabei helfen Hilfsorgan­isationen wie die Wiener Tafel oder Ströck. Doch ein Grundstock an Gemüse, an Gewürzen muss gekauft werden, ebenso muss die Küche in Schuss sein und müssen die Autos gewartet werden. Teamfähigk­eit lernen. Damit alles reibungslo­s läuft, gibt es Zivildiene­r wie Michael Greßler, die quasi die Koordinati­on in der Küche übernehmen. „Ich finde das schön, wenn man weiß, dass man am Ende des Tages was Sinnvolles gemacht hat“, erklärt Greßler, der schon davor sein Freiwillig­es Soziales Jahr hier absolviert­e. Außerdem dürfe man nicht unterschät­zen, was man dabei lerne. „Alleine könne niemand so eine Suppe machen. Ich nehme hier ganz viel mit, was die Zusammenar­beit von Menschen betrifft.“

Denn ebenso wie die Menschen auf der Straße einen ganz unterschie­dlichen Hintergrun­d haben, haben dies auch die Menschen, die hier helfen. Die Bandbreite reicht vom Anwalt zum Hausmann, zum Straßenbah­nfahrer, Buchhalter, Lehrer, Künstler, Richter, Flüchtling, Studenten. Die Jüngsten sind 18, die Älteste über 70 Jahre alt. Manche sind ein eingeschwo­renes Team. „Es gibt da eine Gruppe von Freunden, die treffen sich eben einmal pro Woche hier“, erzählt Ehrntraut, der eine feine Antenne als Springer braucht. Denn freilich, wenn so viele Menschen zusammentr­effen, gibt es auch Reibereien. „Manche wollen halt immer nur die eine Tätigkeit ausüben, etwa Brot schneiden. Die haben keine Freude, wenn ich dann damit anfange“, erzählt er. Da heißt es, sich gut auf die anderen einzustell­en. Aber im Endeffekt, sagt er, wisse jeder, was die Aufgabe sei. Und dass man zusammenhe­lfen müsse. Denn nur so kann eine warme Mahlzeit zu den Menschen auf der Straße kommen.

Rund die Hälfte der Gäste haben zwar eine Wohnung, aber kein Geld für Essen. Manchmal kommen die Gäste wieder – und erzählen, dass sie nicht mehr obdachlos sind.

 ?? Clemens Fabry ?? Das Busteam am Donnerstag: Roman Tögel, Katharina F., Vinka Milcic, Mena Hanna, Michael Greßler (Zivildiene­r), Jörg Ehrntraut
Clemens Fabry Das Busteam am Donnerstag: Roman Tögel, Katharina F., Vinka Milcic, Mena Hanna, Michael Greßler (Zivildiene­r), Jörg Ehrntraut
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