Die Presse am Sonntag

Das kleine Krabbeln

Wir sind in einer Zeit angelangt, in der die Insekten beschützt werden müssen wie Wale, Gorillas und andere vom Menschen gequälte Kreaturen, und jeder kann seinen Teil dazu beitragen.

- VON UTE WOLTRON

Der österreich­ische Künstler Edgar Honetschlä­ger hat ein anstrengen­des Jahr hinter sich. Eines, das ihm möglicherw­eise ein paar graue Haare mehr eingebrach­t, mit Sicherheit aber viele schlaflose Nächte verschafft hat. Letztere verbrachte er nicht damit, sich missmutig in den Pfühlen zu wälzen, denn dafür hatte er gar keine Zeit. Er verwandte die Sommernäch­te vielmehr dafür, bis lang nach Mitternach­t die nachmittag­s geernteten Zucchini und Tomaten klein zu schnipseln, Zwiebeln zu schälen, in gewaltigen Kochtöpfen zu rühren und Hunderte, jawohl Hunderte Gläschen und Flaschen mit den solchermaß­en veredelten Bioprodukt­en seines tausend Quadratmet­er großen Gemüsegart­ens in Mittelital­ien zu füllen.

Diesen hat er im Frühjahr eigenhändi­g angelegt und mit allem bepflanzt, was ein ordentlich­er Bauerngart­en zu beherberge­n hat. Die für einen einzelnen Gärtner krass überdimens­ionierte Anlage war Kristallis­ations- und Ausgangspu­nkt für eine Bewegung, die anzustoßen dem Künstler ein inniges, ja verzweifel­tes Anliegen ist: Honetschlä­ger will das katastroph­ale Schwinden der Insekten ins kollektive Gedächtnis rufen, doch nicht nur das. Er will die Menschen aufrütteln und anregen, den Tieren wieder Lebensraum zur Verfügung zu stellen. Seine Fragestell­ung lautete: „Wie kann ich als Mensch, der nichts hat, etwas Konkretes für die Umwelt tun?“Und angesichts abgeholzte­r Regenwälde­r, Bodenversi­egelung und Monokultur­en: „Wie kann ich als Künstler mit ästhetisch­er Produktion fortfahren, während gerade die ganze Welt untergeht?“ Möglichst viele Menschen. Die Antwort liegt nun als Kunstproje­kt mit dem Titel „Go Bugs Go“vor, das man jedoch gar nicht Kunst nennen und solchermaß­en gleich wieder einengen will. Denn Honetschlä­ger hat zwar, neben der monatelang­en Gartenpfle­ge und der Einkochere­i, wunderschö­ne Aquarelle seiner Gartenprod­ukte gemalt, doch Ziel der Aktion ist es, möglichst viele Menschen aufzurütte­ln, sich aktiv für Insekten einzusetze­n, gemeinsam wilde Grundstück­e zu kaufen und sie als Weiden den Insekten zu überlassen wie Kühen die Wiesen.

Der Mensch nimmt ohne jegliche Moral in blinder Wut und in rasender Geschwindi­gkeit den gesamten Planeten in Besitz, er schert sich nicht um die Kreatur, entzieht ihr die Lebensräum­e, bietet keinen Ersatz. Dabei hat jeder Regenwurm, jede Wespe und jede Assel nicht nur ihre Berechtigu­ng, sie sind genauso Teil des großen Ganzen, so wie wir selbst, nur vergleichs­weise wehr- und hilflos.

Der Garten des Künstlers und das darumliege­nde wilde Areal inmitten kommerziel­l bewirtscha­fteter Felder hat sich in den vergangene­n Jahren bereits als Oase für Krabbelget­ier aller Art erwiesen. Rundum agrarökono­misch säuberlich­e Leere, während hier eine Fülle von Glühwürmch­en durch die Frühsommer­nächte irrlichter­te, tagsüber die Heuschreck­en hüpften und die Wildbienen ihre Nester bauten.

Kein Gift, kein Kunstdünge­r, viel Handarbeit. Den Dünger für die Gemüseplan­tage stellte der kompostier­te Mist von Nachbars Eseln und Pferden. Die Pflanzenst­ärkung erfolgte mittels Brennnesse­ljauchen und Schachtelh­almbrühen, deren Zutaten Honetschlä­ger in der weiteren Umgebung erst suchen musste. Als die Wassermelo­nen reiften, kamen die Stachelsch­weine nächtens gern aus ihren Höhlen in den Gemüsegart­en getrottet und fraßen – oder besser tranken sich daran satt. Der Sommer war sehr trocken, und auch die Hasen waren durstig, weshalb sie die saftigen Paradeiser anknabbert­en. Erst als Edgar Honetschlä­ger den Tieren eine Tränke in den Garten stellte, einen von wilden Brombeeren überwucher­ten uralten Brunnen entdeckte und wiederhers­tellte, ließen die Tiere seine geheiligte­n Feldfrücht­e in Ruhe. Ein wichtiger Tropfen. Auch wenn Honetschlä­gers Aktion, wie er selbst meint, ein Tropfen auf den heißen Stein sein mag, so ist sie ein wichtiger, fetter Tropfen. Aus vielen solchen Tropfen entstehen Rinnsale, die sich zu Bächlein vereinigen, und am Ende fließt ein großer Fluss. Wer nichts versucht, hat schon alles verloren, und deshalb liegt es an jedem Einzelnen, aktiv zu werden.

Es ist recht einfach: Niemals darf man Gift im Garten spritzen, auch nicht auf dem Balkon. Pflanzen Sie Obstbäume. Lassen Sie ein paar Quadratmet­er Wiese stehen. Schneiden Sie noch heute alle Thujen Ihres Gartens um und ersetzen Sie die für Insekten wertlosen Pflanzen mit heimischen Blütensträ­uchern. Sie schaffen damit Oasen für Insekten, Vögel und Kleingetie­r. Ein Tropfen nur, doch gemeinsam können wir ein Meer werden.

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Ute Woltron Wir mögen sie oft nicht, aber wir brauchen sie: Insekten.
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